Der Mensch – immer noch unheilbar religiös?

Kreuz
Jugendliche beim Gottesdienst.

Mit dem Uhland-Zitat „Wenn die Götter ihr verjagt, kommen die Gespenster“ versuchte die NZZ dem Rätsel auf die Spur zu kommen, weshalb immer noch und immer mehr evangelikal, charismatisch, fundamentalistisch und esoterisch geglaubt wird.

Der Autorin des Artikelsl, Klara Obermüller, ist aufgefallen, dass religiöse Themen zur Zeit einfach stark in den Medien vertreten sind. Das Interesse am Religiösen sei omnipräsent: in Zeitungen und Radio, aber auch im Kino, Fernsehen und auf der politischen Arena. Sie erwähnt die Promis, dies sich zum christlichen Glauben bekennen, die Jesus-Serien, aber auch den Streit um die islamischen Kopftücher. Dann aber versteigt sie sich in eine Formulierung, die nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist: „Militante Islamisten und fundamentalistische Christen haben sich den Kampf angesagt.“ Sie erinnert dabei an den Nahen Osten, Afghanistan, Indien, Pakistan und Indonesien. Länder, in denen Christen vor allem Opfer von radikalen Islamisten sind!

Ursachen und Phänomene

Obermüller ortet dann zwei Phänomene: „eine politische Instrumentalisierung auf der einen, eine modische Kommerzialisierung von Religion auf der andern Seite.“ Auch hier verzichtet sie auf Details, reicht aber eine Begündung für diese Phänomene nach, die nicht ganz neu sind: „Alte Gewissheiten über den Menschen sind durch wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich von Genforschung und Neurobiologie erschüttert worden. Es ist vielerorts ein geistiges Vakuum entstanden, das, sinnvoll oder nicht, gefüllt werden will.“ Ausserdem führten Ereignisse wie Umweltkatastrophen und Terroranschläge Menschen zum „Rückzug in die Geborgenheit religiöser Gewissheiten“.

„Fragwürdig“ sei es, so Obermüller, „wo die neue Religiosität sich in Beliebigkeit und Ichbezogenheit erschöpft, wo es zugeht wie im Supermarkt: Jeder Kunde nimmt sich, was ihm passt, und schnürt sich daraus sein eigenes Paket“. Sinnstiftender Glaube lebe dagegen von Gemeinschaft, Symbolen, Ritualen und Verbindlichkeit. Nicht nur muslimische Fundamentalisten legten jedoch Wert auf emotionale Bindung und dogmatische Indoktrination.

Sack oder Esel geschlagen?

Ob Obermüller hier den Sack schlägt und vielleicht den Esel meint? Sie erwähnt in diesem Zusammenhang „evangelikale und charismatische Gruppierungen“, die aus der Säkularisierung der Landeskirchen „ihren Nutzen ziehen“.

Obermüller erinnert an die Erkenntnis, dass der Mensch eben ein Wesen sei, „das sich bei allem Pochen auf geistige Autonomie die Sehnsucht nach dem ganz Anderen bewahrt hat.“ Ihr Urteil bleibt distanziert und oberflächlich. Sie erwähnt nicht, dass der Trend zur Indiviualisierung und zur Auflösung bestehender Werte ein Kind unserer postmodernen Kultur und Lebenshaltung ist, auf die religiöse Gruppen – ob christlich oder nicht – anknüpfen und reagieren. Gerade junge Leute suchten nach Orientierung im Leben, nach Lebenshilfe, nach Werten, sagen Leiter neuerer und älterer Jugendkirchen. In einer Zeit des „Anything goes“ scheint diese Orientierung gefragter denn je. Die Jungen müssen aber auch in ihrer Kultur abgeholt werden, wie zum Beispiel die International Christian Fellowship (ICF) weiss, aber auch die Zürcher Landeskirche, die jetzt mit dem Projekt der „Street Church“ jungen Leuten ein passendes Angebot machen will.

Aufbauarbeit wahrnehmen

Die Verantwortlichen der beiden Jugendkirchen scheinen sich jedenfalls bewusst zu sein, dass vieles in ihrer Arbeit Abbild der modernen Kultur ist, und dass die erreichten Jugendlichen erst am Anfang eines längeren Weges sind. Nicht nur sie, sondern auch Organisationen wie die VBG oder Campus arbeiten daran, den noch unreifen christlichen Glauben Jugendlicher mit einem glaubwürdigen Leben in Verbindung zu bringen. Das macht keine Schlagzeilen, müsste aber von Experten und Expertinnen von religiösen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch wahrgenommen werden.

Quelle: Livenet/NZZ

Datum: 24.04.2004
Autor: Fritz Imhof

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