Interview

„Den Tanz um das Goldene Kalb in Zukunft verhindern“

Angesichts der Finanzmarktkrise hat der deutsche katholische Sozialbischof Reinhard Marx Spitzenmanager und Anleger zu einer moralischen Erneuerung aufgerufen.
Reinhard Marx

Gegenüber der Presseagentur Kipa verlangte der Münchner Erzbischof dafür, von überzogenem Profitdenken Abschied zu nehmen. Renditeerwartungen von 20 Prozent im Jahr seien „unsittlich“.

Kipa: Herr Erzbischof, Banken gehen reihenweise pleite, die Börse stürzt ins Bodenlose, hat die freie Marktwirtschaft abgewirtschaftet?
Reinhard Marx:
Nein. Aber es zeigt sich sehr deutlich, dass eine Marktwirtschaft ohne ordnungspolitische Vorgaben nicht funktioniert. Die Wucht der jetzigen Katastrophe hat mich selbst auch erschreckt, aber ganz überrascht bin ich nicht – leider, muss ich sagen.

Noch vor einem Jahr war undenkbar, dass ein Banker wie Josef Ackermann nach dem Staat als Retter ruft. Ist das die Lösung?
In der globalen Wirtschaft gibt es Verflechtungen, die die Reichweite nationalstaatlicher Regeln begrenzen. Umso mehr sind übernationale Institutionen erforderlich. Versagt hat auch der Staat, weil die Politik nicht eingegriffen hat, obwohl viele sehen konnten, was da passiert. Die Ordnung sollte so sein, dass sie nicht den Gierigen, der ohne Rücksicht seinen Interessen folgt, auch noch belohnt. Wir brauchen Strukturen, die den ermutigen, der sich fair verhält, die Risiken auf den Tisch legt und Leute nicht betrügt.

Aber neue Regeln allein helfen nicht. Sie ersetzen nicht die moralische Erneuerung bei den Spitzenmanagern oder letztlich auch bei den Anlegern. Nicht umsonst hat man früher vom ehrlichen Kaufmann gesprochen und davon, dass Geldgeschäfte Ehrensache sind.

Geht ein Mittelständler in die Knie oder ein Privatmann, lässt das die Regierung kalt. Jetzt aber sollen Steuerzahler für Fehlentscheidungen skrupelloser Finanzjongleure einstehen, die mit sechsstelligen Jahresgehältern in den Ruhestand geschickt werden. Ist jetzt die Zeit für eine neue Systemdebatte?
Der Kommunismus ist eigentlich erledigt, aber: Wenn der Kapitalismus die Probleme der Gerechtigkeit und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich nicht löst, dann kommen die alten Ideologien aus ihren Gräbern. Umso wichtiger, dass wir die soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln, dass sie dem Gemeinwohl dient und den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Ich bedaure, dass einige Wirtschaftsakteure, aber auch politische Kräfte, ja auch manche Bürger noch bis vor kurzem einem Turbo-Kapitalismus hinterhergelaufen sind. Renditeerwartungen von 20, 25 Prozent jährlich sind unsittlich, das müsste man wirklich einsehen und entsprechend handeln.

Sollten bestimmte Geschäfte künftig ganz verboten werden?
Ich bin kein Banker. Aber wenn Banken etwas verkaufen, das sie selbst nicht verstehen, ist das schon fragwürdig. Natürlich wird es immer auch riskante Transaktionen geben, die Börse als solche ist ja nicht unmoralisch. Wer Geld übrig hat, darf auch ein hohes Risiko gehen. Aber man muss schon im Blick behalten, dass überschaubare, konservative Anlagen, regional ausgerichtet, gerade jetzt stark gefragt sind.

Vor nicht allzu langer Zeit galt dieses Geschäftsmodell als überholt. Dass jetzt wieder das Loblied auf Sparkassen und Volksbanken gesungen wird, freut mich. Ich hoffe nur, dass damit ein Erkenntnisgewinn verbunden ist, wie wertvoll solche überschaubaren Lebenszusammenhänge sind, gerade für die Menschen, die ihr mühsam erspartes Geld sicher anlegen wollen.

In der Bankenkrise ist auch viel Vertrauen zerstört worden. Vertrauen schaffen zählt zum Kerngeschäft der Kirche. Wie könnte Ihr Beitrag zur Beilegung der Krise aussehen?
Wir sind kein Reparaturbetrieb für Kapitalismusversagen. Wenn die Banker selber Panik haben, dann soll der einfache Kunde ganz gelassen in die Zukunft schauen? Das kann ja nicht sein. Es ist sehr wichtig, dass die Politik und die Banken selber wieder die Grundlagen für Vertrauen schaffen. Das geschieht im Augenblick.

Natürlich müssen wir auch den Menschen Mut machen, nicht zu verzweifeln. Aber manchmal darf die Kirche kein Trostpflästerchen verteilen, sondern sie muss mit der Faust auf den Tisch hauen und die Entrüstung verstärken. Ich hoffe, dass nach dieser Phase wirklich nachhaltige Veränderungen in Gang kommen, die den Tanz um das Goldene Kalb in Zukunft verhindern

Datum: 21.10.2008
Quelle: Kipa

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