Sozialdiakonische Ausbildung

Zürcher Kirchensynode stellt sich gegen Kirchenrat

Sozialdiakone übernehmen in reformierten Kirchgemeinden zunehmend anspruchsvolle Aufgaben. Wie sollen sie künftig ausgebildet werden? Die Zürcher reformierte Kirchensynode hat sich dafür ausgesprochen, dass neben Fachhochschulen weiterhin auch Schulen wie das Theologisch-Diakonische Seminar Aarau und das Diakonenhaus Greifensee mit ihren praxisnahen Ausbildungen akzeptiert sind.
Marcel Riesen
Jean Bollier
Diakonie - Miteinander
Rathaus Zürich

Den Anlass zur weitgefächerten Debatte am 30. November gab der Einspruch, den der zuständige Zürcher Kirchenrat Marcel Riesen vor einem Jahr beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologie in Bern angemeldet hatte. Riesen wandte sich damals gegen die Möglichkeit eines staatlichen Diploms für Sozial-Diakone auf der Stufe Höherer Fachschulen (HF). Eben dies hatten die meisten Deutschschweizer Landeskirchen und die Diakonatskonferenz als ersten Schritt gewünscht, um den Schulen in Aarau und Greifensee eine Zukunftsperspektive zu geben.

„Aarau und Greifensee für gute Arbeit bestraft“

In einem Postulat forderte Jean E. Bollier im Sommer den Kirchenrat auf, sein „Njet“ zur Anerkennung von sozialdiakonischen Ausbildungen auf HF-Ebene aufzugeben. In der Debatte warf Bollier, Kirchgemeindepräsident in Zürich-Höngg, der Kirchenleitung vor, sie bestrafe die Schulen in Aarau und Greifensee für ihre gute Arbeit, und sprach sich für zwei Ebenen und für den Wettbewerb unter Ausbildungsstätten aus.

Da sich Kirchenrat Riesen entschieden gegen das Postulat wehrte, diskutierte die Synode nicht weniger als drei Stunden. Die sozialdiakonischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (SDM) äusserten sich gegensätzlich. Nach einem emotionalen Schlussvotum Bolliers, der der liberalen Fraktion der Synode vorsteht, wurde das Postulat mit 65 gegen 63 Stimmen überwiesen – eine kleine Sensation angesichts der Tatsache, dass die Zürcher Kirchensynode der Exekutive selten die Gefolgschaft verweigert.

Welche Stellung – und wie viel Macht – für Sozialdiakone?

Im Hintergrund der Debatte steht das Seilziehen um die Stellung der Sozialdiakone, die auch bei der laufenden Teilrevision der Kirchenordnung zu reden gibt. Die Zürcher SDM wollen in der Gemeindeleitung Einsitz nehmen, die bisher von den akademisch ausgebildeten Pfarrern und der Kirchenpflege wahrgenommen wird. Rolf Kühni, Präsident des Zürcher Pfarrvereins, forderte in der Debatte, vor einem Entscheid über die Ausbildungen erst die Arbeitsfelder von SDM und Pfarrern möglichst klar abzugrenzen.

Welches SDM-Berufsbild trägt den Unterschieden zwischen Stadt und Land sowie grossen und kleinen Kirchgemeinden Rechnung? Welchen Platz sollen SDM neben anderen Angestellten und freiwillig Mitarbeitenden einnehmen? Und wie ist kirchliche Diakonie von staatlicher Sozialarbeit zu unterscheiden?

In der Synode wurde Kritik laut, dass die Kirchenleitung trotz jahrelangen Arbeiten noch kein Gesamtkonzept für ihr diakonisches Handeln erstellt hat, welches in diesen Fragen den Weg weisen könnte. Und dies zu einer Zeit, da die Armut in der Schweiz zunimmt und das soziale Gefüge bröckelt.

Arbeit bei der Landeskirche – keine Sackgasse!

