Mach dich auf den Weg

Was hat Gott mit meinem Leben vor?

Wie weiss ich, dass ich zu eine besonderen Dienst berufen bin? Kann sich die Berufung im Laufe des Lebens ändern? Dazu Antworten von Horst Schaffenberger.
Horst Schaffenberger ist Leiter des Theologischen Seminars St. Chrischona.

Chrischona-Panorama: Herr Schaffenberger, wie hat Gott Sie zum geistlichen Dienst berufen?
Horst Schaffenberger: Ich bin ein klassischer Fall. Ich spürte eine innere Berufung und erlebte eine äussere Berufung als Bestätigung. Mit 15 Jahren bin ich Christ geworden, eine klassische Bekehrung bei einer Evangelisation. Das war für mich eine Lebenswende mit spürbaren Veränderungen. Ich war sofort mit Feuer und Flamme für Jesus unterwegs und schon in der Woche darauf bei einem ersten missionarischen Einsatz auf der Strasse. Ich wollte Missionar werden, der «vollzeitliche Dienst» war mein Ziel. Dann habe ich mich beraten lassen von Leuten, die sagten, lern erst mal einen «normalen» Beruf. Wenn sich dein Wunsch festigt – früher sprach man gerne von Bewährung im Glauben – kannst du immer noch auf eine Bibelschule gehen.

Die «innere Berufung» war also der Drang: Ich will Missionar werden. Was war die «äussere Berufung?»
Zu der Zeit war ich in der Jugendarbeit sehr aktiv. Ich konnte meine Gaben ausprobieren. Von Mitarbeitern und vom Pfarrer hörte ich deutliche Signale: Wenn wir jemanden aus der Jugendgruppe für den hauptamtlichen Dienst empfehlen können, dann den Horst. 1980 bewarb ich mich am Theologischen Seminar St. Chrischona. Ich wurde angenommen. Das war für mich damals ein deutliches Signal, dass es die richtige Entscheidung war. Die Aufnahme am Theologischen Seminar war eine erste äussere Bestätigung der Berufung.

Es braucht also eine äussere Bestätigung einer inneren Berufung. Da hatten es die Jünger im Neuen Testament leichter: Sie hörten den Ruf «Folget mir nach» direkt aus dem Mund von Jesus und brauchten keine Bestätigung mehr.

Das Neue Testament kennt aber auch Geschichten, wo Menschen von Paulus relativ unspektakulär für den Missionsdienst rekrutiert werden, zum Beispiel Timotheus. Wir lesen nur die Namen derjenigen, die mit Paulus im Missionsteam waren. Die Berufungsgeschichten der Einzelnen werden uns nicht geschildert. Es ist wichtig, dass Berufung nicht nur ein innerer Prozess ist. Wir kommen von der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts und einem Berufungsverständnis her, das die innere Berufung und möglichst ein spektakuläres, emotionales Berufungserlebnis in den Mittelpunkt stellt. Ich nenne das die ausklingende Romantik, von Gefühlen gesteuert. Heute befinden wir uns am anderen Ende der Skala: Wir müssen die Berufung, die jemand persönlich spürt und gehört hat, bestätigt bekommen. Das macht auch Sinn. Wenn innere und äussere Berufung nicht übereinstimmen, haben wir ein Problem.

Zum Beispiel wenn jemand das Gefühl hat, für den Dienst als Pastor berufen zu sein, aber Menschen aus seinem Umfeld das nicht so sehen?
Ja. Wenn zum Beispiel ein Bewerber für die Ausbildung am Theologischen Seminar von seiner Berufung überzeugt ist, aber seine Gemeinde, sein Mentor oder Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, dies gar nicht sehen – dann müssen wir sehr genau prüfen. Man darf die Messlatte aber auch nicht zu hoch setzen. Wenn innere und äussere Berufung nicht übereinstimmen, sollte man nicht automatisch die äussere für die richtige halten und die innere zunichte reden. Man muss dann sehr genau prüfen: Was ist das für ein Mensch, was treibt ihn, was motiviert ihn? Wenn er nicht in das idealtypische Gabenprofil eines Predigers oder Pastors hineinpasst, hat er vielleicht seine ganz spezielle Berufung im Reich Gottes. Ich kenne junge Männer, die auf St. Chrischona studiert haben, die würden als «normale» Prediger eingehen. Sie haben ihren Platz gefunden in der Jugendarbeit, in evangelistischen oder sozialdiakonischen Aufgaben. Wenn das Theologische Seminar sie nicht genommen hätte, weil einer ihrer Referenzen Bedenken gehabt hat, dann hätten wir ihnen den Zugang verwehrt zu einer guten Arbeit, die sie jetzt leisten. Wir Menschen entwickeln uns schliesslich immer weiter. Wenn wir am Theologischen Seminar unseren Studenten helfen, dass sie ihre richtige Berufung finden, haben wir schon viel erreicht.

