US-Täufer im Täuferjahr

Verwundert, beglückt, reserviert

Bei Täufern in Nordamerika stösst das Täuferjahr im Emmental auf Interesse. Insgesamt werden sich die Schweizer bemühen müssen, das Band zu den US-Täufern mit helvetischen Wurzeln fester zu knüpfen, meint John L. Ruth, Kenner des vielfältigen US-Täufertums. Aber die Verbindung sei wiederhergestellt – ein verheissungsvoller Anfang. Und die Amischen?
Weiser Erzähler der verwickelten täuferischen Geschichte: John L. Ruth in Langnau, 2007.
Die von Hanspeter Jecker erstellten chronologischen Tafeln haben seit 2004 viel zur Information der Schweizer Öffentlichkeit beigetragen.
Das dunkle Kapitel offengelegt: Die Täufer-Gedenktafel an der Schipfe in Zürich.
Seit 1969 in der Schweiz: John Ruth im Aufgang zur Bäretswiler Täuferhöhle, 2005.
Leitfigur für die niederdeutschen und holländischen Mennoniten: Menno Simons.
Buggy in der Nähe von Lancaster, Pennsylvania (Bild: Peter Dettwiler).
Begegnung: Mit Tauben, die über Langnaus Dächer davonflogen, endeten am 29. Juli die Internationalen Tage des Täuferjahrs.
Versöhnung unter Täufern ist auch Versöhnung von Vätern und Söhnen: Ben Girod spricht an der Petra-Konferenz im April 2005.
Mit den Wegen der frühen Täufer vertraut: John Ruth im Gespräch mit dem Zürcher Kirchenhistoriker Armin Sierszyn.
Stark im Verbindenden: Das Chorsingen zeichnet Mennonitengemeinden aus.
Abwarten: Im US-Täufertum halten sich viele konservative Gemeinschaften abseits - vorderhand.

An den Internationalen Tagen des Täuferjahrs, die Ende Juli im Emmental und im Jura stattfanden, waren schätzungsweise 200 Mennoniten aus Übersee zugegen. Es fehlten Amische. Dass sie, deren Gründer Jakob Amann im Bernbiet wirkte, nicht zu den Feierlichkeiten kamen, leuchtet John Ruth ein. Der Literat, einer der führenden Erzähler mennonitischer Geschichte, pflegt gute Beziehungen zu den so genannten ‚Old Order Amish’ und erklärt: „Sie haben nur überlebt, indem sie sehr grosse Vorsicht walten liessen. Sie brauchen mehr Zeit – wie Berner Bauern. Wenn man mit ihnen redet, halten sie inne und schweigen, so dass man meinen könnte, für sie wäre das Gespräch abgeschlossen. Aber dann reden sie.“

John Ruth will die Gemeinschaft, die abgeschottet lebt und sich der Moderne verweigert, auch geistlich nicht abschreiben. Er denkt, dass – bei allem Traditionalismus – „die Amischen Hoffnung haben“. Die Gewissheit des Heils, die andere Christen zur Schau trügen, hätten sie nicht. „Und sie finden, dass man nicht danach streben soll.“ Was immer man davon halten wolle, ob man es als Ausdruck von Gesetzlichkeit sehe oder nicht – „kommt darin nicht auch christliche Demut zum Ausdruck?“

Reges Interesse bei Amischen

Wenn Amische erfahren, dass man sich in der Schweiz mit der Täufergeschichte befasst, weckt das ihr Interesse. „Sie wären nicht mehr Amische, wenn sie auf jeden Impuls gleich reagieren würden. Um dies zu verstehen, sollten Sie zu ihnen kommen und sich zu ihnen setzen und mit ihnen reden. Amische sind nicht anti – und darüber hinaus sagen sie: ‚Wenn jemand uns um Vergebung bittet, dann können wir nur vergeben. Aber vergesst nicht: Wir haben es jedes Mal getan, wenn wir das Unser Vater gebetet haben. Sogar damals, als das Unrecht geschah.’ So verstehen Amische nicht recht, warum sie jetzt nochmals vergeben sollten.“

Wandel zur Mennonitenkirche USA…

Rascher und deutlicher als die Amischen haben einige Mitglieder des Hauptstroms des Täufertums, der Mennoniten, auf die Entwicklung in der Schweiz reagiert. Doch erwähnt John Ruth, dass manchen US-Mennoniten das täuferische Profil ihrer Kirche selbst fragwürdig ist. Der Zusammenschluss der bisher autonomen regionalen Konferenzen (meist einige 1000 Mitglieder) zur Denomination „Mennonites USA“, ein teils argwöhnisch beäugter Kraftakt, hat sie in den letzten Jahren stark beschäftigt. Unter dem Dach der Denomination messen sich theologisch liberale, friedensbewegte, sozial-aktivistische, evangelikale und traditionalistische Kräfte.

