Globalisierung: Chance oder Untergang?

Globalisierung ist das Streben nach einer Weltgemeinschaft.
Durch Missbrauch wird die Kluft zwischen Arm und Reich, Schwach und Stark immer grösser.

Wie können die Marktkräfte der Globalisierung ins Ringen um soziale Gerechtigkeit und den Frieden eingebunden werden? Die aktuellen Herausforderungen verlangen nach neuen Ansätzen und Lösungen. In diesem Zusammenhang sind Stimmen aus dem Süden ernst zu nehmen. An einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung Ende 2002 hielt der führende nigerianische Kirchenmann John Onaiyekan einen Vortrag zum Thema "Bibel, Globalisierung und soziale Gerechtigkeit". Onaiyekan ist katholischer Erzbischof in der nigerianischen Hauptstadt Abuja und steht der nigerianischen Bischofskonferenz vor. Wir dokumentieren hier den Vortrag in Auszügen:

Die Globalisierung gewinnt zusehends an Einfluss auf das Alltagsleben von Mann und Frau. Die Computerrevolution ist eine Erscheinungsform der Globalisierung. Sie erleichtert nicht nur die Arbeit, sie ermöglicht auch, über das Internet mit der ganzen Welt Verbindung aufzunehmen. Sogar die Wirtschaftspolitik unserer Regierungen wird durch die Globalisierung beeinflusst.

Oft sind es Entscheidungen, die weit weg in Tokio, London oder New York gefällt werden, die bestimmen, was und wieviel bei uns an Essen auf den Tisch kommt und wieviel für Gesundheitsfürsorge und Bildung zur Verfügung steht. Auf kultureller Ebene ist besonders die Jugend dem Einfluss von Modetrends und künstlerischen, vor allem musikalischen Darbietungen ausgesetzt. Auch die religiöse Dimension der Globalisierung darf nicht vergessen werden.

Aus alledem sind neue Chancen entstanden, aber auch neue Herausforderungen, neue Konzepte und Sinngebungen, die wiederum nach neuen Ansätzen und neuen Lösungen verlangen.

Die weltweite soziale Gerechtigkeit

Je enger sich die Menschheit durch Reisen oder Kommunikation zusammenschliesst, desto unerträglicher wird der Gedanke daran, die jetzige Lage mit ihrer krassen Ungleichheit und sozialen Ungerechtigkeit weiter bestehen zu lassen. Glücklicherweise bietet der Prozess der Globalisierung der Menschheit aber auch die Chance, in dieser Hinsicht radikale und revolutionäre Fortschritte zu machen.

Bis es aber soweit ist, lässt das, was man sieht, viel zu wünschen übrig. Man könnte fast sagen: "So weit, so schlecht". Im Prozess der Globalisierung sind bestimmte Urtriebe des Menschen, wie Egoismus und Habgier, mit Händen zu greifen. Wer die Kontrolle über die Ressourcen, das Wissen, die Technologie und die Macht über die globalen Strukturen innehat, tendiert dazu, eben diese Ressourcen eher für selbstsüchtige Ziele als für das Gemeinwohl der gesamten Menschheit einzusetzen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich, Stark und Schwach

Dies führt zu einer sich stetig weitenden Kluft zwischen Reich und Arm, Stark und Schwach. Aber diese Kluft ist nicht das einzige Problem. Viel schwerwiegender noch ist die Tatsache, dass diese sich stetig weitende Kluft eine kleine Minderheit der Starken und Reichen von einer riesigen Mehrheit der Schwachen und Mittellosen trennt. Millionen von Menschen werden dadurch marginalisiert und ausgegrenzt.

Dazu gehört auch das Phänomen der kulturellen Homogenisierung durch die Massenmedien und die Kommunikation. Im Allgemeinen wird dabei die Kultur der ärmeren Völker beiseite geschoben und durch die dominanten kulturellen Trends der reichen Fertigungszentren ersetzt.

Das Problem besteht jedoch nicht so sehr darin, dass hier eine Kultur durch eine andere ersetzt wird, sondern darin, dass bei einer solchen Verdrängung die Wertbegriffe der Menschen in den meisten Fällen Schaden nehmen. Oft werden die schönsten Wertvorstellungen beiseite gefegt und durch unmenschliche Einstellungen ersetzt.

Leidende Umwelt

Ein weiterer Aspekt im Zusammenhang zwischen Globalisierung und sozialer Gerechtigkeit ist die Umwelt, die eigentlich für alle jetzigen wie zukünftigen Bewohner der Erde bestimmt ist... Die rücksichtslose Nutzung aller natürlichen Ressourcen, die Zerstörung der Wälder und die Ausbeutung von Bodenschätzen in armen Ländern ohne Rücksicht auf die Umwelt und – schlimmer noch – auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung: all dies weist auf den Mangel an sozialer Gerechtigkeit in unserer globalisierten Welt hin.

Und trotzdem ist die Globalisierung an sich weder gut noch schlecht. Ihr Ausgang ist ungewiss und hängt davon ab, wie wir mit ihr umgehen.

Die globale Perspektive der Bibel

Die Bibel ist ganz ohne Zweifel von Anfang bis Ende global orientiert. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (1. Mose 1). Dass die gesamte Menschheit eine Familie ist, die von einem Mann und einer Frau abstammt, ist der Grundgedanke der Bibel. Sie erklärt zu Anfang, wie sich innerhalb dieser einen Menschheitsfamilie Unterschiede und Gegensätze in Form von einzelnen Völkern und Sprachen herausbildeten.

Dieser Vorgang wird teils als natürlicher Wachstums- und Entwicklungsprozess dargestellt, teils als Strafe Gottes für die Hoffart der Menschen, wie in der Geschichte vom Turmbau zu Babel (1. Mose 11). Auf jeden Fall geht aus dieser Geschichte klar die Vorstellung hervor, dass die Einheit der Menschheit von Gott kommt und ihr so grosse Chancen bietet, dass die Menschen fast so weit kommen, Gott ähnlich sein zu wollen.

Geschichtlich gesehen stellt die Ausbreitung des Christentums ein allmähliches Zusammenführen der gesamten Menschheit in einer Herde und unter einem Hirten dar. Darauf zielt auch das letzte Gebot Jesu an seine Apostel ab: "Gehet hin und predigt die frohe Botschaft allen Völkern." Die Bibel endet mit der Offenbarung des Johannes, in der das Bild einer Menschheit entworfen wird, die als Ganzes dem Reich Gottes angehört, ein Reich, in dem "Gott alles in allem" ist.

Damit haben wir eine feste Grundlage für die von Anfang an durchgängig globale Sichtweise des Christentums. Auch die Soziallehre der (katholischen; Red.) Kirche ist in dieser biblischen Sichtweise verwurzelt, nach der Gott die Menschheit als eine Familie geschaffen und die Gemeinschaft mit ihm uns allen zum Schicksal bestimmt hat. Die Globalisierung ist also ein von Grund auf christliches Phänomen.

(Zweiter Teil des Vortrags von Erzbischof John Onaiyekan folgt.)

Autor: John Onaiyekan
Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Redigiert: Livenet, Antoinette Lüchinger

Datum: 02.02.2004

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