«Prüfet alles, das Gute behaltet»

Wie real ist die «stille Erweckung»?

Die Jahreslosung darf nicht zum alten Eisen werden
Die Losung des zu Ende gehenden Jahres: Bei allen Nachrichten sollen wir prüfen – und das Gute behalten. Eines der Highlights von 2025 waren Erweckungsberichte aus den USA, England und anderen Ländern, sei es laut oder «quiet». Was geschieht hier?

Die «Erweckung» ist da; ja, «dort» ist sie auch. Was tut dieses Wort mit unserem Glauben? Es besteht kein Zweifel daran, dass Evangelikale sehr sensibel auf das Wort «Erweckung» reagieren. Unsere Identität ist ja nicht nur biblisch und historisch geprägt, sondern auch protestantisch – und eben erwecklich. Für viele ist die Erweckung nicht nur eine Sache der Vergangenheit, sondern auch eine Erwartung an die Gegenwart. Wir beten für die Erweckung, wir warten auf die Erweckung – alles, was über den oft mageren geistlichen Durchschnitt der Gegenwart hinausgeht, riecht nach «Erweckung».

Mehr Interesse unter der Generation Z

Spätestens seit dem Asbury Revival ist «Erweckung» kein fernes Wort mehr, sondern beschreibt etwas, das plötzlich wieder in der westlichen Welt vorkommt. Verschiedene europäische Länder berichten über mehr Interesse an Kirche und Glauben unter jungen Menschen. Seit einigen Monaten ist in Grossbritannien von einer «stillen Erweckung» die Rede: Einer Umfrage der British Bible Society zufolge gibt es in den letzten Monaten und Jahren einen deutlichen Anstieg der Besucherzahlen in Gottesdiensten durch junge Menschen der Generation Z. Nach der Ermordung von Charlie Kirk wurde etwas Ähnliches auch in den Vereinigten Staaten beobachtet: Menschen, die zuvor keine Gottesdienste besucht hatten, begannen, daran teilzunehmen und zeigten Interesse für den Glauben.

Auch die Verkaufszahlen der Bibel sind in die Höhe geschnellt. Ausserhalb der angloamerikanischen Welt, im säkularen Frankreich, verzeichnet die katholische Kirche einen deutlichen Anstieg der Zahl der Erwachsenen, die getauft werden möchten. In anderen katholischen Ländern Europas scheint es kein ähnliches Phänomen zu geben.

Prüfet alles …

Darf man solche Berichte und Entwicklungen überhaupt «prüfen»? Nun, es heisst «Prüfet alles». Prüfen heisst ja nicht «kritisch untersuchen und dann ablehnen», sondern ist der Versuch, zu verstehen, was vor Naivität und Romantik bewahrt werden kann.

Der Kommentator Leonardo de Chirico analysiert in «CNE News» mindestens zwei grosse Hintergrundbewegungen, die zum Verständnis der Phänomene nötig sind.

Die grosse Leere

«Erstens betrifft die `stille Erweckung` nicht nur die evangelikale Welt, sondern das gesamte Spektrum christlicher Kirchen und Konfessionen. Es scheint, dass in Grossbritannien und den USA evangelikale Kirchen ebenso wie katholische und orthodoxe Kirchen ein steigendes Interesse bei jungen Menschen verzeichnen. Das bedeutet, dass es nicht unbedingt der biblische Glaube ist, der sie anzieht, sondern die Suche nach einer allgemeinen christlichen Spiritualität, die zur Teilnahme an katholischen Sakramenten, östlichen Liturgien – oder auch zu einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus führen kann», analysiert de Chirico.

Der Hauptgrund für dieses religiöse Interesse scheint die «Leere» zu sein, die «durch die nihilistischen Exzesse der säkularisierten Kultur bestimmt wird, die die Säulen der persönlichen Identität (sexuell, persönlich, sozial) in Frage stellt, indem sie eine beunruhigende, flüchtige Alternative vorschlägt.» Und weiter: «Da man mit destruktivem Nihilismus nicht leben kann, wenden sich junge Menschen Institutionen zu, die von starken, transzendenten `Werten` sprechen und diese anbieten.» Obwohl wichtig, ist die Suche nach solchen Werten aus evangelikaler Sicht noch nicht als «Erweckung» zu bezeichnen. Aber sie kann dazu führen – wenn die Suchenden auf Jesus treffen.

Die religiöse Wiederverzauberung

Zweitens scheint die «stille Erweckung» Teil eines Prozesses der religiösen Wiederverzauberung des Westens zu sein, der allen Formen der Spiritualität offensteht, einschliesslich heidnischer und antichristlicher. Der Mythos der «säkularisierten Gesellschaft» ist längst umgekippt. Unsere Gesellschaft ist religiös wie noch nie. «Wenn Menschen nicht mehr an den biblischen Gott glauben, glauben sie nicht nichts, sondern alles», schrieb schon G. Chesterton. Ein populäres Beispiel: Halloween.

Junge Menschen fühlen sich zunächst eher von Spiritualität angezogen, die sie beeindruckt, als vom biblischen Glauben. Andererseits berichteten viele Kirchen und Freikirchen in England und auch hier auf dem Kontinent von einem leichten, aber allgemeinen Anstieg der Besucherzahlen bei Sonntagsgottesdiensten durch «neue» Menschen. Es ist ungewiss, ob sie wiederkommen werden, und es ist auch nicht sicher, ob sie sich zu Jesus bekehren werden. Sie sind einfach einmal gekommen.

Beten und Dranbleiben: «Das Gute behaltet»

Von uns wird nach der Jahreslosung 2025 beides erwartet: nüchterne Analyse und glaubendes Erwarten. Wir brauchen nicht unbedingt ein Pop-Evangelium («Party haben wir woanders»), aber klare Verkündigung, liebevolle Gemeinschaft und offene Arme und Häuser. Bereit sein fürs Ungeplante – das kann auch eine kleine Gemeinde. Wir brauchen «Baby-Betten» als Ausdruck der Erwartung, dass sich die geistlichen Geburtsstationen mal füllen. Ob sich die «Erweckung» dann in stiller oder in lauter Form zeigt, wird unterschiedlich sein.

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Datum: 18.12.2025
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Jesus.ch / CNE News

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