Vollständig gewollt - kein Platz für Scham und Ablehnung

Der Druck der Gesellschaft auf das Individuum hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Was tun wir nicht alles, um dazuzugehören? Werbung und Fernsehen machen uns klar, dass nur schöne, reiche und junge Menschen wertvoll sind. In einer Gruppe werden nur die Erfolgreichen geschätzt. Der Mensch läuft deshalb Gefahr, sich diese Bedeutsamkeit durch sein Aussehen oder seine Leistungen zu holen. Schönheitsoperationen liegen in der westlichen Welt an der Tagesordnung. Innere Werte sind nur noch von untergeordneter Bedeutung. Und es ist eigentlich unnötig zu sagen, dass die meisten Menschen diesem Druck nicht standhalten können. Die Selbstmordrate unter Jugendlichen hat ein erschreckendes Ausmass angenommen. Der Mensch ist in sich nicht mehr Zuhause. Scham und Ablehnung werden zu einer lebensbestimmenden Kraft.

Lucia war diesem Druck zum Opfer gefallen. Wie sie mir erzählte, hatte sie nach einem sexuellen Missbrauch Heilung bei Menschen gesucht. Eine Freundschaft zu einem jungen Mann sollte ihr die Geborgenheit zurückgeben, die sie durch den Missbrauch verloren hatte. Nach dem Zerbrechen dieser Freundschaft lernte sie einen anderen jungen Mann kennen. Doch auch diese Freundschaft ging in die Brüche. Als sie ein letztes Mal mit ihm schlief, wurde sie schwanger. Doch dieser junge Mann wollte von ihrem gemeinsamen Kind nichts wissen. In dieser Notsituation machte sich Lucia auf, ihr Zuhause bei Jesus Christus zu suchen. Sie hat es gefunden.

Es ist interessant zu sehen, wie sie mit der Scham ihres Versagens umgehen konnte. Die Vergebung von Jesus Christus bewirkte, dass sie in der Lage war, sich von den Vorstellungen der Welt zu lösen, um vertrauensvoll ins Vaterhaus Gottes heimzukehren. Heute spricht sie davon, wie ihr Gott sie versorgt und auf ihrer Seite steht. Scham und Ablehnung sind kein Thema mehr.

Gero Herrendorff, ein sehr guter Freund von mir, der seit Jahren mit mir zusammenarbeitet, hat das auch in einzigartiger Weise erlebt. Ich möchte die aussergewöhnliche Geschichte eines Mannes erzählen, der schliesslich sein Zuhause fand:

"Ein tiefer Schock prägte mein Leben. Meine Eltern stammten aus dem Baltikum und wurden 1939 nach Posen umgesiedelt. Dort kam ich 1943 - zwei Jahre vor Kriegsende - zur Welt. Als 2-Jähriger erlebte ich 1945 meine erste Flucht vor den Russen von Posen nach Berlin.

Bei einem der zahllosen Tieffliegerangriffe erlitt ich einen ersten schweren Schock, dessen Folge ein starkes Stottern war. Ein zweiter Schock verstärkte das Stottern noch, als ich mit etwa 3 Jahren erlebte, wie meine Mutter von zwei russischen Soldaten vergewaltigt wurde. Ich soll mit aller Kraft geschrien und am Bettchen gerüttelt haben.

Dieses Handicap prägte den weiteren Verlauf meines Lebens. Nach der Rückkehr meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft wurde die Ehe meiner Eltern geschieden. 1952 flüchtete meine Mutter mit meinem Bruder und mir und meinem heutigen Stiefvater nach Westberlin. Dies bedeutete für mich die endgültige Trennung von meinem Vater.

Ich litt in den Folgejahren sehr darunter, nicht fliessend sprechen zu können. Während einer Sprachtherapie, die ich mit 16 Jahren machte, fand ich zu meinem Unglück heraus, dass ich mit Hilfe von Alkohol fast fliessend sprechen konnte. Nach einer zweijährigen erfolglosen Behandlung riet mir der Arzt, in Situationen, in denen ich zum Sprechen gezwungen wäre, doch die Hilfe von ein wenig Alkohol in Anspruch zu nehmen. Alkohol schien das einzige Mittel zu sein, das mir ganz konkret half.