Synodale der religiös-sozialen Fraktion unterstrichen, die SDM müssten gleich ausgebildet sein wie die Sozialarbeiter, damit sie von der Landeskirche an eine staatliche Stelle wechseln könnten. Sonst sei die Arbeit für die Kirche eine Karriere-Sackgasse. Dem wurde entgegengehalten, es gebe neben Kirche und Staat zahlreiche andere Arbeitgeber und SDM könnten sich vielfältig weiterbilden.

Marcel Riesen unterstrich mit Verweis auf die Dynamik der europaweiten Bologna-Reform, dass auf lange Sicht kein Weg an einer Fachhochschulausbildung vorbeiführe. Darum wolle die Zürcher Kirchenleitung den Beruf schon jetzt allein auf diesem Niveau positionieren. „Warum sollte die Landeskirche bei der Ausbildung tiefere Ansprüche stellen als staatliche Instanzen, die Fachhochschul-Niveau verlangen?“

Vielfältige Begabungen und Charismen berücksichtigen

Der Stadtzürcher Dozent und Kirchgemeindepräsident Helmuth Werner plädierte anderseits dafür, alle Charismen zu berücksichtigen und Berufs- und Lebenspraxis in der Ausbildung zu integrieren. Der von Kirchenrat beschrittene Weg (allein Fachhochschule) führe ins Abseits.

Der Bildungsexperte Jürg Schoch meinte dagegen, angesichts der Studentenzahlen in der Schweiz sei SDM-Ausbildung auf zwei Niveaus kaum zu leisten. Die Fachhochschule sei praktisch über Nacht der Ausbildungsort für hochstehende Berufe geworden.

Es geht bei alledem nicht nur ums Profil der sozialdiakonischen Arbeit und ums Prestige des Berufs, sondern auch um die Lohntüte. Heute verdienen SDM bei der Zürcher Landeskirche zum Teil mehr als Sozialarbeiter beim Staat. Verschiedene Diplome würden zu einer Lohndifferenzierung führen.

1999: kirchliche Ausbildung zugunsten einer säkular geprägten abgeschafft

Die Zürcher reformierte Landeskirche hatte 1999 ihre eigene SDM-Ausbildung abgeschafft. Seither schickt sie Interessenten an die Hochschule für Soziale Arbeit in der Stadt (HSSAZ). Die ‚Soz’ gehört zur Fachhochschule Zürich.

Die kirchlich-theologischen Inhalte, die die säkulare HSSAZ nicht bietet, müssen in einem Zusatzkurs erlernt werden. Für dessen Erstellung hat sich die Zürcher Landeskirche nicht weniger als fünf Jahre Zeit gelassen, was Befremden auslöste und in der Synode zu einer Interpellation führte.

Der nun vorliegende Kurs, der so genannte Modulare Lehrgang Diakonie, umfasst laut dem Grobkonzept 174 Stunden dozentengeleiteten Unterricht und etwa 260 Stunden Selbststudium und Projektarbeit. Er soll 2005 erstmals angeboten werden.

Den Handlungsbedarf im Diakonie-Bereich zeigten zwei weitere Vorstösse im Kirchenparlament an. Vroni Strasser wünschte, dass der Lehrgang der Synode zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt werde. Sie bezweifelte, dass er bei Soz-Abgängern die erforderliche kirchliche Beheimatung leiste.

Während dieses Postulat, dem Kirchenrat nicht genehm, von der Synode nicht überwiesen wurde, fand ein Postulat von Rolf Schertenleib über die Validierung sozialdiakonischer Arbeit Zustimmung.

Theologisch-diakonisches Seminar Aarau:
www.tdsaarau.ch/

Schule für Diakonie Greifensee:
www.schulefuerdiakonie.ch/content/news.php

Fachhochschule Zürich, Hochschule für soziale Arbeit:
www.hssaz.ch

Zürcher reformierte Landeskirche:
www.zh.ref.ch

Weiterer Livenet-Artikel zum Thema:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/16902/

Datum: 09.12.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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