Offener Brief an Verena Diener

Verena Diener, 55, war 1982 Gründungsmitglied der Grünen Partei der Schweiz, 1987-98 Nationalrätin und 1992-95 Präsidentin der Grünen Partei. Seit 1995 ist sie Mitglied des Regierungsrates des Kantons Zürich und Vorsteherin der kantonalen Gesundheitsdirektion. Im letzten Herbst wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert und operiert.

Liebe Frau Diener

Zuerst will ich mich kurz vorstellen, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Ich bin wie Sie eine Frau aus dem Kanton Zürich und aus Ihrer Generation. Neben freier journalistischer Tätigkeit arbeite ich auf dem Sozialamt der Stadt Winterthur und bin wie Sie Mutter von erwachsenen Töchtern.

Obwohl ich politisch eher mässig interessiert bin, sind Sie mir immer besonders aufgefallen. Bei aller Gradlinigkeit und Konsequenz, bei aller Stärke und manchmal auch Härte, die Sie an den Tag legen, haben Sie Ihre Weiblichkeit im politisch-männlich geprägten Umfeld nicht eingebüsst. Ihre Leitartikel in verschiedenen Publikationen, die mir im Beruf immer wieder begegnen, lassen mein journalistisches Herz jeweils höher schlagen. Sie bringen die Sache menschlich und politisch perfekt formuliert auf den Punkt.

Sie haben eine schwere Zeit hinter sich und diese offensichtlich tapfer und mit grossem Energieaufwand bewältigt. Im Herbst wurde bei Ihnen Brustkrebs diagnostiziert und danach operiert. Während der Chemo-Behandlung haben Sie es sich nicht nehmen lassen, möglichst täglich in Ihrem Büro auf der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich zu erscheinen und zu arbeiten. Im Frühling habe ich Sie ganz besonders bewundert, als Sie sich der Öffentlichkeit wieder stellten: ohne Ihre Haarpracht.

Ich muss es Ihnen gestehen: Das war für mich ein Schock! Wie gelassen Sie dann aber in einem Interview über diese Erfahrung sprachen, hat mich betroffen gemacht und auch sehr berührt. Ich staunte über Ihren Mut. Warum mich das so berührt hat? Erstens: Meine Haare sind mir auch wichtig; für mich wäre deren Verlust eine Katastrophe. Sie nennen es nicht Katastrophe, sondern ein Zeichen für den Verlust an Vitalität. Und zweitens: Vorsorgeuntersuchungen, Knoten in der Brust, Punktionen, Mammographie sind auch für mich keine leeren Worte. Ich bin ein- bis zweimal jährlich in der gleichen Mühle drin, doch bis jetzt gottlob immer ohne positiven Befund.

Sie sagten in einem Interview: "Schon vorher wusste ich: Mein Leben liegt nicht in meinen Händen. Dieser Boden hat mich auch jetzt getragen, als es "ernst" galt." Eigentlich ist es diese Aussage, die mich zu diesem Brief veranlasst. Mich würde interessieren, in wessen Händen Ihr Leben denn liegt und wie konkret dieser "Boden" in der Krise getragen hat. Genauere Ausführungen dazu könnten wohl für manchen Menschen, der in einer Krise steckt, hilfreich sein. Vielen fehlt der Boden, viele haben keine solche Geborgenheit. Wie kommen Sie dazu? Es würde mich freuen, wenn Sie diesen Satz erläutern könnten - in Ihrer gewohnt offenen Sprache, mit der Sie die Sache auf den Punkt bringen.

Ich könnte mir übrigens vorstellen, dass in letzter Zeit etliche Christen für Sie gebetet haben. Ich habe mir auch erneut vorgenommen, mehr für unsere Obrigkeit und für Menschen wie Sie zu beten. Ohne das Gebet fehlt uns doch der Zugang zu einer Quelle der Kraft und des Friedens, die wir dringend nötig haben. Vielleicht wäre es manchem Christen auch eine Hilfe, wenn Sie konkret sagen könnten, wofür gebetet werden könnte. Möchten Sie mir vielleicht zwei, drei Gebetspunkte nennen?

Ich wünsche Ihnen von Herzen gute Genesung, die Rückkehr der Vitalität, wieder eine schöne Haarpracht und noch viele Jahre gesunden Schaffens in der Politik. Und - vergessen Sie dabei auch Ihre persönlichen Bedürfnisse nicht! Gott segne Sie in Ihrem Amt und auch ganz persönlich!

Herzlich grüsst Sie
Esther Reutimann

Datum: 19.06.2004
Autor: Esther Reutimann
Quelle: Chrischona Magazin

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