Warum Jugendliche jetzt eintauchen
Die etablierten Kirchen im Westen verlieren ganz nach dem R.E.M-Hit «Losing my religion» seit Jahren an Bedeutung im gesellschaftlichen Leben. Doch zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert hat der Säkularismus gestoppt. Der plötzliche Stillstand und die mögliche Umkehr in einigen Ländern sind unerwartet. «Gemäss Umfrageinstituten in den USA, Kanada, Grossbritannien und Frankreich hat der verlangsamte Säkularisierungsprozess weniger damit zu tun, dass weniger Menschen das Christentum verlassen. Der Grund liegt in der überraschenden Zunahme christlichen Glaubens unter jüngeren Menschen, insbesondere aus der Generation Z, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind», schreibt das liberale Magazin «The Economist» in einem doppelseitigen Artikel.
Sinnsuche der jungen Menschen
«Ich habe Alkohol ausprobiert, ich habe Partys ausprobiert, ich habe Sex ausprobiert... nichts davon hat funktioniert», sagt Eric Curry von der Pace University im «Economist». Er erzählt, was seine Altersgenossen über den Versuch sagen, Depressionen, Apathie und Einsamkeit zu überwinden: «Junge Menschen suchen intensiv nach der Wahrheit.» Eric Curry sagt, die kürzliche Taufe sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen.
Den Grund für die Trendumkehr beschreibt der «Economist» so: «Die plausibelste Erklärung für den Wechseltrend ist die Covid-19-Pandemie. Lockdowns, soziale Isolation und wirtschaftliche Schocks betrafen fast alle Länder und Altersgruppen genau zu dem Zeitpunkt, als die Daten zu religiösem Glauben einen Wendepunkt erreichten.» Dies galt insbesondere für die Generation Z, deren frühe Erwachsenenjahre gestört wurden, wodurch viele junge Menschen einsam oder depressiv wurden und nach Sinn suchten. «Die Pandemie war wirklich ein Katalysator», sagt Sarah, eine 20-jährige Studentin an der Liberty University, zum «Economist». Sie wuchs ausserhalb der Kirche auf und hat sich nach der Teilnahme an einer Bibelstudiengruppe über Zoom während des Lockdowns bekehrt. «Wahrscheinlich sind über 75 Prozent meiner Freunde, die Christen sind, seit der Pandemie Christ geworden.»
Covid-Pandemie als Beschleuniger
Der Trend scheint über die Turbulenzen der Covid-19-Pandemie hinaus fortzuwirken: In drei Umfragen von 2023 bis 2024 stieg der Anteil junger Amerikaner, die sich als Christen identifizieren, von 45 auf 51 Prozent. Die Nicht-Gläubigen fielen um vier Punkte auf 41 Prozent. An der Harvard-Universität, einem progressiven Bastion, nahmen in diesem akademischen Jahr die Hälfte der Studierenden an einer von einem Seelsorger geleiteten Veranstaltung oder religiösen Zeremonie teil. Tammy McLeod, seit 25 Jahren Seelsorgerin an der Universität, sieht in Covid-19 ebenfalls einen Wendepunkt: «Die Menschen hatten genug davon, allein zu sein.» Seitdem sind «unsere Zahlen höher und brechen nach dem Semesterbeginn nicht ab». Seelsorger an anderen Universitäten beobachten Ähnliches. In allen 14 westlichen Ländern, die vom Meinungsforschungsinstitut Pew untersucht wurden, gaben mehr Menschen (oft doppelt so viele) an, dass ihr Glauben durch die Pandemie gestärkt und nicht geschwächt wurde.
Trendwende in ganz Europa
Ähnliche Kräfte wirken auch anderswo. In Spanien, Portugal, Italien und Finnland sind die Menschen heute nicht weniger christlich als 2019, zeigt die Economist-Analyse von grossen europäischen Umfragen. Der Anteil der Menschen im Westen, denen Religion in ihrem täglichen Leben gemäss Meinungsforschungsinstitut Gallup wichtig ist, fiel zwischen 2006 und 2019 stetig. Doch in den letzten fünf Jahren hat sich dieser Wert stabilisiert. Wie in Amerika ist der Rückgang der religiösen Austritte und die Erneuerung unter den Jungen dafür verantwortlich. Die aktiven Austritte aus der Schwedischen Kirche sind in den letzten fünf Jahren gesunken, und Taufen unter jungen Erwachsenen haben sich seit 2019 mehr als verdoppelt, erklärt Andreas Sandberg, der das Kirchenregister führt. Eine Umfrage «The Quiet Revival» (Die Stille Erweckung) von YouGov und der Bibelgesellschaft zeigt, dass die Generation Z in England und Wales das Interesse am Christentum und den Kirchgang wiederbelebt. Besonders junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren – also Gen Z und Millennials – interessieren sich neu für den Glauben. Sie wollen nicht nur zur Kirche gehören, sondern auch beten, die Bibel lesen und sich sozial engagieren. Laut der Studie gehen vor allem junge Männer wieder vermehrt in die Kirche, weil sie dort Gemeinschaft finden und neue Freundschaften entstehen.
Der Sprung ins Wasser
Da es heutzutage weniger «Tauf-Christen» gibt, identifizieren sich viele Generation Z zum ersten Mal in ihrem Leben damit. Einige tauchen direkt ein – im wahrsten Sinne des Wortes. In der Osternacht dieses Jahres wurden in der katholischen Kirche in Frankreich über 10’000 Erwachsene (+45 Prozent) und über 7400 Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren getauft – eine Verdoppelung gegenüber 2019. Die Taufen in Österreich und Belgien stiegen ebenso an. Auch in Norwegen verdoppelte sich die Zahl der Kircheneintritte auf 4000.
In der Schweiz ist der neue Trend noch zaghaft zu spüren: Wie die kürzlich vom Bundesamt für Statistik veröffentlichte Studie «Sprache, Religion und Kultur» zeigt: Bei den Personen unter 25 Jahren ist der Glaube an einen Gott in den vergangenen zehn Jahren kaum zurückgegangen. Die regelmässige Lektüre heiliger Schriften aber auch spiritueller Inhalte ist bei der jüngsten Altersgruppe etwas gebräuchlicher als in den übrigen. Zudem glaubt die junge Bevölkerung am häufigsten an ein Leben nach dem Tod (57 Prozent). Zwei Beispiele von der Trendwende bei den Jungen zeigen die Abendgottesdienste des ICF mit 2000 und die Blessthun-Veranstaltungen in Thun mit über 700 jungen Leuten. Auch dort auch tauchen viele junge Menschen ein.
Dieser Artikel erschien bei Dienstagsmail.
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Datum: 10.07.2025
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dienstagsmail Nr. 878