Bonhoeffer – wer ihn reduziert, verliert
Fast niemand kennt irgendwelche Theologen mit Namen – mit Ausnahme von Dietrich Bonhoeffer. Der ist so bekannt und beliebt, dass das BIRGing mit ihm völlig normal ist. BIRGing? Das Kürzel steht für «Basking in Reflected Glory» oder sich im Glanz des Ruhmes von jemandem anderen sonnen. Denn Bonhoeffer ist ein Star und: «Er ist einer von uns!» Davon sind sehr verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Einstellungen und Glaubensprägungen überzeugt.
Der Vorteil dieser Haltung ist zweifellos, dass Bonhoeffers Bekanntheit auch 80 Jahre nach seinem Tod noch weiterwächst. Der Nachteil ist dagegen, dass der eigentliche Mensch und Theologe, Widerstandskämpfer und Christ, Denker und Zweifler immer mehr hinter einzelnen Klischees verschwindet.
Der Mann mit dem Lied
Es ist die Story für eine grosse Liebestragödie: Aus dem Gefängnis schreibt Bonhoeffer im Dezember 1944 ein Gedicht an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, die er nie wiedersehen wird. Vier Monate später wird er von den Nazis hingerichtet. Das Gedicht jedoch hat seine Verlobte bereits zu Weihnachten an Freunde und die Familie weitergeschickt. Der bekannte Refrain bzw. die letzte Strophe lautet:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist beiuns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Heute ist dieses Lied Teil des evangelischen Gesangbuchs, zig-mal wurde es übersetzt, um die 70-mal vertont. Und Bonhoeffer ist der Mann hinter diesem Lied, das bis heute viele Menschen tröstet und zum Vertrauen einlädt. Seine unerfüllte Liebe und sein Festhalten an Gott prägen es. All das ist Bonhoeffer – und noch viel mehr.
Der Bonhoeffer-Moment
Vor ein paar Jahren schrieb der US-Autor Eric Metaxas die Biografie «Bonhoeffer. Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet». Für viele war es ein spannend zu lesendes Buch, für viele US-Amerikaner die Erstbegegnung mit dem deutschen Theologen. Nach Arnd Henze prägte Metaxas darin den Begriff «Bonhoeffer-Moment» für «einen gottesfürchtigen Aussenseiter, der in der Krise bereit war, die ultimative Konfrontation mit dem Bösen zu suchen und dafür sein Leben zu opfern». Seit Donald Trump, den Metaxas aktiv unterstützt, ist dieser der Kämpfer gegen das Böse – erst in Form von «Hitlery Clinton» und inzwischen in Form der «liberalen Elite» – alles ist ein Bonhoeffer-Moment.
Die deutsche AfD nimmt diesen Gedanken gern an und ruft zum «Widerstand der Christen gegen Kirchenleitungen auf» – im Namen Bonhoeffers. Tatsächlich bezog dieser auch politisch Stellung, allerdings meist für dieselben Werte, die diese heutigen Fans scharf angreifen. War er ein Held? Wohl schon, allerdings erklärt Victoria Barnett in ihrem Artikel: «There’s no such thing as a Bonhoeffer moment» (So etwas wie den Bonhoeffer-Moment gibt es nicht). Sie kommt stattdessen zu dem Schluss, dass er sich «nicht dafür entschieden hat, ein Märtyrer zu sein. Er hat einfach versucht, wie viele andere auch, angesichts des Bösen anständig zu sein». Das ist tatsächlich Bonhoeffer – und noch viel mehr.
Der Gegner der billigen Gnade
Eines von Bonhoeffers bekanntesten Büchern ist «Nachfolge». Pointiert legt er darin den Finger in die Wunden der Kirche (nicht nur) seiner Zeit. Er spricht davon, dass viele Christen billige Gnade suchen würden. «Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.» Dabei sei sie in Wirklichkeit teuer: «Teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft.» Damit hat er sich für alle Zeiten in die Herzen vieler freikirchlichen Christen geschrieben, die gern vergessen, dass er ganz lutherischer Theologe war. Er sass nur zwischen allen Stühlen, war den einen zu fromm, den anderen zu liberal, den einen zu politisch, den anderen zu bibelorientiert. Die DBW – Dietrich Bonhoeffer Werke – umfassen gut 10'000 Seiten und zeigen ihren Verfasser im wahrsten Sinne als vielseitigen Christen. Ein Evangelikaler im heutigen Sinne war er nie. Aber seine Gedanken fordern Christen unterschiedlicher Prägungen bis heute heraus. All das tut Bonhoeffer – und noch wesentlich mehr.
Der vielschichtige Mensch
Wer seinen eigenen Standpunkt irgendwie untermauern möchte und dafür einen geeigneten Zitatespender sucht, wird bei Bonhoeffer sicher fündig. Wer einen netten Gedanken für eine Grusskarte sucht, ist bei Bonhoeffer an der richtigen Adresse. Doch wer sich auf diese Weise im BIRGing übt, verpasst die einmalige Chance, sich an einem faszinierenden Menschen und Christen zu reiben und ihn tiefer und besser kennenzulernen. Gerade ist bei Christianity Today Laura M. Fabryckys Bericht ihres ersten Besuchs im Berliner Bonhoeffer-Haus erschienen. Eigentlich wollte sie nur mal kurz dem Helden des Buchs, das sie gerade gelesen hatte, einen Besuch abstatten. Es blieb nicht bei einem Besuch. Schnell realisierte sie, dass der echte Bonhoeffer ganz anders war als ihr Bild von ihm. Sie liess sich darauf ein. Sie verlor ein Lieblingsbuch und gewann viel mehr: «Stattdessen habe ich einen Menschen unter anderen Menschen gefunden – einen Mann, der vor allem Gott gehörte. Und das bleibt auch heute noch ein gutes und schwieriges Geschenk.»
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Datum: 09.07.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet