Missbrauchsfälle

Forderung nach schwarzer Liste für pädophile Priester

In der Schweiz wird nach Bekanntwerden verschiedener Missbrauchsfälle die Forderung nach einem zentralen Register für fehlbare Priester laut. Gegenüber der «SonntagsZeitung» drängte der Einsiedler Abt Martin Werlen auf ein Zentralregister in Rom, «weil sich zeigt, dass Versetzungen von Priestern nicht nur innerhalb eines Landes geschehen». Der Bischof von Sitten und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), Norbert Brunner, verweist im Interview der «NZZ am Sonntag» auf die 2002 geschaffenen Strukturen zum Umgang mit Missbrauchsfällen, die «in der heutigen Situation sehr hilfreich» seien.
Abt Martin Werlen

Die Häufung, mit der in den letzten Wochen Missbrauchsfälle bekannt worden, überrasche ihn, so Brunner, der dies darauf zurückführt, dass «die Gesellschaft heute sensibilisierter auf sexuellen Missbrauch reagiert und das Thema in den Medien präsent ist». Die Häufung der Fälle ist nach Ansicht Brunners allerdings zu relativieren, weil sie sich auf mehrere Jahrzehnte beziehen. Unabhängig von der Anzahl Fälle, die publik werden, fordert der SBK-Präsident eine Untersuchung eines jeden einzelnen Falls.

Kein Handlungsbedarf

Konkreten Handlungsbedarf sieht der Sittener Bischof derzeit nicht: «Wir haben vor acht Jahren Richtlinien hierzu erlassen, haben ein Fachgremium eingesetzt und Stellen in jedem Bistum eingerichtet, die auch mit den zivilen Behörden zusammenarbeiten. Diese Strukturen sind nun, in der heutigen Situation sehr hilfreich.» Brunner sprach sich im Interview gegen eine Anzeigepflicht aus. Jeder Fall müsse separat beurteilt werden. Wenn das Opfer einverstanden sei, müsse man «unbedingt den Täter darauf aufmerksam machen, dass er die Pflicht hat, sich selber anzuzeigen».

Brunner betonte in dem Interview weiter, dass auch fehlbare Priester eine zweite Chance bekommen sollten: «Wenn ich die Garantie habe, dass sich sein Vergehen nicht wiederholt, dass er bereut und die nötige Wiedergutmachung geleistet hat, kann er durchaus in einer Aufgabe tätig bleiben.» Einen Zusammenhang zwischen den Missbrauchsfällen und dem Zölibat weist Brunner zurück. Auch eine allgemeine Entschuldigung der Institution Kirche «für die Tat eines anderen» sei problematisch. Brunner: «In erster Linie trägt der Täter die Verantwortung. Die Bischöfe haben aber die Pflicht, die Priesteramtskandidaten sorgfältig zu prüfen. Wenn es dennoch zu einem Missbrauchsfall kommt, dann müssen sie in erster Linie sofort dafür sorgen, dass keine Wiederholungsgefahr besteht und der Fall aufgearbeitet wird.»

«Hände gebunden»

Kritik an einer fehlenden Anzeigepflicht äusserte gegenüber der «NZZ am Sonntag» der Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, Andreas Brunner. Ohne Anzeigen seien den Untersuchungsbehörden die Hände gebunden. Er forderte von der Kirche einen Kulturwechsel hinzu einer grundsätzlichen Strafanzeige: «Ich sehe nicht ein, warum sich die Kirche hier anders verhalten sollte als ein Sportverein oder ein Kinderheim.»

Die Einrichtung eines römischen Zentralregisters für Priester, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben, forderte Einsiedler Abt Martin Werlen in Interviews verschiedener Sonntagszeitungen. Seine Forderung begründete Werlen, der dem 2002 gegründeten SBK-Fachgremium «Sexuelle Übergriffe in der Pastoral» angehört, damit, dass Versetzungen von Priestern nicht nur innerhalb eines Landes geschehen.

Im Priesterseminar Schulstoff

Die eigene Sexualität ist im Priesterseminar Schulstoff, erklärte Ernst Fuchs, Leiter des Churer Priesterseminars, gegenüber der «SonntagsZeitung». Vor einer Aufnahme müssen die Anwärter zudem psychologische Tests bestehen. Jeder zweite Anwärter wird nach Worten von Fuchs abgelehnt. Die Sexualität werde während der Ausbildung im Seminar regelmässig thematisiert: in jährlichen Vorlesungen, Gesprächen unter vier Augen und alle zwei Jahre in einem Wochenendseminar.

Mehr Klarheit vom Vatikan

Mehr Klarheit im Umgang mit Missbrauchsfällen wünscht sich der Luzerner Kirchenrechtler Adrian Loretan. Im Interview der Zeitung «Zentralschweiz am Sonntag» betonte er: «Es genügt nicht, zu warten, bis die Opfer Klage erheben vor einem staatlichen Gericht. Dazu sind die Fälle zu gravierend.» Er verwies auf den Vorstoss der bayerischen Bischöfe, die vor wenigen Tagen einstimmig beschlossen haben, künftig jeden Missbrauchsverdacht in der Kirche der Staatsanwaltschaft zu melden und diese Selbstverpflichtung in ihren kirchlichen Leitlinien so festzuhalten.

Loretan forderte, dass fehlbare Priester von allen Ämtern enthoben werden, «da sie durch ihr Verhalten für die kirchliche Gemeinschaft schweren Schaden verursacht haben». Für ihn stelle sich auch die Frage, «ob der Zölibat für leitende Personen in der Kirche als entscheidendes Auswahlkriterium richtig ist».

Forderungen auch aus der Politik

Forderungen nach einer «schwarzen Liste» für pädophile werden unterdessen auch aus der Politik laut. CVP-Präsident Christophe Darbellay äusserte in der Zeitung «Sonntag» den Wunsch nach einem nationalen Register für Pädophile in Kirchenämtern. «Wer Kinder missbraucht, darf nicht mehr mit Kindern arbeiten», so Darbellay. Mit einer nationalen «schwarzen Liste» lasse sich ein Berufsverbot für pädophile Priester umsetzen. Eine derartige Liste für verurteilte Kinderschänder gibt es laut «Sonntag» an Schweizer Schulen bereits seit zwei Jahren. Die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) registriert verurteilte Kinderschänder auf einer zentralen Liste; ein Eintrag ist mit einem Berufsverbot verbunden.

Unterstützung erhält Darbellay nicht nur von Parteikollegen. Einverstanden mit einer solchen Massnahme zeigte sich im Interview des «Sonntag» zeigte sich auch der Basler Generalvikar Roland-B. Trauffer, wenn damit «Übergriffe vermieden werden können». Einen Zusammenhang mit dem Zölibat sieht auch Trauffer nicht: «Sexuelle Gewalt wird in über 95 Prozent der Fälle von Männern verübt, die in Ehen oder festen Partnerschaften leben.» Der Basler Generalvikar wehrte sich zudem gegen «öffentliche Sündenbock-Reflexe» und «Stellvertreter-Debatten», die «viele alltägliche Abgründe» verdeckten. In den letzten 15 Jahren sei es in den Schweizer Kirchen zu rund 60 Missbrauchsfällen gekommen. Dass es im selben Zeitraum «Zehntausende aus familiäre und weltliche Umfeld sind», werde verschwiegen.

Datum: 23.03.2010
Quelle: Kipa

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