Der gefährliche Griff zum süssen Fläschchen – Smirnoff-Debatte im Nationalrat

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Pierre Triponez

Sein Vorstoss hatte zwar keine Chance, doch er gab zu reden: Der Aargauer EVP-Nationalrat Heiner Studer verlangte am Montag in der Grossen Kammer ein Gesetz, das Alcopops überhaupt verbietet. Der Rat schlug einen anderen Weg ein, um dem explodierenden Konsum der verführerisch süssen Getränke zu wehren: Er folgte dem Ständerat und vervierfachte die Abgabe.

Alcopops, Süssgetränke mit gebrannten Wassern (4 bis 6,5 Prozent Alkoholgehalt), sind derzeit der Renner auf dem Markt: Innert zwei Jahren ist der Verkauf von 1,6 Millionen Flaschen à 2,75 Deziliter auf über 40 Millionen Flaschen angestiegen. Am beliebtesten ist ‚Smirnoff’. Zurzeit beträgt der Ladenpreis in der Schweiz rund 2.50 Franken.

Billiger als Cola: Wegbereiter des Mädchen-Alkoholismus

Die Kommissionssprecherin Lucrezia Meier-Schatz (CVP, SG) kritisierte in ihrem Eingangsvotum, dass Alcopops somit günstiger sind als eine Flasche Cola. Dies verleite Jugendliche in grosser Zahl zum Konsum, da die Verkaufsverbote und Präventionsmassnahmen nicht griffen. „Diese Getränke sind gefährlich. Sehr junge Menschen, das zeigen leider die Untersuchungen, gewöhnen sich damit an den Alkoholkonsum und gefährden möglicherweise ihre Entwicklung. Alcopops sind Wegbereiter des Alkoholkonsums bei Heranwachsenden.“ Meier-Schatz kritisierte, dass viele Eltern vom Alcopops-Konsum ihrer Kinder Kenntnis hätten, aber nichts dagegen unternähmen.

So trinken sich Immer mehr Schweizer Jugendliche – und viel mehr Mädchen – regelmässig einen Rausch an. Laut Meier-Schatz ist „der wöchentliche Alkoholkonsum bei Jugendlichen im letzten Jahr im Vergleich zu den Vorjahren drastisch angestiegen“. Er erreiche bei den 15- bis 16-jährigen Schülern eine Rate von 40 Prozent und bei den Schülerinnen von 25,8 Prozent. Dies müsse alarmieren. „Der Anstieg ist in erster Linie dem Bier und ganz deutlich den Alcopops zuzuschreiben. Bei den Schülerinnen sind die Alcopops das beliebteste Alkoholgetränk.“ Der typische Alkoholgeschmack fehlt; wegen des Zuckers und der Kohlensäure steigt der Promillespiegel im Blut schneller.

SVP: weniger Steuern wichtiger als Jugendschutz

Der Berner FDP-Vertreter und Gewerbedirektor Pierre Triponez wandte sich gegen die Ungleichbehandlung von alkoholischen Getränken: Alcopops aus Wein, Bier oder vergorenem Most würden von der Vorlage gar nicht berührt, nur Alcopops mit gebrannten Wassern. Der Jugendschutz müsse zwar ein Anliegen der Gesetzgebung bleiben, doch seien nicht die Produkte zu verteuern, sondern die Kontrollen zu verschärfen. Triponez beantragte Nichteintreten, da die Jugend so zum Umsteigen auf ein anderes Alcopop eingeladen werde.

