Ein Haus der Religionen

Lehrhaus

Das Zürcher Lehrhaus feierte am 24. Oktober sein 10-jähriges Bestehen. Ziel dieser Arbeit ist, sich mit den Wurzel des Christentums, dem Judentum, auseinander zu setzen. Neu will man sich auch mit dem Islam befassen.

Der christliche und der jüdische Leiter, Hanspeter Ernst und Michel Bollag, und der Präsident der Stiftung Kirche und Judentum Zürcher Lehrhaus, Karl J. Zimmermann, gaben aus diesem Anlass ein Interview über Ziele, Erfolge und Probleme

Christiane Faschon: 10 Jahre Zürcher Lehrhaus, Dialog zwischen Christentum und Judentum und zunehmend auch mit dem Islam - was bedeutet dieser Geburtstags für jeden einzelnen von Ihnen?
Michel Bollag:
Das Lehrhaus hat seinen Weg gemacht. Ich freue mich darüber, dass es Erfolg hat und dass wir durchgehalten haben.

Hans-Peter Ernst: Michel hat den Aspekt der Freude betont. Ein anderer Aspekt ist, dass solche Feste auch Anlass zur Standortbestimmung sind. Wir werden zunehmend auch von religiös nicht sozialisierten Personen wahrgenommen. Die Laien, die hierher kommen, haben einen grossen Wissensdurst und sind bereit, einen bedeutenden Einsatz zu leisten. Die Dialoglandschaft in der Schweiz hat sich jedoch geändert. Das Lehrhaus ist und war ein Experiment; deshalb ist es konsequent, dass neben Judentum und Christentum neu der Islam als gleichberechtigter Partner hinzukommt.

Wo sieht das Lehrhaus seinen Platz in der Bildungslandschaft und in der Gesellschaft?
Ernst: Wir arbeiten einerseits auf Volkshochschulniveau, grosse Vorkenntnisse werden hier nicht vorausgesetzt. Allerdings verlangen die Kurse eine intellektuelle Neugier und einen gewissen Einsatz. Weiter arbeiten wir mit Universitäten zusammen, etwa mit Zürich und Bern. Dazu kommen Kurse an Pädagogischen Hochschulen, in der Weiterbildung von Lehrkräften. Ausserdem engagieren wir uns in der Forschung.

Bollag: Unsere Spezialität sind die dialogisch von jüdischen und christlichen Dozenten gemeinsam geführten Kurse zu biblischen und theologischen Themen. Wir wollen in Zukunft noch vermehrt ein Kompetenzzentrum auch für gesellschaftliche Gruppen und politisch Verantwortliche werden.

Karl Zimmermann: Deshalb hat sich der Stiftungsrat einstimmig für eine Neuorientierung ausgesprochen. Alle drei Religionen sollen im Vorstand des Lehrhauses mitarbeiten. Die Stiftung für Kirche und Judentum, die dieses Jahr 175 Jahre alt wird, wird in eine neue Stiftung übergeführt, zu der auch nichtkirchliche Partner gehören. Wie etabliert das Lehrhaus im Kanton ist wird im Engagement von politischer – kantonaler wie städtischer - kirchlicher und privater Seite für das Jubiläum sichtbar.

Das Lehrhaus bietet Kurse im Bereich christlich-jüdisch-muslimischen Dialog an. Welche sind erfolgreich?
Bollag: Die Hebräischkurse werden gut besucht, sonst nimmt die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Abendkursen eher ab. Das ist ein neues Phänomen. Dagegen sind Tageskurse für einen bestimmten Kreis, etwa für kirchliche Lehrpersonen, sowie im Bereich Dialog oder etwa die Einführung in den Islam gefragt.

Wo bestehen heute die Gemeinsamkeiten und die Probleme zwischen Christentum, Judentum und Islam?
Bollag: Christentum und Judentum haben gemeinsame theologische Wurzeln; zum Islam gibt es zwischen Christen und Muslimen grössere Unterschiede. Juden und Muslime verbinden mehr Gemeinsamkeiten in der Lebensführung, etwa bei den Speisegesetzen, sowie teilweise theologisch.

Ernst: Als Christen nehmen wir die Verpflichtung ernst, uns von innen heraus mit unserer Wurzel, dem Judentum, auseinander zu setzen. Schliesslich hat sich das Christentum innerhalb des Judentums entwickelt. Ein "judenfreies Christentum" hat verheerende Konsequenzen für den Glauben und die Kirchen. Vielen fällt es aber immer noch schwer, anzuerkennen, dass sich das Judentum weiter entwickelt hat.

