Schön, reich und sträflich gutgläubig

Elitär und doch für alle, geheimnisvoll, aber doch weltzugewandt, viele hundert Jahre alt, und doch passt sie in die heutige Pop-Kultur: Das Kabbalah-Center mit Hauptsitz in Los Angeles scheint eine attraktive religiöse Mischung gefunden zu haben. Und eine lukrative.
Eines der Erzeugnisse aus eigenem Hause.
Mick Jagger
Jerry Hall
David Beckham
Madonna
Im Eiltempo auf dem Weg zur Erleuchtung?

Nicht weniger als 3,5 Millionen Menschen hätten sich der Bewegung bereits angeschlossen, berichtete kürzlich die Zeitschrift «die jüdische». Angeblich 50.000 Seminaristen pro Woche allein in den USA sorgen dafür, dass der Mitgliederstrom nicht abreist. Mit 50 Zentren auf der ganzen Welt ist man inzwischen auch international gut vertreten. Zu den jüdischen Neujahrsfeiern im vergangenen September hätten die Verantwortlichen tausend Zimmer in den besten Hotels von Tel Aviv reservieren lassen. Angeführt wurde die 2000köpfige Schar von Madonna, Demi Moore und Donna Karan.

Für rund 1000 Euro konnte man Ende November ebenfalls in Tel Aviv am Weltkongress der Kabbalisten teilnehmen. Die Gegenleistung war dann immerhin eine Audienz bei Rabbi Berg in Begleitung der eigens eingeflogenen Popdiva, wie die «Deutsche Welle» meldete.

Madonna, Mick Jagger, ...

Auch in Europa hat dieser neue alte Kult inzwischen Fuss gefasst. Im vergangenen Jahr wurde ein Kabbalah-Zentrum in Deutschland eröffnet. Das grösste europäische befindet sich in London. Hauptsponsorin: wiederum die – frühere – Pop-Ikone Madonna; nur möchte die jetzt mit ihrem neuen Namen Esther angeredet werden. Aber auch Mick Jagger und seine Ex-Frau Jerry Hall hatten vor vier Jahren ihr Scherflein zu diesem Zentrum beigetragen.

Überhaupt liest sich das Mitgliederverzeichnis des Kabbalah-Centers wie ein Who's Who der Reichen und Schönen der Pop- und Filmbranche. David und Victoria Beckham gehören ebenso dazu wie Madonnas Mann Guy Ritchie. Hinzu kommen beispielsweise Demi Moore mit Ashton Kutcher, Barbara Streisand, Elizabeth Taylor, Diane Keaton, Paris Hilton, Winona Ryder, Jeff Goldblum, Goldie Hawn, Courtney Love, Naomi Campbell und viele andere.

Der Weis(s)heit letzte Schlüsse

Was wird dort geboten? Heil und Heilung, oder jedenfalls die Versprechungen dazu. Die Seminare wollen in mystische Zahlenspekulationen einführen, gesegnete Gesichtscremen stoppen «hundertprozentig» den Alterungsprozess, und Duftkerzen vertreiben böse Geister. Sogar die Unsterblichkeit sei bei Einnahme des gesegneten Mineralwassers nicht ganz ausgeschlossen. Weiter trägt man weisse Kleidung, denn die würden positive Energie und Licht anziehen.

«Praktische Lebenshilfe» nennt das Heike Laila, Kabbalah-Lehrerin aus Köln. Man erfahre so, «welche Wege die Seele nehmen muss» und wie sich ein Mensch entsprechend den «spirituellen Gesetzen des Universums» entwickeln sollte. Ähnliche Aufschlüsse geben bekanntlich auch das Erforschen des Vogelflugs und die gewissenhafte Erkundung von Koffeinrückständen in Kaffeefiltern.

Easy, cool und light – einfach trendy

Im Mittelpunkt steht aber das Buch Zohar mit seinen Weisheiten aus dem 2. Jahrhundert, zusammengestellt im mittelalterlichen Spanien. Eigentlich bräuchte es ja ausgezeichnete Hebräisch-, wenn nicht Aramäisch-Kenntnisse, um seine Spekulationen über den Namen Gottes und die Buchstaben- und Zahlenmystik recht zu deuten und in die Theorien über Seelenwanderungen einzusteigen. Nicht so im Kaballah-Center. Statt zuvor die gut jüdischen Schriften Talmud und Thora eingehend zu studieren, reicht eine «Speed-Meditation»: in 20 Sekunden mit den Händen über den Text streichen, ihn «scannen» und auf diese Weise unbewusst die Worte in sich aufnehmen. Einzige Bedingung dabei ist, dass man das Buch beim Kabbalah-Center gekauft hat. Ein 30-Dollar-Exemplar aus einer jüdischen Buchhandlung reicht nicht; auf den 415 Dollar für Los Angeles liegt ein grösserer Segen.

Armband statt Kreuz

Überhaupt würde Yehuda Berg, Vater des Kult-Begründers, gern mehr rote Armbändchen auf der Welt sehen als Kreuze an Halsketten. Diese Bändchen, die vor Verwünschungen schützen sollen, sind das Erkennungszeichen der Mitglieder. Das Stück ist für bescheidene 26 Dollar erhältlich. Mal 3,5 Millionen – man rechne ...

Madonna-Esther hat diesem Wunsch Folge geleistet und ihr Kreuz an den Nagel gehängt. Ausserdem gibt sie nun freitagabends keine Konzerte mehr. Dafür schreibt sie Kinderbücher. Ihre beiden Werke «The English Roses» und «Mr. Peabody's Apples» basieren auf kabbalistischen Geschichten. Der Erlös kommt dem Kabbalah-Center zugute. Ihr zugeschrieben wird auch eine 20-Millionen-Dollar-Spende für ein Kinder-Center in Manhattan.

Der «Rav» ruft

Kopf dieses mittelprächtigen Imperiums ist der Versicherungsvertreter Feivel Gruberger. So hiess er jedenfalls vor etwa 35 Jahren, als er noch in New York lebte. Heute zählt der 75-jährige weissgekleidete Bartträger zu den Superreichen der USA und hält sich in den exklusivsten Vierteln von Beverly Hills und Manhattan auf. Seinen Namen hat er ebenfalls geändert. Er lässt sich nun Rabbi Philip Berg nennen, Dr. Philip Berg oder am liebsten einfach «Rav». Fotos von ihm gibt es kaum, Interviews werden nicht zugelassen.

Für Rick Ross aus New Jersey ist er schlicht ein Sklavenhalter. Ross leitet ein Institut, das sich mit Kult- und Sektenfragen auseinandersetzt und die Berichte von Geschädigten der Kabbalah-Center dokumentiert. Dessen Methoden scheinen sich denen von Scientology anzunähern. So hatte im Frühjahr 2004 der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks öffentlich Stellung bezogen, nachdem Mitglieder der jüdischen Gemeinde bedrängt worden seien. Sie hätten für das Kabbalah-Center viel Geld spenden sollen, damit z.B. ihre kranken Eltern geheilt würden. Manchen wurde geraten, den Partner zu verlassen, wenn der kein Interesse für das Center zeige, etc. Überhaupt hätte der Holocaust vermieden werden können, wenn die Juden nur ausreichend die Kabbalah studiert hätten.

Reaktionen von jüdischer Seite

Viele orthodoxe Juden, die sich noch heute auf die alte mystische Lehre der Kabbalah berufen, fühlen sich durch das neue Promi-Gehabe provoziert. Für Rabbi Immanuel Schochet, Experte für Jüdische Philosophie und Mystik aus Toronto sei Ganze «nicht nur ein Kult, sondern sogar ein gefährlicher Kult»; ein «Blödsinn» nach den Worten von Rabbi Marc Stern von der jüdischen Gemeinde in Osnabrück. Anhänger der traditionellen Lehre widmeten sich jahrzehntelang dem Studium der Thora, «die Inhalte lernt man nicht in einem Express-Kurs. Das ist, wie wenn ein Sechsjähriger, der kaum zählen kann, Theoreme von Pythagoras verstehen soll.»

Rabbi Ephraim Buchwald aus Manhattan kann dem aber auch eine gute Seite abgewinnen: Vielleicht rege es nichtgläubige Juden an, ihren Glauben zu überprüfen, zitiert die «New York Times» diesen Mitarbeiter des National Jewish Outreach Program.

Kritik von prominenter Seite

Die Modedesignerin Stella McCartney, Tochter von Paul und Linda McCartney, hat wegen dieser Zusammenhänge ihre Freundschaft mit Madonna-Esther beendet. Madonna sei für sie mittlerweile nur noch eine Rekrutierungsmaschine für den Gründer der Kabbalah-Center, Rabbi Berg. Auch Jerry Hall ist inzwischen abgefallen. Wütend hätte sie unlängst ein Kabbalah-Zentrum verlassen: «Ich wusste nicht, dass ich zehn Prozent meines Einkommens abgeben muss, nur um durchs Tor der Wunder gehen zu dürfen.»

Wie auch immer: Die Leiter dieser Bewegung lassen sich von diesen Stimmen nicht beirren. Ihre Kritiker seien schlicht eifersüchtige Rabbiner, die eben nicht so einen grossen Zulauf hätten wie sie, meint Yehuda Berg lapidar. «Immer wenn neue Lehren entstehen, sind sie umstritten. Denken sie nur an Jesus oder Mohammed. So ist es auch bei uns.»

Kommentar

Von Lothar Mack

Spiritueller Koks

Wie sich die Mode ändert: War früher weisses Pulver für die Nase schick, so sind es jetzt weisse Kleider für die Seele. – Die Weste ihrer Fänger ist ebenfalls weiss?

Zumindest scheint sich an der benebelnden Wirkung nicht viel geändert zu haben, ob das Mittel nun geschnupft oder über die Handflächen «gescannt» wird. Beides gibt der Irrationalität Auftrieb, und der Verstand bleibt auf der Strecke. Doch man kann nicht gut «verständig» dagegen argumentieren. Gegen Bedürfnisse lässt sich nicht argumentieren. Sie lassen sich allenfalls lenken. Genau das macht der selbsternannte Dr. Berg. Auf lukrative Weise verbindet er New-Age-Spiritualität, Pop-Psychologie, buddhistische Meditation und hinduistische Seelenwanderung mit einer deftigen Prise jüdischer Kultur und schiebt die wirrsten Versprechungen hinterher – offenbar ein Geschäft ohne Risiko.

Jedenfalls für die Empfänger, vordergründig. Die finanziellen Konsequenzen erscheinen für manche Mitglieder-Schichten eine Zeitlang tragbar. Sie machen die Sache vielleicht sogar zusätzlich attraktiv. «Kabbalah-Center? Das muss man sich erst einmal leisten können!» Wie früher eine Prise Koks ... Doch erste totalitäre Tendenzen tauchen auf. Hier wird auch der religiös tolerante Zeitgenosse hellhörig.

Weitreichender sind die hintergründigen Folgen. So wie eine Schokolade über Mittag sehr wohl das Hungergefühl dämpfen kann, so besänftigt auch eine neu angerührte Mystik den Hunger nach dem Transzendenten. Aber wo sind die Nährstoffe? Ein richtiger Gottesmann hatte einmal genau an diesem Punkt angesetzt und «Brot des Lebens» angeboten. Abertausende, Millionen von Anhängern haben während bald 2000 Jahren davon gegessen, das heisst seinen «Worten des Lebens» vertraut. Sein Name war Jesus, ganz ohne weltlichem Titel. Wer sich an dieses Original gehalten hat, ist davon sattgeworden, für Zeit und Ewigkeit.

Quellen: Quellen: Zeitschrift «die jüdische», Deutsche Welle, GWUP

Datum: 04.12.2004
Autor: Lothar Mack
Quelle: Livenet.ch

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