Hilfeschrei iranischer Studenten: „Schwarze und verlorene Tage für die, die nach einem hellen Morgen suchen“

Studenten im Iran
UNO

In einem Offenen Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan hat der offizielle iranische Studentenverband Klage geführt über die Unterdrückung der Menschen in der Islamischen Republik Iran. Drei Tage vor dem 9. Juli, dem vierten Jahrestag der bisher grössten Studentendemonstrationen, legt der Brief in ergreifender Weise die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung offen, die unter jungen Menschen im Iran herrscht. Der Verband, der weiterhin unter dem Emblem Khomeinys auftritt, repräsentiert vor allem die vom Regime geduldete islamische Opposition an den Universitäten.

‚Politische Apartheid‘ im Iran: Die UNO soll eingreifen

Eingangs spricht der Appell, der vom Washingtoner Middle East Media Research Institute (MEMRI) übersetzt wurde, von „schwarzen und verlorenen Tage für diejenigen Menschen, die nach einem hellen Morgen suchen, ein Morgen, an dem sie ihr Schicksal und ihre Regierung selbst bestimmen“. Die Verfasser, Studenten und Mitglieder des islamischen Studentenvereins, bitten die UNO „in der Erkenntnis unserer Hoffnungslosigkeit bezüglich der Reformierbarkeit der existierenden Regierung“ um ein Eingreifen im Iran, damit Katastrophen wie in den Nachbarländern (Irak und Afghanistan?) abgewendet werden könnten:

„Wir richten unsere Beschwerde an Sie, weil die politische Apartheid dem iranischen Volk jegliche Sicherheit genommen hat, weil sie uns das Recht auf Selbstbestimmung genommen hat, weil sie unsere Existenz auf die Befriedigung elementarster Bedürfnisse reduziert hat und weil wir in diesem historischen Moment die Wiederholung der Erfahrungen unserer Nachbarn befürchten: Wir fürchten die Wiederholung solcher humanitärer Katastrophen, die die Selbstsüchtigen an den Tiefpunkten der Geschichte anrichten, um ihre Macht zu erhalten.“

Riesiger Unterdrückungsapparat

Die Studenten fahren fort: „Wir leben in einem Land, in dem jedes Individuum in seiner Privatsphäre wie im sozialen Leben in direkter und absoluter Verbindung mit dem riesigen Regierungsapparat steht. Bedauerlicherweise ist das Herrschaftssystem verhärtet und nicht in der Lage zu antworten, weil es seine Macht nur im Erhalt der gegenwärtigen Bedingungen sichern will. Daher führen weder faire und einfühlsame Kritiken zu einem Ergebnis, noch sind die Bemühungen der Bürger zur Verbesserung der gegenwärtigen Lage wirksam.

Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit für Vereine und Gewerkschaften, Religionsfreiheit ..., Pressefreiheit, Frauenrechte, das Recht auf freie Kleidungswahl, der Schutz der Privatsphäre vor der Willkür des Staates, faire Gerichtsverfahren – all diese Rechte sind Bestandteil der Erklärung der Menschenrechte, die die iranische Regierung unterschrieben hat. Allerdings fühlt sie sich dieser Erklärung leider nicht nur nicht verpflichtet, sondern verletzt diese Rechte in einem Mass, als ob solche Verpflichtungen gar nicht bestünden.“

Fast alle Menschenrechte ständig verletzt

Die Studenten halten fest, dass fast alle Menschenrechte von den Herrschenden mit Füssen getreten werden. Sie sprechen von der „aus einem falschen Verständnis von Religion erwachsenden politischen Apartheid“, die die Menschen im Iran voneinander trennt. „Macht, Reichtum, Positionen und Informationen sind für den einzelnen nur in Abhängigkeit von der herrschenden Regierung.“ Dies entgegen den ersten beiden Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."