…und Suche nach der wahren Mission

Eine Strömung wolle die Kirche weniger von ihrer Vergangenheit her verstehen als vielmehr von ihrem Auftrag her als missionale Kirche profilieren, sagt der Insider. Traditionell hätten die Mennoniten „Salz und Licht sein“ wollen. Damit blieben sie in aller Regel unter sich – Gemeindewachstum beruhte auf Kinderreichtum. Dass damit der Auftrag von Christus, die Mission in der Welt, nicht erfüllt ist, sei heute vielen bewusst. Sie wollten nicht um ihre Tradition kreisen, sondern das Evangelium zu Menschen tragen und es leuchtkräftig ausleben. Aus diesem Grund, so John Ruth, lösen Versöhnungsbestrebungen von Reformierten, die auf die Frühzeit zurückweisen, bei Mennoniten gemischte Reaktionen aus.

Schweizer Wurzeln

Der rüstige Autor, dem man seine 77 Jahre kaum abnimmt, zeigt sich beeindruckt von der Menge und Vielfalt der Täuferjahr-Veranstaltungen und der Bemühungen, die Verfolgten dem Vergessen zu entreissen. Es gehe darum, diese Bezüge in den USA vertieft bewusst zu macht. John Landis Ruth, der zu seinen Vorfahren bekannte Täuferlehrer und Märtyrer wie Hans Landis und Heini Funk zählt (die Rhodt lebten bei Oberdiessbach), besuchte die Schweiz 1969 zum erstenmal und hat seither wohl jedes Jahr mennonitische Reisegruppen zu den hiesigen Gedenkstätten und Gemeinden geleitet. Die letzten drei, vier Jahre geben ihm das Empfinden, an einer Schwelle zu stehen. Er äussert sich tief bewegt über die brüderliche Freundschaft, die er nun erlebt.

Der 26. Juni 2004, an dem in Zürich mit einem Schuldeingeständnis von Staat und Kirche eine Gedenktafel eingeweiht wurde, ist für manche US-Täufer ein historisches Datum. John Ruth: „Die Schweizer haben Emotionen gezeigt, die ich früher nie sah.“ Die Bereitschaft, mit der Täufergeschichte umzugehen, zeigt sich dem kundigen Wanderer zwischen Neuer und Alter Welt auch in kleinen Dingen, etwa der Sorgfalt, mit welcher der Pfad hinauf zur Bäretswiler Täuferhöhle hergerichtet wurde. Historische Forschungen tragen Frucht in differenzierten Darstellungen der Zürcher und Berner Täufergeschichte. Die Bücher tun John Ruth tief im Herzen wohl: Er selbst hat den Weg der Täufer aus der Schweiz des 16. Jahrhunderts bis ins Lancaster County in Pennsylvania auf 1400 Seiten erzählt.

Vielschichtige Motive

Mehr als andere US-Mennoniten, die die Schweiz ein erstes Mal besuchen, staunt Ruth über das Interesse am Täuferjahr. Doch was es bei Täufern in den USA auslöse, solle man abwarten. Die Motive für Reisen von Mennoniten in die Schweiz sind ohnehin vielfältig; sie reichen vom Wunsch des Pilgers nach Vergewisserung im Glauben über Interesse an den Ursprüngen der eigenen Gemeinschaft und dem Wunsch nach Beziehungen mit Schweizer Christen bis zu genealogischer Neugier und simpler Reiselust. Beim Rhythmus, in dem die Amish leben, kam das Täuferjahr für die Vorbereitung einer Gruppenreise (mit dem Schiff über den Atlantik) zu rasch.

Radikale Spiritualität – heute wie damals?

Reformiert-täuferische Begegnung im Zeichen der Versöhnung gab es in Zürich im Juni 2004, in Bern im April 2005. Die landeskirchlichen Veranstaltungen weckten in den USA vor allem unter evangelikal-charismatischen Mennoniten grosse Erwartungen. Ihnen verbunden, wollen nun die Organisatoren des Openair Trachselwald die radikale Spiritualität der frühen Täufer, die von den kantigen Worten der Bergpredigt geprägt war, als Impuls für heute fruchtbar machen.

