Kanton Zürich

Erste Schweizer Kirche in Einkaufszentrum eröffnet

Erstmals sind die Landeskirchen des Kantons Zürich auch in einem Einkaufszentrum vertreten. Die reformierte Zentralkirchenpflege der Stadt Zürich im Einkaufs- und Freizeitzentrum «Sihlcity» in Zürich-Süd hat eine Kirche eröffnet.
Das Einkaufszentrum Sihlcity: statt Kirchturm ein Backsteinkamin.
Die drei Seelsorger Jakob Vetsch (reformiert), Guido Schwitter (katholisch) und Martin Bühler (christkatholisch) sind ab 22. März 2007 im neuen Einkaufszentrum Sihlcity tätig.

Geniessen, vergnügen, einkaufen, wohl fühlen und leben – Schlagworte, mit denen das neue Shopping- und Freizeitzentrum "Sihlcity" in Zürich für sich wirbt. Auch im Angebot: die erste Kirche in einem Konsumtempel. Das 100’000 Quadratmeter grosse Einkaufszentrum wurde gestern Donnerstag eröffnet.

Die Kirche befindet sich im ersten Stock eines denkmalgeschützten Gebäudes der ehemaligen Sihl-Papierfabrik. Hier gibt es keinen Kirchturm – dafür steht die Kirche hinter einem ebenfalls hohen Backsteinkamin. Die Anlage besteht aus Empfang, zwei Seelsorgerräumen und einer zirka 25 Quadratmeter grossen Kapelle.

"Wir möchten eine Kirche am Weg sein", sagt Hansruedi Kocher, Geschäftsführer des reformierten Stadtverbands Zürich. Das Seelsorgeangebot soll niederschwellig sein. "Zudem ist das Bedürfnis nach einem Gespräch mit einem unbekannten Seelsorger eine Zeiterscheinung."

Zu den Menschen gehen

"Die Kirche muss zu den Menschen kommen, statt darüber zu klagen, dass immer weniger den Weg zu ihr finden", sagt der katholische Seelsorger Guido Schwitter in der aktuellen Ausgabe der "Reformierten Presse" (Zürich). Er, Jakob Vetsch, reformierter Pfarrer, und Martin Bühler, christkatholischer Pfarrer, sind bald Kollegen. Sie werden als Seelsorger im neuen Einkaufszentrum Sihlcity in Zürich Süd zusammenarbeiten. Vetsch war in den neunziger Jahren Wegbereiter in der Internet- und SMS-Seelsorge.

Guido Schwitter: "Ja, ich bin davon überzeugt! Den Kirchen wird ja oft vorgeworfen, dass sie lebensfremd ihr Gärtchen pflegen und den lieben Gott zelebrieren. Nun wollen sie in Sihlcity präsent sein, dort, wo intensiv Leben stattfindet. Da gehört heute die Konsum-, Arbeits- und Freizeitwelt auch dazu. Statt zu jammern, dass die Menschen nicht mehr in die Kirche kommen, wollen die Kirchen auf die Menschen und ihr Alltagsleben zugehen: in einem unaufdringlichen und offenen Angebot des Da-seins und Mit-seins."

Befristetes Experiment

Die Sihlcity-Kirche ist ein auf vier Jahre befristetes Experiment. In der Trägerschaft sind die reformierten und katholischen Kirchengemeindeverbände von Zürich sowie die christkatholische Gemeinschaft des Kantons. Es ist das erste Projekt in der Schweiz, bei dem Gruppierungen aus allen drei Landeskirchen mitmachen.

Das Konzept lehne sich an das der bestehenden Bahnhofkirche in Zürich an: Alle seien willkommen, der Hintergrund sei aber christlich geprägt, so Vetsch.

Am Sonntag geschlossen

Die Kirche wird nur am Sonntag geschlossen sein – eine am Sonntag geschlossene Kirche? "Unser Angebot ergänzt jene der Kirchgemeinden, wir sind keine Konkurrenz", erklärt Vetsch. "Zu uns werden vermutlich auch Leute kommen, die nie in eine Kirche gehen." Diese könne man dann mit den regulären Kirchen vernetzen.

Wirtschaft daran interessiert

Dass eine neue Kirche inmitten von Bars, Nachtlokalen, Einkaufsgeschäften und Kinos entsteht, ist keineswegs selbstverständlich: Die Sihlcity-Kirche vertritt keine kommerziellen Interessen und verkauft keine Waren. Nichtsdestotrotz signalisierte die Bauherrschaft ihr Wohlwollen und die Bereitschaft, auf die spezifischen Wünsche der Kirchen einzugehen, wie Josef Arnold ausführt: „Die Verantwortlichen haben gemerkt, dass es auch im Interesse der Wirtschaft liegt, wenn für das Wohl der Menschen gesorgt wird, und dass der Gemeinsinn gerade durch ein Projekt wie dasjenige der Sihlcity-Kirche gefördert wird.

Man muss man auch sehen, dass Millionen für Renovationen von Kirchen ausgegeben werden, die dann nur wenige besuchen. Mit der Sihlcity-Kirche sind wir hingegen ganz im Mittelpunkt des Geschehens, da bauen wir am Leben.“

Migros Bern: Kein Ruheraum gewünscht

Martin Bornhauser, Kommunikationsleiter der Migros Bern, ist skeptisch. Zweimal bereits hatten die Berner Kirchen in den letzten Jahren beim Grossverteiler angeklopft, weil sie einen Gebetsraum in einem Shoppingzentrum platzieren wollten.

Beide Male teilte ihnen Bornhauser ein klares Nein mit. Ein Einkaufszentrum sei der falsche Ort für eine Kirche, findet er. "Wenn ich Ruhe und Besinnung benötige, gehe ich in die Natur oder in eine Kirche, aber sicher nicht ins Shoppingcenter", sagt Bornhauser und ergänzt, dass seit 20 Jahren kein Kunde je das Bedürfnis nach einem Raum der Stille im Einkaufskomplex geäussert habe. Den Versuch im Sihlcity werde er jedoch gespannt beobachten.

Neben der grössten Einkaufsfläche der Schweiz bietet Sihlcity diverse Unterhaltungs- und Freizeitangebote. Die Investoren erwarten im Grosszentrum tägliche Frequenzen von durchschnittlich 20’000 Besuchern.

Datum: 23.03.2007

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