Auch mit dem Islam, dem wir hier in der Schweiz begegnen, teilen wir Werte. Denn das Christentum hat sich im Verlaufe seiner Geschichte nicht nur in der Auseinandersetzung mit dem Judentum sondern auch mit dem Islam seine Identität bestimmt und tut dies bis heute.

Begegnen Sie bei Ihrer Arbeit Antisemitismus und Antiislamismus?
Zimmermann: Die Medienberichte gerade seit dem 11. September 2001 zeigen viel Unkenntnis im Bezug auf den Islam.

Ernst: Antiislamismus besteht bei uns sicher. Der Islam wird instrumentalisiert und bietet so den gesellschaftlich einfachsten gemeinsamen Nenner, mit sinnlosen, komplexen Phänomenen umzugehen. Man nimmt kaum wahr, dass der Islam in der Schweiz ein eigenes Gesicht hat und die meisten Muslime die hiesigen Gesetze einhalten. Der Antisemitismus dagegen ist gesellschaftlich eher tabuisiert.

Bollag: Antisemitismus gibt es und er ist auch wieder salonfähiger geworden. Mit Kritik an der Politik Israels kann mancher Europäer die Vergangenheit verdrängen. Andererseits wird der Antisemitismus auch häufig instrumentalisiert, um eine bestimmte Politik durchhalten zu können.

Hat der Nahostkonflikt die Arbeit im Lehrhaus verändert?
Ernst: Er hat sie schwieriger gemacht. Für viele gibt es nur Gute und Böse. Gerade manche kirchliche Kreise sehen die Palästinenser allein als Opfer und verweigern deshalb den Dialog. Da werden Parallelen zwischen Nazis und Israelis gezogen, die für mich untragbar sind.

Bollag: Der Konflikt belastet die Arbeit, die Wahrnehmung des sehr komplizierten und komplexen Konflikts ist stark emotionalisiert und es fehlt das Wissen über Zusammenhänge. Dazu gehört die Tatsache, dass muslimische Gruppen hier auch eigene Interessen verfolgen. Die entsprechenden Kurse des Lehrhauses sind gut besucht, hier bietet sich eine Möglichkeit für Diskussionen.

Persönlich werde ich als Jude oft als Partei wahrgenommen, auch wenn ich differenziert denke. Ich gerate schnell in eine Ecke – auch von jüdischer Seite!

Warum haben Sie sich für die intensive Arbeit im Lehrhaus gewinnen lassen?
Ernst: Das Bedürfnis nach Wissen ist gross. Ich komme von der Universität, kann hier aber einen breiteren Kreis von Menschen erreichen. Das biblische Erbe ist für mich und unsere Kultur wichtig. Heute stehen zudem alle drei monotheistischen Religionen in einer grossen Auseinandersetzung in einer säkularen Gesellschaft. In diesem Umbruch möchte ich mich durch klare Standpunkte engagieren.

Zimmermann: Ich bin Architekt, kein Theologe, und habe 1998, 2000 und 2002 je eine Begegnung mit jüdischen und muslimischen Nachbarn zusammen mit Christen organisiert. Mein Engagement hier ist eine Weiterführung meiner Arbeit im Bereich Dialog zwischen den Religionen und Kulturen im Bezug auf dessen Nachhaltigkeit. Hier ist so viel Kompetenz, es ist wie ein kostbarerer Wein in einer Flasche. Ich möchte helfen, dass der Korken noch etwas besser herauskommt und mehr Menschen davon profitieren können. Ich vernetzte und setzte dabei auch meine Kontakte in der Privatwirtschaft ein. Das Lehrhaus soll in der Deutschschweiz noch bekannter werden – ein Ort der Orientierung.

Bollag: Ich spüre das Interesse der Leute am Judentum und denke, dass es wichtig ist diesen Wissensdurst zu stillen. Ich kann somit einen kleinen Beitrag zu einer Gesellschaft leisten, in der Menschen sich mit mehr Respekt begegnen können. Ich empfinde es als Privileg hier arbeiten zu können.

Was ist das Beste für Sie persönlich bei Ihrer Arbeit hier?
Bollag: Wir arbeiten wie in einer Familie, unterstützen, ergänzen uns, streiten miteinander. Ich kann mich existenziell entfalten, die Arbeit macht viel Freude.

Ernst: Es ist eine sinnvolle, selbstbestimmte Arbeit mit einer breiten Vielfalt. Und dazu gesellschaftlich relevant. Wir lernen und teilen ein Stück Leben zusammen.

Zimmermann: Ich vernetze hier Menschen. Dabei öffnen sich wieder viele neue Horizonte.

Autorin: Christiane Faschon

Datum: 25.10.2004
Quelle: Kipa

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