Joel Edwards

Gerechtigkeit macht glücklich

Was ist die eigene weisse Weste wert, wenn andere Menschen zu kurz kommen und ausgebeutet werden? Livenet traf Joel Edwards, den Leiter von Micah Challenge. Das internationale Netzwerk von StopArmut 2015 kämpft für eine gerechtere Welt.
Unermüdlicher Motivator: Joel Edwards sieht ein grosses Potenzial im Einsatz für die Armen.

Der Brite Joel Edwards gehört zu den Fürsprechern der Armen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, aber auch bibelfest sind. Er zitiert den Appell aus dem Alten Testament: «Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen» (Die Bibel, Sprüche, Kapitel 31, Vers 8). Damit täten sich Kirchen im Westen – und besonders bibelorientierte Christen (Evangelicals) immer noch schwer. «Wir haben zwar Fortschritte gemacht von rein privater Frömmigkeit zu einer Frömmigkeit, die mit Heiligkeit und sozialem Engagement verbunden ist.» Doch das Eintreten für die Armen im Sinn einer Fürsprache, die alle Zusammenhänge umfasst (Advocacy), falle Evangelicals weiterhin schwer. «Strukturelle Fragen sind den Kirchen noch immer unangenehm.»

Von Propheten motiviert

Die Kampagne, die mit Bezug auf den Aufruf des Propheten Micha international «Micah Challenge» heisst, läuft in der Schweiz als «StopArmut 2015». Joel Edwards sieht das Jahr 2015, für das die Vereinten Nationen ihre Millenniumsziele zur Halbierung der Armut formulierten, rasch näher kommen. Kirchen würden ihrem prophetischen Auftrag, Fürsprecher der Armen zu sein erst im Ansatz entsprechen. «Viel ist noch zu tun, damit das Eintreten für die Armen in den Kirchen selbstverständlich zur Verkündigung der guten Botschaft von Jesus Christus dazugehört.»

Gerechtigkeit als Kerngeschäft

Zentral dabei ist Gerechtigkeit. Joel Edwards legt Wert darauf, nicht von sozialer Gerechtigkeit zu reden, sondern von biblischer Gerechtigkeit. Die Bibel, namentlich die Propheten des Alten Testaments hätten gesellschaftliche Übel angeprangert und nicht nur auf persönliche Rechtschaffenheit der Menschen gedrängt, sondern auf systemische Gerechtigkeit im Staat.

Die Auffassung von Gerechtigkeit, die Christen vor 200 Jahren zum Kampf gegen die Sklaverei motivierte, fehle heute in der evangelikalen Verkündigung weithin. «Wenn wir eine von der Bibel bestimmte Gemeinschaft sein wollen, ist es ein ganz wichtiger Teil unseres Auftrags, Gerechtigkeit wieder zum Kerngeschäft zu machen. Gerechtigkeit wie sie im Evangelium im Zentrum steht. Der Einsatz für Gerechtigkeit ist nicht eine Extra-Tätigkeit, der man sich in der Freizeit widmet, wenn man Lust hat. Dass dieser wesentliche Wandel in Kirchen stattfindet, daran arbeiten wir.»

Die ersten Christen als Vorbild

Im Unterschied zum Volk der Israeliten, das mit Gottes Geboten lebte, bewegten sich die ersten Christen in der heidnischen Gesellschaft des Römerreichs. Joel Edwards weist darauf hin, dass sie trotzdem Gerechtigkeit ganzheitlich verstanden. Die erste christliche Gemeinde in Jerusalem setzte Diakone ein, nachdem sie die verletzlichsten Menschen in der Gemeinschaft identifiziert hatte: Witwen von (zugezogenen) griechischsprachigen Juden. Die Gemeinde entschied, dass sie täglich Nahrung erhalten sollten. Für Joel Edwards ist dies beispielhaft für integrale Mission: Indem die Gemeinde die Ungerechtigkeit behoben habe, sei sie in der Verkündigung noch dynamischer geworden (Apostelgeschichte 6).

Reiche nicht bevorzugt

Der Leiter von Micah Challenge betont, die ersten Christen hätten «in radikaler Weise die Gleichheit der Menschen gelehrt, weil sie der Gerechtigkeit verpflichtet waren. Gleichheit innerhalb der Gemeinschaft und über sie hinaus. Jakobus machte klar, dass Reiche nicht bevorzugt werden dürfen – kein Ansehen der Person, keine Zweiklassengesellschaft, sondern Respekt für jeden. In dieser Gemeinschaft werden auch Frauen ermächtigt!»

Joel Edwards bricht eine Lanze für Paulus, der überhaupt kein Frauenhasser gewesen sei. «Es war im 1. Jahrhundert viel radikaler, Männer aufzufordern, ihre Frauen zu lieben, als Frauen zu sagen, sich den Gatten unterzuordnen» (Epheser 5,22). Im Brief an den Sklavenbesitzer Philemon wagte es Paulus, dessen entlaufenen, zu ihm geflüchteten Sklaven Onesimus als seinen Bruder zu bezeichnen. «Die ersten Christen sind nicht frontal gegen die Sklaverei vorgegangen. Sie haben das System aber gesellschaftlich und theologisch zu unterminieren begonnen.»

Transformation für Europa

250 Jahre später sah Europa anders aus. «In wenigen Generationen wurden grundlegende Institutionen wie die Sklaverei und das Verhältnis der Geschlechter, die während Jahrtausenden praktisch gleich geblieben waren, unterminiert. Das ist Transformation!» Joel Edwards wird nicht müde, eine gesellschaftliche Umwälzung in Richtung Gerechtigkeit auch in den westlichen Ländern zu erhoffen und anzustreben.

Webseiten:
«Micah Challenge»
«StopArmut 2015»

Datum: 18.02.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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