Berater im Netzwerk

Das Feinste im Gegenüber entdecken

Berater sind wie Trüffelschweine: Mit untrüglichem Gespür für verborgene Kostbarkeiten gehen sie auf Menschen ein, die Rat suchen. An ihrer Tagung in Zürich ging es auch um Schwellen und Lücken im Schweizer Sozialwesen.
Beratung

Die Tagung führte am 15. September gut hundert Personen zusammen, die in verschiedener Art beraten (Seelsorger, Psychologen, Besuchsdienst im Gefängnis, Psychiater, Diakone, Therapeuten). Der Mediziner Prof. Gerd Nagel, der den Vergleich mit den Trüffelschweinen anbrachte, riet den Teilnehmenden, sich als Beratende nicht überzubewerten, dafür aber die Klientenkompetenz zu stärken.

Eigene Ressourcen einsetzen

Nagel war selber einmal von Blutkrebs betroffen. Er betonte in seinem Vortrag, dass jeder Mensch über Kräfte der Selbstheilung verfüge. Aber wie hilft man anderen, ihre eigenen Ressourcen zu erkennen? Wie stärkt man diese inneren Quellen, und wie kann man sie bei Krankheit, Krise oder Befangenheit selbstkompetent einsetzen? Interaktiv und gewitzt erzählte Nagel davon, wie er sich von einem mechanistisch-medizinischen Weltbild verabschiedete, um Menschen heute da weiterzuführen, wo sie gerade sind. Im zweiten Hauptreferat wies Rechtsanwältin Cornelia Kranich als Co-Leiterin der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt des Kantons Zürich eindrücklich darauf hin, wie sich häusliche Gewalt zeigt und was Beratende zum Schutz der Betroffenen tun können.

Schwellen im Sozialwesen abtragen

Beratende stehen vor der Tatsache, dass manche Menschen es einfacher hätten, wenn sie vorhandene Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen würden – aber aus verschiedenen Gründen sind die Schwellen zu den Stellen im Sozialwesen zu hoch. Wo und wie sind Begleiter und Berater mitbeteiligt an Zugangsbarrieren? Wie können sie abgebaut werden? Andere Menschen suchen Hilfe, aber sie werden stillschweigend übergangen, weitergereicht – oder niemand will für erbrachte Dienstleistungen bezahlen. Wie können Lücken überbrückt, wie Löcher gestopft und zugleich die Selbstkompetenz der Ratsuchenden erhöht werden? Deutlich wurde an der Tagung der Wille zur Zusammenarbeit von Fachleuten, Ehrenamtlichen und Kirchen.

Erfahrungsberichte

Ein Dutzend Workshops beleuchteten Detailfragen von Schwellen und Lücken: Gibt es mit der fünften und sechsten IV-Revision neue Wege aus Erwerbslosigkeit und Rentendasein, oder findet nur eine Verschiebung zur Sozialhilfe statt? Dazu nahm Markus Roth von der IV-Stelle in Zürich Stellung. Welche Stolpersteine und Chancen in der Begleitung depressiver Menschen entstehen, diskutierte der Fernseh-Moderator und Buchautor Ruedi Josuran. Wie kann Begleitung über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg gelingen? Zu einem intensiven Erfahrungsaustausch im Umgang mit Asylanten und den politischen Rahmenbedingungen leitete Pfarrerin Bettina Wiesendanger Riahi an, Seelsorgerin in einem Empfangszentrum. Wie man dank «palliative care» würdig bis zum Tod leben kann, berichtete Christoph Schürch aus Winterthur. Jürg Geilinger vom Netz4 im Zürcher «Chreis Cheib» machte Mut, Menschen an Hecken, Zäunen und Strassenrändern zu besuchen und Beziehungen aufzubauen.

Menschen in Gemeinschaften hineinnehmen

Dass Supervision schon zu Beginn eines gelungenen Beratungsprozesses – nicht erst wenn‘s schwierig wird – richtungsweisend wirkt, machte der Workshop von Dorothea Schär, Cornelia Beck und Ursula Schilling deutlich. Wie mit sachten körpertherapeutischen Methoden ein Dialog zur Traumaheilung in Verbindung mit Seelsorge entsteht, demonstrierte Pfrn. Renata Huonker-Jenny. Pfr. Thomas Widmer vom Haus Moosrain in Riehen berichtete, wie Menschen ohne subventioniertes sozialtherapeutisches Konzept in Hausgemeinschaften integriert werden, um Versorgungslücken zu füllen. Wie können öffentliche Kinderschutzstellen und Sozialdienste in einer guten Zusammenarbeit mit Beratern die unvermeidlichen interdisziplinären Hindernisse überwinden? Dazu leitete Ugo Bertona mit seinen Erfahrungen an. Der Allgemeinpraktiker Dr. Beat Schär machte Mut, im Beratungs-Alltag authentisch Christ zu sein.

Breite Trägerschaft

Die so genannte Netzwerk-Tagung (nicht zu verwechseln mit der Commission 12 des evangelistischen Netzwerk Schweiz) fand zum viertenmal in zehn Jahren statt. Sie wurde von den Fachverbänden ACC, AGEAS, CDK, CISA und VBG organisiert. Sie wollte dort hinschauen, wo Not ist und andere wegschauen, und den Finger hinhalten, wo systematische Diskriminierung gewisser Menschen erlebt wird. Darüber hinaus trug sie dem Bedürfnis beratender Personen Rechnung, die oft im «stillen Kämmerlein» arbeiten und schwere Schicksale mittragen. Sie benötigen Austausch, Anregung und Support. Im Zuge der Vernetzung der Fachverbände sind in den letzten Jahren verschiedene regionale Netzwerke entstanden.

Datum: 28.09.2012
Autor: Karl Flückiger
Quelle: Livenet

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