Später begann ich auch, Amphetamine und halluzinogene Drogen zu nehmen, und lebte bald in dem Gefühl, dass mein ganzes Leben sinnlos sei.

Die Menschen wurden meine Feinde und meine Wut und mein Hass wuchsen ins Unermessliche. In Schlägereien versuchte ich, meinen Gefühlen etwas Luft zu verschaffen. Auch einige kleinere Siege, errungen durch okkulte Kraftspielchen, konnten meinem kaputten Selbstwertgefühl nicht mehr auf die Beine helfen. In dieser Zeit ging ich eine Ehe ein, die zehn Jahre später geschieden wurde und aus der eine Tochter hervorging.

Als ich eines Abends wieder einmal tief in meinem Elend versunken war, offenbarte sich mir Jesus Christus auf aussergewöhnliche Weise. Ich erlebte eine regelrechte Gerichtsverhandlung, bei der ich zum Tode verurteilt wurde. Während ich auf meine Hinrichtung wartete, sah ich aus dem Gitterfenster der Gefängniszelle, dass in einiger Entfernung auf einem Hügel ein Holzkreuz errichtet wurde. Ich wusste, dass man mich jeden Augenblick abholen würde. Doch dann sah ich, wie ein anderer an dieses Kreuz geschlagen wurde. Der Schrecken blieb mir in den Gliedern stecken. Wie gebannt starrte ich auf dieses Geschehen. Danach kam ein Wächter zu mir und offenbarte mir: ,Du bist frei, du kannst gehen!' Völlig verwirrt fragte ich stockend, warum ich denn jetzt plötzlich frei wäre. Die Antwort erschütterte mich: ,Ein anderer ging für dich an das Kreuz. Er nahm deine Strafte auf sich … Du kannst gehen!'

Jesus liess mir die Wahl, sein Opfer anzunehmen oder abzulehnen. Ergriffen vertraute ich ihm mein Leben an und bat ihn, in mein Herz zu kommen. Es war ein unbeschreiblicher, wunderbarer Augenblick, als ich dann in dieses Licht hineingezogen und mein ganzer Leib selbst Licht wurde. Die tiefe Gewissheit, vollständig erlöst worden zu sein und ewiges, unzerstörbares Leben in Christus erhalten zu haben, durchflutete mein ganzes Sein. Ich wurde mit einem unbeschreiblichen Glück und Frieden erfüllt, und ich wusste, ich war frei, wirklich frei! Endlich hatte ich meine Antwort gefunden. Meine Suche war zu Ende. Ich konnte alle Dinge in einem neuen Licht sehen und vieles wurde glasklar. Ich war geplant, gewünscht und von Gott tief geliebt. Diese Erkenntnis bewirkte ein unglaubliches Mass an innerer und äusserer Heilung.

Aller Hass auf die Menschen, alle Aggression und alle Wut waren wie weggeblasen. Anfang, Mitte und Ziel waren mir auf einmal klar. Dadurch, dass Gott mich annahm, so wie ich war, konnte ich das erste Mal in meinem Leben Ja zu mir sagen und mich selbst mit einer kaputten Vergangenheit annehmen. Die Minderwertigkeitskomplexe wegen meines Stotterns war verschwunden. Ich konnte endlich ich selbst sein, echt sein, einfach Gero sein und neu anfangen zu leben."

Ich lernte Gero kennen, als er nach einigen turbulenten Rückfällen bei einem Strassengottesdienst auf mich zukam. Wir begannen, gemeinsam von einer Gemeinde zu träumen, die den Menschen in der Welt ein Zuhause geben kann. Einige Jahre später heiratete Gero ein zweites Mal. Anna, seine Frau, und er haben zwei Kinder. Seit über 15 Jahren arbeitet er verantwortlich in der Seelsorge mit und begleitet das 12-Schritteprogramm der Vineyard-Gemeinde Bern. Sein Stottern wurde beinahe vollständig geheilt. Gero hat sein Zuhause gefunden.

Datum: 31.05.2006
Autor: Martin Bühlmann
Quelle: Gemeinde leben - Gemeinde lieben

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