„Wehrlos“: Eine Familie in der Täuferverfolgung

Stilles Haus in unruhiger Täuferzeit: Der Spielplatz in Huben bei Dürrenroth.
Können wir dem Druck widerstehen? Peter (Mitte) berät sich mit der Familie (Bild: Markus Gygax).
Spürt den Zwischentönen nach: Ueli Remund, Autor und Regisseur.
Pragmatischer Landvogt, unerbittlicher Schultheiss: Meinungsverschiedenheiten auch im Machtzentrum (Bild: Markus Gygax).

Einer der stimmigsten Beiträge zum Täuferjahr ist das Freilichtspiel „Wehrlos“, das vor einem alten Bauernhaus abseits des Emmentaler Dorfs Dürrenroth dargeboten wird.

Das Stück zeigt, was eine Emmentaler Familie mit ihren Freunden in den unruhigen Jahren 1710-1713 erlebt haben könnte. Die Mutter Anna und die Tochter Vreneli besuchen die Bibelstunden, die umherziehende Täuferlehrer halten, der Vater Hans (der alle drei Kinder hat taufen lassen) hält die Verbindung zur Kirche, um Verhör, Enteignung und Vertreibung abzuwenden.

Familie auf Kollisionskurs mit dem Staat

Vom Kriegsdienst in Frankreich und Spanien desillusioniert, findet auch der Ex-Soldat Peter, bei der Familie als Knecht untergekommen, Halt in der Gemeinschaft der Täufer. Während der Schultheiss zu Bern dem Landvogt trotz dessen Einwänden die Jagd auf die bibelfesten Untertanen befiehlt, bahnt sich die Liebe zwischen Vreneli und Peter an. Setzt sich die Familie, wenn sie Täufern Unterschlupf bietet, der Zerstörung durch die Staatsgewalt aus?

„Wehrlos“ ist der Täuferjahr-Beitrag des Laupener Autors und Regisseurs Ueli Remund und der Spielleute Lützulfüher Spiulüt; mit der Laientruppe hatte er 2004 seine Bearbeitung des Gotthelf-Romans „Bauernspiegel“ zur Aufführung gebracht. Selber kein Täufer und kein Kirchgänger, wie er sagt, vertiefte sich Remund auf Anfrage der Spielleute in die Täufergeschichte und liess sich vom alten Roman „Passion zu Bern“ inspirieren. „Ich finde es nicht spannend, die Geschichte zu erzählen, die die schlimmstmögliche Wendung nimmt, wie das Drama es nahelegt. Zwischentöne sind spannender.“

Entschiedener Glaube und Pragmatismus

Den Fall, dass die Frau zu den „Brüdern und Schwestern“ gehörte, während ihr Gatte äusserlich der Staatskirche die Stange hielt, habe es im Emmental zig-mal gegeben, sagt Remund. Die Leute hätten versucht, sich ‚dürezmetzge’ und der harten Konfrontation auszuweichen. Wie sie dabei an ihrer Überzeugung festhalten und als Familie, Nachbarn und Täufergemeinschaft zueinander stehen, trotz groben Drohungen, Kerker, Folter und massivem Druck zur Denunziation, macht die innere Dynamik des Stücks aus.

Abschied für immer?

Zeitlich näher bei der Französischen Revolution als bei der Reformation angesiedelt, bildet „Wehrlos“ die spätere (nicht minder bittere) Phase der Täuferverfolgung ab, in der neben den Jurahöhen die Niederlande und Nordamerika als Emigrationsgebiete aufgingen. Die Konflikte in den Familien wurden darum vielleicht weniger herzzerreissend, aber gewiss noch komplexer. Denn wer mag, wenn er die Hügel des Emmentals liebt und den majestätischen Berner Alpengipfeln verbunden ist, im topfebenen Holland leben? Weg von Haus und Hof – ein Abschied für immer? Im Stück kehrt ein Täuferpaar, das unter dem Druck der Gnädigen Herren auswanderte, illegal zurück und braucht, vom Marsch ausgezehrt, erneut Unterschlupf…

Stilles Haus am Weg

Für einzelne Szenen wird der Thron des Schultheissen unter der Bühne hervorgeschoben. Das Übrige geschieht vor dem Haus, auf Kartoffelacker und Heuwiese, an Tisch und Brunnen. Ueli Remund hat „Wehrlos“ für diesen Schauplatz geschrieben, nachdem er ihn im Weiler Huben bei Dürrenroth gefunden hatte: ein altes Haus, das ein Täuferhof hätte sein können (und heute Neutäufern gehört), an einem Feldweg gelegen, im Schutz eines Hangs. Am Horizont steht unübersehbar der Schultheissenthron mit dem Berner Bär. Über die Wiese jagen die Beamten des Vogts – wie um 1700, als sie Schimpf, Haft und Armut über die Täufer von Dürrenroth brachten. Unter dem Sternenhimmel birgt das stille Haus am Weg die von Unbill Bedrohten – Sinnbild für das Urbedürfnis der Menschen nach Schutz.

Beinahe ausverkauft

Eine US-Mennonitin habe sich in den Frauen des Stücks wiedererkannt, sagt der Autor. Er staunt darüber, dass noch kein Insider etwas korrigiert haben wollte. Am letzten Samstag war das Spiel ausverkauft. 450 Personen waren nach Huben gekommen und von der Scheune, die dem Empfang dient und eine kleine Ausstellung bietet, nach acht Uhr zum Spielort hinüber spaziert. Remund glaubt, dass die Mund-zu-Mund-Propaganda wirkt und nun auch jene, die sich ein Stück mit Gewalt nicht antun wollten, zu Hans und Anna nach Dürrenroth kommen. Vreneli und Peter werden sich ihnen ins Herz spielen.

„Wehrlos“
Freilichtspiel der Lützelflüher Spielleute
in Huben bei Dürrenroth (Weg ausgeschildert)
Aufführungen bis am 17. August.

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Dossier Täuferjahr 1. Teil

Datum: 09.08.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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