Kann man mit KI Bibel-Geheimnisse lüften?
«Wer schrieb die Bibel wirklich? KI versucht, das Geheimnis zu lüften». So lautet der Titel eines aktuellen Artikels bei «t3n», einer Internetplattform, die sich hauptsächlich an Tech-Interessierte richtet. Dort werden immer wieder Themen beleuchtet, die sich auch mit gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Fragen beschäftigen – vornehmlich aus technischer Perspektive. Hier nun geht es um die Bibel und ihre Entstehung.
Populismus lässt grüssen
Natürlich ist Theologie nicht der Kernbereich dieses Internetangebots, doch die gewählte Überschrift soll das offensichtlich ausgleichen. «Klickbait» nennt man dieses Prinzip, bei dem durch reisserische Formulierungen hohe Erwartungen geweckt werden. Erwartungen, die letztlich gar nicht erfüllt werden sollen. Es geht darum, Klickzahlen zu generieren, um zum Beispiel Werbung verkaufen zu können. Der Artikel gibt also keine Antwort darauf, wer die Bibel wirklich schrieb.
KI «versucht» auch nicht, «das Geheimnis zu lüften». Ein Computeralgorithmus hat keinerlei Ambitionen – er arbeitet sein Programm ab und stellt das Ergebnis dar. Beim Lesen des eigentlichen Artikels wird es etwas differenzierter. Als Fazit wird herausgestellt, dass man die verwendete Technik auch in anderen Bereichen dafür verwenden könnte zu klären, «ob bestimmte Texte, die einer historischen Persönlichkeit zugeordnet werden, auch wirklich von dieser stammen». Im vorliegenden Fall der biblischen Untersuchung scheint es laut Autor dagegen bereits gelungen, «verschiedene Bibelstellen bestimmten Autorengruppen oder Traditionslinien zuordnen [zu] können».
Das Problem der Datenmenge
Der deutsche Artikel hat als Grundlage eine Studie des US-Magazins «PLOS one». Hierher stammen die Ergebnisse. Allerdings zeigen sowohl die Studie als auch der deutsche Kurzbericht darüber auch Schwierigkeiten. Die hauptsächliche betrifft die Datenmenge. Wer sich hinsetzt, um die Bibel durchzulesen, hat gefühlt ein sehr dickes Buch mit viel Text vor sich. Für das Durchsuchen und Analysieren von sprachlichen Zusammenhängen arbeitet KI meist mit wesentlich grösseren Datenmengen. Das heisst nicht, dass das Untersuchen einzelner biblischer Abschnitte auf stilistische Ähnlichkeiten und Unterschiede mit anderen nicht möglich wäre. Wenn weniger Daten vorhanden sind, kommen allerdings die Vorannahmen stärker zum Tragen, die bereits in der Fragestellung enthalten sind.
Dazu kommt die Frage der Interpretation. Die programmierte KI kann Bibeltexte nach Satzstrukturen und Wortstämmen analysieren, doch was folgt daraus? Zeigen grosse Unterschiede eher verschiedene Autoren oder Bearbeiter oder Zielgruppen oder gibt es andere Gründe dafür? Wer in der Bibel das inspirierte Wort Gottes sieht, kann sich nach Lesen der Ergebnisse durchaus bestätigt fühlen – genauso wie diejenigen, die nach einer vielfältigen Autorenschaft der fünf Mosebücher mit Jahwist, Elohist und Priesterschrift suchen.
Grenzen und Chancen von KI
Die US-Studie und ihre Darstellung in den Medien wie bei «t3n» zeigen einiges im Umgang mit künstlicher Intelligenz:
- Es ist nicht hilfreich, KI zu personifizieren. KI «versucht» und «beweist» nichts. KI löst bestimmte Aufgaben und stellt Daten zur Verfügung; sie hat kein eigenes Verständnis und kein Bewusstsein.
- Auch bei modernsten digitalen Angeboten gilt das alte MRMR-Prinzip: «Müll rein – Müll raus». Wenn die Ausgangsdaten und -fragen problematisch sind, ist es auch das Ergebnis. Gerade das Bewerten von Ergebnissen oder sogar Menschen ist kein Automatismus.
- Gleichzeitig bietet KI als Werkzeug in der Bibelwissenschaft geniale Möglichkeiten, komplexe Zusammenhänge zu untersuchen, Muster zu erkennen oder Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren.
In diesem Sinne: KI wird nie die Gottesfrage klären. Sie ist dazu ungeeignet, die Inspiration der Bibel zu enthüllen, aber natürlich lassen sich mit KI zahlreiche Bibel-Geheimnisse lüften. Die sprachvergleichende Analyse, von der oben die Rede war, ist dabei nicht ihr ultimatives Ergebnis, es ist das erste Vortasten.
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Datum: 18.06.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet