Kommentar

Das rechte Mass

Als ich die Ordensregel des Benedikt von Nursia las, wurde mir klar, dass jeder, der ins Kloster eintritt, einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel vollzieht. Das rechte Mass spielt dabei eine zentrale Rolle.
Dieter Bösser

Als Normalbürger sind wir es gewohnt, zu nehmen, was und wie viel wir wollen. Wer in ein Kloster eintritt, das nach der Regel Benedikts geführt wird, gibt zunächst seinen ganzen Privatbesitz ab. Ab sofort gehört ihm nichts mehr und er nimmt sich nichts mehr. Es ist die Aufgabe des Abtes, seinen Mönchen alles zu geben, was sie zum Leben benötigen: Kleidung, Nahrung, Arbeitsgeräte etc. Der Mönch ist nicht ein Nehmender, sondern ein Empfangender – und zwar in jeder Hinsicht.

Bei der Zuteilung der täglichen Nahrung legt Benedikt relativ genau fest, wie viel jeder Mönch bekommt. Das rechte Mass spielt dabei eine zentrale Rolle. Unmässigkeit und Übersättigung sollen vermieden werden. Das rechte Mass ist in unserem Leben immer noch eine sensible Grösse: Wie viel soll ich wovon essen? Wie viel wovon trinken? Was ist das rechte Mass bezüglich Arbeit, Besitz, Medienkonsum und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen?

Das Kriterium des rechten Masses lässt sich auch auf den betriebswirtschaftlichen Kontext anwenden. Es stellt das Dogma des ständigen Wachstums in Frage. Auch auf einer volkswirtschaftlichen Ebene kann man nach dem rechten Mass fragen. Und schliesslich: Was ist das rechte Mass im Konsum von sogenannt freien Gütern wie saubere Luft, Wasser etc.?

Die letzten Jahre waren in der westlichen Welt eher von Masslosigkeit geprägt. Wir haben nun einen Punkt erreicht, wo wir uns auf verschiedenen Ebenen die Frage nach dem rechten Mass stellen sollten: Auf individueller Ebene, auf betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene inklusive zahlreicher ökologischer Fragestellungen. Da wir keine Mönche sind, haben wir keinen Abt, der uns jeweils das rechte Mass zuweist. Wir sind darauf angewiesen, mit Hilfe unserer eigenen Vernunft dieses selber zu bestimmen. Dazu ist in verschiedener Hinsicht ein Paradigmenwechsel nötig. Christen sollten persönliche Erfahrungen damit haben. Eine Bekehrung hat mit tiefgreifendem Umdenken, also mit einem Paradigmenwechsel zu tun: Mein ganzes Leben gehört nun Christus.

Vielleicht haben die letzte Woche publizierten Massnahmen der UBS zu ihrer Strategieanpassung Aspekte der Reduktion auf das rechte Mass? Vielleicht – beziehungsweise hoffentlich –- werden andere Unternehmen folgen. Wie halten Sie es mit dem rechten Mass?

Dieter Bösser, MTh und MSc UZH, ist Studienleiter der Akademie für christliche Führungskräfte (AcF) Schweiz in Basel und Geschäftsleiter des Fachkreises Psychologie und Glaube bei den Vereinigten Bibelgruppen (VBG).

Diesen Artikel hat uns freundlicherweise «ideaSpektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt.

Datum: 10.11.2012
Autor: Dieter Bösser
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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