Laut dem ‚Schmerzensbrief‘ „wissen die iranischen Studenten, dass der Weg zu Entwicklung, Wohlstand, Freiheit und Demokratie nur im Bestehen auf den Menschenrechten und einem friedlichen Kampf zu suchen ist. Daher fordern sie die Regierenden vornehm auf, gemäss der politischen Moral und im Respekt der Menschenrechte zu handeln. Und während die Drohungen der mächtigen Staaten, die zuletzt Empfindlichkeiten bezüglich des Iran geäussert haben, auf ihren eigenen Interessen basieren, erhoffen wir von der UNO, dass sie im Sinne der Menschen und der Verbesserung der Situation auf unser Land blickt.“

Kritiker ermordet

Der Appell zählt im Folgenden die Namen von Schriftstellern und Intellektuellen auf, die von Schergen des islamischen Regimes ermordet wurden. Ein nicht umgesetzter Plan der Sicherheitskräfte habe gar vorgesehen, 30 Schriftsteller und Intellektuelle in ein Tal zu werfen (durch einen inszenierten Busunfall, wie der Übersetzer festhält). Studentenwohnheime seien 1999 – und erneut in den letzten Wochen – regelrecht überfallen worden.

Die Studenten fürchten, dass ihre kürzlich festgenommenen Kommilitonen zum Tod verurteilt werden. Sie beklagen die Folterungen und grausamen Strafen, denen „viele politische Aktivisten, aktive Studenten“ und weitere Iraner unterworfen werden: „Unerträgliche Folter zur Erzwingung von Geständnissen, Erniedrigung, Beschimpfungen und Beleidigungen der Verhafteten, das Anbinden an den Betten, um die Menschen zu schlagen, erzwungene andauernde Schlaflosigkeit im Stehen, Scheinhinrichtungen am Galgen...“

Ständige Angst vor Verhaftung, Menschenraub und Folter

Wenige nur hätten den Mut gehabt, die Schrecken der unkontrollierten Gefängnisse zu beschreiben. „Vielen unschuldigen Menschen bleibt angesichts ihrer nicht-existenten Rechte der Schrei im Halse stecken.“ Die Artikel 6-8 der UNO-Menschenrechtserklärung würden ständig verletzt: „Im Iran ist die Verhaftung von Studenten und anderen Personen (...) mit Schlägen, Narkosegasen, dem Einsatz von Waffen und Schockmitteln sowie mit Menschenraub verbunden. Über lange Zeit erfährt man nicht, wann und wo die Menschen verhaftet wurden.“ Bei den Protesten im letzten Jahr seien insgesamt 4'000 Studenten und Zuschauer der Demos verhaftet worden. „Der Schatten von Menschenraub und willkürlichen Verhaftungen übt einen permanenten Druck auf uns aus. Alltäglich müssen wir in jedem Moment mit unserer Verhaftung oder der von Freunden rechnen.“

Wer den Glauben wechselt, wird hingerichtet

Die Studenten zitieren auch den Artikel 18 der Menschenrechtserklärung zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, wonach jeder Mensch seine Religion oder seine Weltanschauung wechseln darf und die Freiheit hat, „seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche zu bekunden." Die Studenten schreiben, dass mit dem „Urteil über Abtrünnige dieses Recht gänzlich in Frage gestellt ist… Diesem Urteil zu Folge steht auf Religionswechsel die Todesstrafe.“

Nach der Auflistung weiterer Verletzungen der Menschenrechte beklagen die Studenten, „dass die grundlegenden Rechte und Freiheiten und der allgemeine Wohlstand der Gesellschaft mit Füssen getreten werden“. Alle faire Kritik habe bisher nichts gebracht. Die Studenten setzen ihre Hoffnung auf die UNO: „Wir suchen heute demütig Schutz bei Ihnen und warten darauf, dass (...) Tragödien und Katastrophen vorgebeugt werden kann und der Schatten verschwindet, der in diesem Land auf Frieden und Freiheit, Demokratie und Menschenrechten liegt

Datum: 10.07.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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