Hoffnung im Südsudan

Die Vergessenen machen Geschichte

Im Südsudan können die Menschen diese Woche für die Abtrennung oder den Verbleib im sudanesischen Staat votieren. Gunnar Wiebalck, Sklavenbefreier von CSI International, ist optimistisch für den neuen Staat im dunklen Herzen Afrikas.
Kinder von Rückkehrern aus dem Nordsudan.
Seit 15 Jahren im Südsudan aktiv: Gunnar Wiebalck mit einer Frau, die Hilfe brauchte (2005).
Kundgebung für die Abtrennung in Aweil-Stadt.

Livenet.ch: Gunnar Wiebalck, wo befinden Sie sich?
Gunnar Wiebalck: In Wanyjok (Aweil East) im nördlichen Bahr-El-Ghazal. Aus diesem Gebiet wurden in den Kriegsjahren 1983 bis 2005 mindestens 200'000 Schwarzafrikaner in die Sklaverei geführt.
 
Wie läuft die Abstimmung ab?
Alle Personen im Südsudan, die sich für das Referendum registriert haben, müssen auch abstimmen. Die Abstimmung geschieht mittels Fingerabdruck in das Feld "unity" für Einheit oder "separation" für Abtrennung. Wenn 60 % der Registrierten abstimmen, ist das Referendum zustande gekommen.

Ca. 4 Millionen Südsudanesen haben sich registriert. Es wird eine überwältigende Mehrheit für die Abtrennung erwartet. Vor wenigen Jahren galt es als unvorstellbar, dass es jemals zu so einer Abstimmung kommen würde. Nun scheint sich auch Khartum damit abgefunden zu haben, Omer al Bashir hat vor wenigen Tagen in Juba gesagt, dass er ein Votum für die Abtrennung akzeptieren wird.
 
Welche Hoffnung setzen die Menschen in die Unabhängigkeit?

Frieden vor Angriffen von aussen und auch Frieden im Inneren. Das Land wird in Zukunft über ca. 3/4 der Ölvorräte des Sudan verfügen. Ein Wirtschaftsboom erscheint möglich, sofern der von Präsident Salva Kiir Mayardit erfolgreich begonnene Süd-Süd Dialog zwischen den Stämmen im Süden ohne Störung von aussen fortgesetzt werden kann.
 
Was bedeutet die Abstimmung für ehemalige Sklaven?
Sie werden von einer erfolgreichen Abtrennung profitieren. Sie bedeutet auch, dass weitere Sklavenjagden in Zukunft sehr unwahrscheinlich geworden sind, da Südsudan militärisch gut gerüstet ist.
 
Welche Rolle spielen die Kirchen?
Dieselbe wie vor der Abstimmung. Die Kirchen im Südsudan sind lebendig und zum Brechen voll. Viele Menschen sehen in dem Referendum die Hand Gottes und die Erhörung ihrer innigen Gebete für den Frieden. Dass es jetzt zu einer Selbständigkeit des Südsudans kommen wird, erscheint wie ein Wunder.
 
Welche Bedeutung haben Christen im Übergang zur Eigenstaatlichkeit?

Ohne das Christentum im Südsudan hätten die Menschen niemals diese Kraft und das Durchhaltevermögen gehabt, den mit 60 Jahren längsten Krieg in der Geschichte des Kontinents durchzustehen: die fast drei Millionen Kriegstoten, Hunderttausende von Versklavten, die brutalen Bombardierungen sogar auf Orte, an denen Lebensmittel verteilt wurden, die Verstümmelungen von Menschen aufgrund der Scharia-Gesetzte usw. Der Durchhaltewille wird jetzt belohnt. Der expansive, politische Islam hat einen Rückschlag erlitten, der in seiner Tragweite noch nicht abgeschätzt werden kann. Für die Zukunft des Südsudans ist Optimismus angesagt.
 
Wie viel ist für den Aufbau von Schulen geschehen?
Es gibt jetzt bereits mehr Schulen als jemals zuvor. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele der Kinder in den Dörfern jetzt schon auf Fragen in Englisch Antworten geben. Schulen werden vom Staat und auch von vielen der hier tätigen NGO's gebaut und betrieben.
 
Wie präsentiert sich die Infrastruktur ausserhalb der Hauptstadt Juba?
Sie verbessert sich. Als wir vor mehr als 15 Jahren mit der Arbeit der Sklavenbefreiung starteten, mussten wir manchmal am Tag mehr als 30 Kilometer zu Fuss zurücklegen. Auf den neuen, schnurgeraden Strassen ist Entfernung kein Thema mehr. Die elektronische Kommunikation wurde aus dem Boden gestampft, von Null auf einen erstaunlich hohen Standard gebracht. Heute ist in grossen Teilen des Südsudans mobiler Telefonverkehr möglich und er wird bereits jetzt von sehr vielen Menschen genutzt.
 
Der sudanesische Staatspräsident Omar al-Bashir hat bei seinem Besuch im Süden erklärt, dass er das Ergebnis der Abstimmung akzeptieren will. Was ist davon zu halten?
Bashir ist es jedenfalls im Moment ernst mit dem Frieden im Südsudan. Er will und kann sich keine Kriegsfront im Süden leisten, da er innenpolitisch unter einem erheblichen Druck steht. Fast die gesamte nordsudanesische Opposition sieht in ihm einen Verräter, der den Süden aufgegeben hat. Das aufgebrachte Ägypten beschuldigt ihn, er sei der schlechteste Präsident, den der Sudan jemals hatte. In Darfur wird immer noch gekämpft. Bashir hat den Friedensvertrag mit dem Südsudan von 2005 im wesentlichen eingehalten. Wäre er gestürzt oder verhaftet worden (internationaler Haftbefehl), wäre die Entwicklung für den Süden vermutlich nicht so gut gelaufen.
 
Wie gross ist die Angst vor Repressalien gegen (nicht-muslimische) Südsudanesen im Norden?

Das muss man in der Tat befürchten. Sie sind Geiseln; Zehntausende sind immer noch Sklaven. Wenn ihre Rettung und Ausreise nicht gelingt, werden sie unter den unbarmherzigen Scharia-Gesetzen, deren verschärfte Umsetzung Bashir quasi als Kompensation für das Ziehenlassen des Südens angekündigt hat, enorm zu leiden haben. CSI wird deshalb sein Programm zur Sklavenbefreiung und zur Hilfe für Rückkehrer aus den Norden weiterführen und so weit wie möglich noch ausbauen.

Datum: 11.01.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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