Zu den angekündigten Openair-Gästen aus Übersee bemerkt John Ruth, dass die Amischen, die mehrfach im Zeichen der Versöhnung in die Schweiz gereist sind, von der grossen Mehrheit ihrer Gemeinschaft nicht als deren Vertreter angesehen werden – auch wenn ihr Handeln von Herzen komme. Brian Doerksen, der weltweit bekannte kanadische Lobpreismusiker, der am Bettagswochenende im Emmental auftritt, wuchs in einer Mennoniten-Brüdergemeinde auf. Diese Mennoniten, die nicht aus der Schweiz stammten, wurden im 19. Jahrhundert in der Ukraine derart geprägt, dass sie mit dem ‚Schweizer’ Zweig des Täufertums keine Gemeinschaften pflegen wollten (und teils noch wollen).

Versöhnung nach Zersplitterung ersehnt

Die Zersplitterung des Täufertums hatte allerdings schon viel früher in der Schweiz begonnen (Abspaltung der Amischen, 1693). Sie akzentuierte sich durch Vertreibungen und Wanderungsbewegungen (in Eurasien bis nach Sibirien, in der Neuen Welt von Kanada bis Paraguay). In der Weite Nordamerikas spalteten sich Täufer weiter, einerseits wegen verschiedener Antworten auf die Moderne (Sind Automobile vom Bösen? Wenn nein, gebietet es die Demut, Stossstangen schwarz zu streichen?), anderseits infolge von Erneuerungsimpulsen, welche in den von Familienclans dominierten Gemeinden auf verfestigte Autoritätsstrukturen trafen.

Die Gegend von Lancaster im Bundesstaat Pennsylvania wurde von Mennoniten mit Schweizer Wurzeln ab 1710 besiedelt. Dort zählt man heute etwa 50 (!) verschiedene täuferische Kirchen und Gruppen. Darunter sind auch neue charismatische Gemeinden, gegründet von Christen, die die durchschnittliche mennonitische Kirchlichkeit hinter sich lassen wollen.

Lenkt die Geschichte ab vom wahren Auftrag?

Wenn einigen die Beschäftigung mit der heroischen Frühzeit der Täufer als Ablenkung vom Wesentlichen gilt, das heute Christen geboten ist (auch der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden unter den Völkern), glauben andere damit gerade den Schlüssel für geistliche Erneuerung zu ergreifen. Sie sind überzeugt, dass aus der im Gebet vorbereiteten Begegnung mit reformierten Christen und dem Zusprechen von Vergebung ein geistlicher Segen erwächst, eine Dynamik entsteht, welche auch das Zusammenführen von (einst durch Streit getrennten) Mennonitengemeinden in den USA erleichtert. Dies nach dem Gedanken: Wenn die ursprüngliche Trennung der ersten Täufer von Zwingli, ihrem geistigen Vater, aufgearbeitet wird, wird die Spaltdynamik an ihrer Wurzel behandelt und Heilung ermöglicht.

Angesichts dieser Lage stellt John Ruth heraus, dass manche US-Mennoniten Versöhnung unter einander als erste Priorität ansehen und sie über Events in der Schweiz stellen, welche Täufer mit Reformierten zusammenbringen. Jene Täufer, die sich selbst von anderen abgesetzt und traditionelle Gemeinden verlassen hätten, könnten als Promotoren der Versöhnung von Täufern und Reformierten nicht unbedingt viel Zuspruch erwarten. Aber, so der 77-jährige Weise, „manchmal tut der Heilige Geist etwas, das wir nicht erwarten: Ein Funke springt über und lässt die Gräben verschwinden.“ Zwingli habe den unwiderstehlichen Zug des Evangeliums mit der Kraft des Rheins verdeutlicht...

„Stellt uns auf die Probe!“

Laut John Ruth könnte und sollte Tourismus auch in der anderen Richtung stattfinden: dass Schweizer Christen sich aufmachen und ihre entfernten täuferischen Brüder und Schwestern aufsuchen. „Jetzt ist der Dollar schwach – das ist der rechte Moment!“ Und ohne Augenzwinkern: „Stellt uns auf die Probe, kommt und seht, ob wir euch aufnehmen!“ Gerade die Amischen fänden sich wohl eher bereit, Christen aus dem Land der Ursprünge in ihre Welt hereinzulassen, als selbst übers Meer zu reisen. „Es wird sie glücklich machen, euch zu sehen. Ihr werdet nie besser speisen, als wenn ihr Amische besucht.“

 

Mehr im Livenet-Dossier übers Täuferjahr
Versöhnungskonferenz von täuferischen und reformierten Christen in Pennsylvania, April 2005

Datum: 28.08.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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