Wenn man seine Berufung gefunden hat – ist dann alles gelaufen?
Mein Berufungsverständnis hat sich in diesem Punkt gewandelt. Früher stand die Berufung am Anfang und musste möglichst klar sein. Damit war alles im Kasten. Dann kam die Ausbildung, danach der Dienst. Da konnten sich Prediger zeitlebens auf ihre Berufung zurückbesinnen. In Krisen kann das ein Halt sein, aber auch eine Last: Aber Gott hat mich doch berufen, auch wenn es im Dienst nicht so richtig klappt. Berufung kann an der Stelle auch psychischen Druck erzeugen: Ich bin doch berufen, ich kann da nicht mehr raus. Das verhindert, die Berufung auch mal kritisch zu hinterfragen.

Die Berufung kann sich also mit der Zeit auch ändern…
Die Berufung ist ein Weg. Für mich steht am Anfang einer theologischen Ausbildung nicht einfach ein Berufungserlebnis, mit dem alles klar ist. Der Beginn der Ausbildung ist erst der Anfang. Berufung muss sich bestätigen: durch die Ausbildung, durch die Praxiserfahrungen während der Ausbildung, in der Ordination (der Einsetzung in einen geistlichen Dienst) und in den ersten Dienstjahren. Das ist ein Weg, der nicht am Ende der Ausbildung schon beendet ist, sondern bis in die ersten Dienstjahre hinein reicht. Ich habe das selbst so erlebt an meiner ersten Arbeitsstelle in einer Gemeinde. In den ersten zwei Dienstjahren habe ich alles Mögliche gemacht und dabei herausgefunden, welches meine Stärken und Schwächen sind, was ich gerne tue, und was nicht. Danach habe ich sieben Jahre im Jugendverband des Chrischona-Gemeinschaftswerks Deutschland gearbeitet. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich Jugendarbeit zwar gerne mache, aber dass ich auch gerne predige und in der Ausbildung und Lehre tätig bin. Es ist mitunter ein langer Weg, bis man mit Überzeugung sagen kann: Der Platz, an dem ich jetzt stehe, ist genau der richtige. Bei manchen geht das schneller, andere brauchen länger – die Zeit muss man sich geben, damit sich Dinge verfestigen können. Das gilt auch für andere Berufe, aber für den Prediger-Beruf besonders.

Beruf und Berufung – worin besteht der Unterschied?
Ich finde es gut, dass zwischen den Wörtern Beruf und Berufung ein deutlicher Zusammenhang besteht. In jedem Beruf ist es wichtig, dass ich den richtigen Platz finde, an dem die Gaben, die mir Gott geschenkt hat, zur Erfüllung kommen. Manche sind berufen für den geistlichen Dienst, andere als Krankenschwester, Bankangestellte oder Journalisten. Natürlich kann ich neben «geistlichen Berufen» auch andere Berufe als Berufung leben, wenn ich merke: Das ist der Platz, an dem ich als Christ meine Gaben und Begabungen einsetzen kann und Freude daran habe.

Muss ich für meine Berufung schon begabt sein – oder schenkt das dann Gott?
Manche sagen, für die Aufgabe, zu der Gott mich beruft, gibt er mir auch die Gaben. Das würde ich hinterfragen. Ich glaube, es ist umgekehrt: Mit meinen Begabungen und Gaben – manche muss ich neu entdecken – bin ich in der Lage, ein bestimmtes Berufsfeld im Reich Gottes auszufüllen. Ich würde sagen, normalerweise führt Gott einen bestimmten Dienstplatz und eine bestimmte Person mit ihren bestimmten Gaben zusammen. Meine Erfahrung ist, dass es oft schief geht, wenn Leute an Orten sind, für die sie nicht begabt sind.

Hat jeder Christ eine spezielle Berufung?
Jeder Christ ist berufen, in der Gemeinschaft mit Jesus zu leben, das bedeutet auch zum aktiven Leben in einer Gemeinde. Das gehört für mich zur Grundausstattung der Berufung eines jeden Christen. Darüber hinaus kann mich Gott für spezielle Dienste berufen: in der Gemeinde, im Beruf, in meiner Freizeit, in eine soziale Aufgabe oder eben als Missionar, Prediger oder Pastor. Ich glaube auch, dass es eine Berufung für politisches Handeln gibt.

Was, wenn ich verzweifelt nach meiner Berufung suche – sie aber nicht finde? Das kann mich auch unter Druck setzen.
Wir sollten Menschen helfen, dass sie ihren Weg finden, und sollten ihnen den Druck nehmen, der in manchen frommen Kreisen noch herrscht. Ein Beispiel: Bevor man eine Berufsausbildung beginnt, braucht man nicht absolute Klarheit darüber, dass dies von Gott genau so gewollt ist. Man kann eine Ausbildung, ein Studium oder sonst eine Tätigkeit auch wieder abbrechen, wenn man merkt, dass das nicht der richtige Weg war. Das ist doch kein Problem. Manchmal braucht es auch den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen. Im Ausprobieren merkt man schliesslich, was das Eigentliche ist. Die Einen brauchen dafür etwas länger als die Anderen. So kommt man Schritt für Schritt seiner persönlichen Berufung – auch im «normalen» Beruf – auf die Spur.

Datum: 25.04.2012
Autor: Michael Gross
Quelle: Livenet / Chrischona Panorama

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