Religion und die Bewältigung von Lebenskrisen

Silvano Beltrametti: ...der liebe Gott hat es so gewollt
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Freiburg i. Ü. "...der liebe Gott hat es so gewollt, dass ich diese Aufgabe kriege. Ich akzeptiere sie." Diese Worte haben im vergangenen Winter Schlagzeilen gemacht. Sie stammen vom Schweizer Ski-Profi Silvano Beltrametti, der bei einem Abfahrtswettbewerb stürzte und seither querschnittsgelähmt ist. Zitiert werden sie vom jungen Wissenschaftler Urs Winter in einer psychologischen Studie, die dieser an der Universität Freiburg (Schweiz) über die Rolle der Religion bei der Bewältigung von kritischen Lebensereignissen durchführte.

Psychologen sollen für die religiöse Dimension ihrer Klienten ein offenes Ohr haben, fordert der 30-Jährige, der nach dem Studium der Theologie demnächst ein weiteres in Psychologie abschliesst. Viele Menschen setzten religiöse Strategien ein, um schwierige Lebenslagen zu bewältigen. Dem religiösen Verhalten und Erleben müsse in der psychologischen Beratung und Psychotherapie daher entsprechend Rechnung getragen werde - was nicht immer der Fall sei.

Winter verweist auf eine repräsentative Umfrage, die nach den Terrorattentaten vom 11. September 2001 in New York durchgeführt wurde. Dabei habe eine Mehrzahl der Befragten angegeben, dass sie zur Bewältigung dieses schockierenden Ereignisses die Religion zu Hilfe nahmen.

Studie noch unveröffentlicht

Winters eigene Untersuchung stützt sich auf die Befragung von 320 religiös interessierten Personen aus der Deutschschweiz. Er wollte von ihnen wissen, auf welche Weise sie mit kritischen Lebensereignissen fertig werden. Seine noch nicht veröffentlichte Studie ist im deutschen Sprachraum die erste Arbeit zu diesem Thema. Von den Befragten sind 45 Prozent in der katholischen Kirche, 26 Prozent in einer reformierten Landeskirche und 25 Prozent in einer freikirchlich organisierten evangelischen Gemeinschaft eingeschrieben.

Winters Arbeit zeigt deutlich, dass die Religion gerade für mittel- und hochreligiöse Menschen bei der Bewältigung schwieriger Ereignisse von grosser Bedeutung ist. Sie können dabei grundsätzlich die Religion mit positiven oder negativen Werten und Bildern belegen. Winters Befragung hat ergeben, dass sie belastende Ereignisse vorwiegend mit positiven religiösen Strategien bewältigen. Negative Strategien kommen hingegen kaum zum Zuge. Winter hat zudem festgestellt, dass weder das Alter noch das Geschlecht oder die Konfession zu unterschiedlichen Verhalten führen. Wichtiges Kriterium für das Ergreifen einer religiösen Strategie ist allein, wie intensiv die Religion vor der Krise ausgeübt worden ist.

Nahe Beziehung zu Gott

Religiöse Menschen vertrauen in belastenden Situationen auf eine nahe Beziehung zu Gott, von welchem sie sich Liebe und Führung erhoffen. Sie versuchen, die Situation partnerschaftlich mit Gott zu lösen. Negative religiöse Strategien hingegen sind verbunden mit dem Eindruck der Gottverlassenheit und der Strafe Gottes. Sie schaden der psychischen Gesundheit, sie mindern das Wohlbefinden und steigern Ängstlichkeit und Depressivität.

Urs Winter unterstreicht deshalb, dass in Psychologie und Seelsorge das Gottesbild der Menschen ernst genommen werden müsse. Es gelte, Aussagen der Klienten über bestrafende Gottesbilder oder Gefühle der Gottverlassenheit aufzunehmen und zu thematisieren. Während bei der theologischen Ausbildung der Seelsorger die Vermittlung psychologischer Kenntnisse und Fähigkeiten zunehmend an Gewicht gewonnen habe, werde das Umgekehrte bei der psychotherapeutische Ausbildung nicht im gleichen Masse praktiziert, bedauert er.

Datum: 11.02.2003
Autor: Walter Müller
Quelle: Kipa

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