Wycliffe-Serie

Kleenex und leuchtende Augen im Kongo

Sabine Müri arbeitet mit den Wycliffe Bibelübersetzern im Kongo. Sie bereitet sich auf einen Einsatz in einem Sprachprojekt in diesem Riesenland am Äquator vor. Vorerst hilft sie aber wegen Personalmangel in der Buchhaltung aus – obwohl sie das nur ungern macht...
Das Übersetzungsteam.
Sabine Müri
Das Lernen einer Sprache erfordert viel Zeit und Tee trinken
Das Wycliff-Feld-Zentrum.

Alle reden von Cyberspace. Wie kommst du ohne Breitbandanschluss zurecht?
Sofern sich die Stromunterbrüche hier in Grenzen halten und ich wenigstens meine Emails runterladen kann, bin ich ohne diesen Breitbandanschluss eigentlich ganz zufrieden. Ohne den eigentlichen Breitbandanschluss – den zu Gott – bin ich allerdings ziemlich verloren.

Wir arbeiten hier täglich an der Installation eines solchen Anschlusses für die Kongolesen. – Ich rede von der Bibelübersetzung. Ohne eine Bibel in der eigenen Sprache fühlst du dich wie jemand, der vor einem Computer ohne ADSL-Anschluss sitzt und zu Stosszeiten surfen will ... Wie das ist? Zum Haare ausreissen!

Was war das abenteuerlichste Mail, das du bei deinem Einsatz bisher erhalten hast?
Über 2 Millionen Dollar könnten ab sofort mir gehören! Wow, stell dir vor, was wir hier mit dieser Summe alles bewerkstelligen könnten! Plötzlich wären alle unsere finanziellen Engpässe verschwunden. Mein Puls schlägt schneller und gewinnt für ein paar Minuten die Oberhand.

Aber ... auf solche Mails antwortet man nicht, vor allem wenn man Unbekannten detaillierte Angaben über Bank und Konto machen muss. Der Boden der Realität ist schnell wieder erreicht – und der Aufprall tut ein bisschen weh.

Bestimmt ist nicht nur alles Honiglecken, was du in Afrika erlebst. Was ist für dich besonders herausfordernd?
Weisse Haut leuchtet in Afrika wie bei uns ein Glühwürmchen in der Nacht. Das tägliche Angestarrtwerden, die drehenden Köpfe überall, das Tuscheln, wenn man an einer Personengruppe vorbeigeht, oder die Kinder, die einem oft „Mundele, Mundele“ nachschreien, lässt mich manchmal (wirklich!) zu Hause versteckt bleiben. Kurz: Ich hasse das! Zum Glück habe ich mich bis jetzt beherrschen können und habe noch nie „Neger, Neger“ zurückgeschrien...

Was war das grösste Fettnäpfchen, in das du getreten bist?
Ich bin eine Fettnäpfchen-Vermeiderin – bis jetzt bin ich in keines getreten – oder wenn, dann habe ich es nicht bemerkt...

…und das Schönste, was du im Kongo erlebt hast?
Ort: Gottesdienst. Eine junge Afrikanerin ist sichtlich betroffen von der Predigt und steht weinend zwei Reihen vor mir. Ich organisiere ein Kleenex-Papiertaschentuch von einer Missionarskollegin und drücke es der jungen Frau in die Hand, eine kurze Berührung an der Schulter und ich setze mich wieder hin. Am Ende des Gottesdienstes kommt die Frau auf mich zu, sympathisches Gesicht, leuchten­de Augen. Sie fragt mich, wo ich wohne; sie wolle mich besuchen kommen.

Warum das das schönste Erlebnis ist? Die Frau hat mir Freundschaft signalisiert... etwas vom Kostbarsten, was eine Einheimische einer Fremden anbieten kann.

Musstest du bei deinem Einsatz schon 'mal etwas machen, von dem du vor deiner Ausreise sagtest, so was würdest du nie machen?
Oh ja! Buchhaltung. Es war (nein, es ist immer noch) schrecklich. Nach Überwindung wurde schlicht nicht gefragt – ich muss es tun, weil ich vorübergehend schlicht die einzige bin, die damit einigermassen zurecht kommt – und die Angestellten wollen ja ihren Lohn.

