Geld löst Religion ab

Besitz darf nicht zum höchsten Wert werden

Für den Ökonomen Peter Bofinger gibt es einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Krise und dem Glauben ans Geld. 2012 stehe Europa eine harte Bewährungsprobe bevor.
Peter Bofinger

Der Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger findet es gut, dass sich die Kirchen in die wirtschaftspolitische Diskussion einmischen, schliesslich gehe es in der Krise auch um die Würde der Menschen. Dazu stellten wir ein paar Fragen:

Der Euro ist in Deutschland nicht sonderlich beliebt, weshalb?
Bofinger: Die D-Mark war das Symbol des Nachkriegserfolges. Sie ist ein Symbol für den Wiederaufstieg Deutschlands, und dieses Symbol hat man den Leuten weggenommen. Das ist in etwa so, als würden sie Christen das Kreuz wegnehmen und sagen, der Halbmond ist doch auch okay.

Aber Glaube ist doch nicht mit einer Währung vergleichbar.
Das hören die Kirchen sicher nicht gerne, und ich finde es auch persönlich nicht gut – aber für viele Menschen ist Geld der höchste Wert. Kurzum: Geld hat für viele Menschen die Religion abgelöst, sie sehen in ihrem Vermögen eine Art eigene Unsterblichkeit. Deshalb verlaufen auch die Debatten um unsere Gemeinschaftswährung so emotional.

Woher kommt die Krise? Sind die Staaten schuld, oder die Märkte?
Vor allem sind es die Märkte, die im vergangenen Jahrzehnt versagt haben, indem sie etwa riesige Summen in Immobilienprojekten in Spanien oder Irland versenkt haben. Die Staaten mussten daraufhin die kollabierenden Märkte mit Unsummen retten - dadurch ist überall die Staatsverschuldung gestiegen und hat die Verschuldungsprobleme, die nun Auslöser für die aktuelle Krise sind, in manchen Staaten ausgelöst. Und nun sollen die Märkte, die von den Staaten gerettet werden mussten, zum eigentlichen Herrscher Europas werden.

Was bringt uns das kommende Jahr wirtschaftlich?

2012 wird sicher ein schwieriges Jahr für ganz Europa. Ich gehe davon aus, dass wir in eine Rezession geraten werden, momentan gibt es nur wenig Anlass zu einem optimistischen Ausblick.

Auch die christlichen Kirchen melden sich in dieser Krise zunehmend zu Wort. Was sagt der Experte dazu, ist das eine gute Idee?
Ja, weil es bei den Fragen der Krise ja auch um Fragen geht, die das Zusammenleben und die Würde der Menschen betreffen. Ich sehe genau hier das Hauptproblem unserer aktuellen Politik, die uns nämlich in eine Richtung bringt, wo wir zunehmend von den Märkten beherrscht werden – hier sind mahnende Worte der Kirchen, um die Sorgen und Ängste der Menschen zu artikulieren, richtig und wichtig.

Klar ist aber auch, dass die Hauptaufgabe der Kirchen eine andere sein sollte, sie sind weit mehr als nur sozialpolitische Institutionen.

Lesen Sie auch:
(Private) Finanzkrise: Wege aus der Schuldenfalle
Jacques Delors: «Europa braucht mehr Spiritualität»
Bekenntnis zum Glauben in den Medien kein Tabu mehr

Bücher zum Thema:
Mäuse, Motten & Mercedes. Biblische Prinzipien für den Umgang mit Geld
Hansjürg Stückelberger: Europas Aufstieg und Verrat

Datum: 03.01.2012
Quelle: Epd

Werbung
Livenet Service
Werbung