Vor ägyptischer Flüchtlingswelle?

SEK-Präsident Locher reist am Sonntag nach Kairo

Seit einer Woche harren vor dem Palast von Präsident Muhammad Mursi in Kairos Vorort Heliopolis christliche Jugendliche aus, während schon heute viele Christen eine neuen Heimat suchen.
Präsidentenpalast in Kairo

Die meisten Jugendlichen hat der «Jugendverband Maspero» aufgeboten. Im Stadtteil Maspero am Nilufer steht das ägyptische Fernsehen, vor dem am 9. Oktober 2011 christliche Demonstranten durch Islamistentrupps zusammengeschlagen, von der Armee zusammengeschossen oder mit Panzern überrollt wurden. Darauf bildete sich die Maspero-Jugend. Sie steht seitdem im Ringen um das Überleben der Christen von Ägypten in vorderster Linie.

Gemeinsamer Protest

Ihrem jetzigen Sitzstreik haben sich fortschrittliche Musliminnen und Muslime angeschlossen. Gemeinsam protestieren sie gegen die immer totalitärere Herrschaft des Muslim-Bruder-Präsidenten Mursi, seine Verhängung neuer Notverordnungen wie früher unter dem Mubarak-Regime, die Abwürgung der Pressefreiheit, Verhaftung von Oppositionellen und vor allem gegen die Wortbrüchigkeit des neuen Staatschefs: Mursi hatte vor seiner Wahl im Juni die Einsetzung einer Frau und eines Christen als Vizepräsidenten versprochen. Doch ernannte er schon vor einiger Zeit einen Muslim zu seinem einzigen Stellvertreter.

Erst jetzt hat Mursi in seine vielköpfige Präsidentschaftskanzlei auch eine ägyptische Frauenfunktionärin und den Christen Samir Morcos aufgenommen. Doch dieser gehört zu den «staatstreuen» koptischen Intellektuellen, die schon unter Mubarak mit der Obrigkeit gemeinsame Sache machten.

Angst vor Einführung der Scharia

Erzbischof Paulus Thoma von Tanta im Nildelta unterstützt diesen Protest. Doch zweifelt er bereits daran, ob für die Kopten und anderen ägyptischen Christen überhaupt noch etwas zu retten ist. Vor allem dann, wenn die im November erwartete neue Verfassung wirklich die islamische Scharia zur einzigen, auch für die rund zwölf Millionen starke koptische Minderheit verbindlichen Rechtsordnung erklärt. «Dann haben wir Christen in Ägypten keine Zukunft mehr und müssen uns eine neue Heimat suchen, das Nilland verlassen wie einst das Volk Israel!», so der Erzbischof. Viele koptische Familien haben diesem Aufruf schon vorgegriffen und sich aus Ägypten abgesetzt. Ihre Zahl soll in die Hunderttausende gehen. Nach dem Irak und Syrien könnte nun eine ägyptische Flüchtlingswelle auf uns zurollen.

Zeichen der Verbundenheit

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) hat bereits vor Monaten auf den Exodus der ägyptischen Kopten hingewiesen und zum Gebet für diese bei den gottesdienstlichen Fürbitten aufgerufen. In der neuen akuten Bedrängnis wird SEK-Präsident Gotttfried Locher am Sonntag nach Kairo reisen, um ein Zeichen solidarischer Verbundenheit mit den Christen am Nil zu setzen.

Weiter Artikel von Heinz Gstrein:
Für die Kopten wird es immer enger
Ägypten wird zum Staat der Muslim-Brüder

Datum: 30.08.2012
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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