Bist du schon mal nachts aufgewacht und hast gewünscht, du wärst wieder zuhause?
Welche Frage! Natürlich! Mücken, Kakerlaken, Ameisen (in Milch, Brot, Honig und auch sonst überall), Hitze, nur kaltes Wasser, Stromausfälle (damit verbunden: schimmelnder Food im Kühlschrank), immer nur Reis zum Essen (ja, ja, auch im Kongo), überall und immer starrende Afrikaner lassen mich träumen von Schneebergen, warmen Duschen, Röschti, einem unauffälligen Bummel zu Hause und Freunden, die mich ganz okay finden, so wie ich bin.

Wie gestaltet sich dein Umgang mit Einheimischen?
Wir haben ein paar Einheimische als Angestellte (Übersetzer, Wächter, Haushalthilfen), mit denen wir täglich zu tun haben. Zudem sind da Bekannte von der Gemeinde, zu denen sich aber in der kurzen Zeit, in der ich hier bin, noch keine regelmässigen Kontakte ergeben haben. Und dann natürlich die Leute bei denen ich regelmässig einkaufen gehe: der Brotverkäufer, die zwei Frauen vor der Bäckerei, von denen ich Früchte kaufe, der Velohändler vorne an der Strasse, der Senegalese im Tante-Emma-Laden, der Typ bei der Tankstelle oder mein Tennislehrer, der mich 2x in der Woche trainiert.

Wie erlebst du diesen Umgang mit Einheimischen?
Ich komme immer dann aufgestellt nach Hause, wenn mir die Begegnung mit Einheimischen vermittelt hat: „Es ist ok, dass du hier bist – so (anders), wie du bist.“ Frustrierend ist es immer dann, wenn ich als reiche Weisse betrachtet werde, die nur dazu da ist, Kongolesen ebenfalls reich zu machen. Polo Hofer lässt dann grüssen: „...oder bin i öppene Bank, oder gsehn i uus wienes Hotel oder wiene Kasseschrank?“


Was hilft dir in dieser Situation?

Ich bin am Lernen, Fremden auf der Strasse einfach Nein zu sagen, sie zu ignorieren, sie gar nicht erst anzuschauen. Ein lautes Wort kann helfen, Passanten auf meine Situation aufmerksam zu machen, und schon mancher Kongolese ist mir zu Hilfe geeilt.

Was können Christen in der Schweiz von Christen im Kongo lernen?
Dass unser Leben mit Jesus und unsere Botschaft nicht etwas ist, worüber man sich schämen muss oder worüber man besser schweigt. Glaubensfragen sind kein Tabuthema hier.

Wie denkst du jetzt anders über Mission als vor deiner Ausreise?
Mission ist nichts für Schwächlinge oder Weicheier (wobei die Kriterien dafür nicht unbedingt im physischen Bereich zu suchen sind) oder aufgeblasene Heroen. Und: die Mission lässt dich nicht dein Leben verlieren; du gewinnst es erst richtig zurück. Vor meiner Ausreise dachte ich da ziemlich anders.

Geht den Surfer, der auf dieses Interview gestossen ist, Mission heute überhaupt noch etwas an?
Einer meiner grössten Denkfehler war, Mission mit aus der Mode gekommenen, Röcke tragenden Missionarinnen mit Huppi gleichzusetzen, denen man schon auf 1km Distanz ansieht, dass sie langweilige, verstaubte, strenge Leute sind. Das hat mich jahrelang davon abgehalten, Mission ernst zu nehmen oder gar für mich in Betracht zu ziehen.


Welches Bild von Mission hast du? Mache es besser als ich und lass es dir möglichst bald – wenn nötig – korrigieren. Junge, knackige Leute sind gefragt, hier und zu Hause, denen Mission wichtig ist...

Mehr zu Sabine Müri – inkl. Spiel zum Herunterladen: www.smueri.ch/main/mainset.html

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Autor: Hannes Wiesmann
Quelle: Wycliffe Schweiz, www.wycliffe.ch

Datum: 19.01.2005

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