Auch die SVP wollte die Vorlage abweisen – schon um dem Bund nicht mehr Einnahmen zu verschaffen. Ihr Sprecher, der Baselbieter Caspar Baader, sagte, im Elternhaus und in der Schule müsse wirksame Prävention betrieben werden. Und er verstieg sich zur Aussage, wenn der Staat die Steuer auf Alcopops auf Spirituosenbasis erhöhe und zwischen 40 und 60 Millionen Franken mehr einnehme, „ist das Geld, das letztlich unseren Kindern zum Sack herausgenommen wird… Unseres Erachtens ist das klar der falsche Weg für die Zukunft unserer Jugend!“

Evangelische: Für ein generelles Verbot

Heiner Studer verlangte dagegen namens der evangelischen und unabhängigen Fraktion die Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat. Er kritisierte das Fehlen einer umfassenden Alkoholpolitik: „Nach Artikel 105 der Bundesverfassung betrifft ja die Alkoholgesetzgebung nur den Schnaps; der Wein läuft unter Landwirtschaft, und das Bier unter den Finanzen.“

Als der Bundesrat wegen der WTO-Vorgaben die Besteuerung der inländischen und der ausländischen Spirituosen habe angleichen müssen, habe er auf allen gebrannten Wassern einen sehr tiefen Steuersatz festgelegt. „Die Folge davon ist, dass die Inländer selbstverständlich die Dummen waren, weil plötzlich die beliebten ausländischen Getränke wie Whisky usw. wesentlich billiger wurden.“

Studer plädierte für ein Verbot der Alcopops – wegen des Ausmasses, den der Konsum unter Jugendlichen innert weniger Jahre angenommen hat. Die Verteuerung werde den Konsum nicht genügend senken. „Wenn wir echt etwas erreichen wollen, dann müssen wir die jungen Menschen eben ganz vor dem Konsum schützen.“

Entwickelt, um Jugendliche abhängig zu machen

Der Berner SP-Mann Paul Günter hob hervor, dass Alcopops eigens entwickelt wurden, um Jugendliche und vor allem die jungen Frauen, die weder Wein noch Bier mochten, an den Alkoholkonsum zu gewöhnen. „Hier kann man wahrlich von einer gezielten und bewussten Verführung einer ganzen Generation von Jugendlichen sprechen.“

Je früher der regelmässige Alkoholkonsum beginne, desto grösser sei das Risiko, später süchtig zu werden, sagte Günter. “Aber das ist den Grosskonzernen natürlich noch so recht, denn sie finden in einem hart umkämpften Markt so neue Konsumenten, die ihnen dann lebenslänglich verbunden bleiben. Im Klartext: Die Alcopop-Produzenten fixen unsere Jugend an, um sie später als Alkoholkonsumenten zu haben.“

‚Heuchelei’: Alcopops und Cannabis

Günter kritisierte scharf, dass „unter den Gegnern der heutigen Vorlage Politiker sind, welche sich letzte Woche vehement gegen das Kiffen ausgesprochen, Plädoyers für Abstinenz gehalten und das Kiffen als grosse Gefahr stilisiert haben. Welch ein Paradox und welch eine Heuchelei! Der Schluss liegt nahe, dass Kiffen in den Augen der vehementesten Gegner gefährlich ist, weil man daran nicht verdienen kann, wie man an den Alcopops verdienen kann.“

Allerdings stellte sich der Berner Arzt und SP-Vertreter gegen Studers Antrag. Verbote und Repression funktionierten nicht, „so wünschenswert es wäre. Wir wissen es eben vom Handel mit anderen Drogen.“ Günter warnte vor einer Rückweisung – mit der Folge, dass lange nichts geschähe. Eine Lenkungsabgabe sei der einzig gangbare Weg.

Lucrezia Meier-Schatz stellte gegenüber Triponez in Aussicht, dass man weitere Getränke(sorten) verbieten werde, sobald sie ein ähnliches Gefahrenpotential darstellten. Der SVP-Fraktion rief sie zu, auch jetzt, nicht nur beim Cannabis den Jugendschutz höher zu gewichten als Wirtschaftsinteressen.

Der Nationalrat lehnte alle Minderheitsanträge klar ab und folgte Bundesrat, Ständerat und seiner Kommission. Somit steigt die Steuer für ein Fläschchen von 2,75 Deziliter von 45 Rappen auf 1.80 Franken, für eine 3-Deziliter-Flasche von 50 Rappen auf 2 Franken.

Datum: 01.10.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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