Forum Evangelisation

«Gläubig ist nicht genug»

«Leben wir in unseren Gemeinden das Evangelium vom Reich Gottes – oder sind wir nur noch gläubig und religiös?» Mit dieser Frage konfrontierte der Vineyard-Leiter Martin Bühlmann am 25. Januar 2011 die 100 Teilnehmenden am Forum Evangelisation. Pointiert setzte er sich mit der Rolle der christlicher Gemeinden in der Gesellschaft auseinander.
Martin Bühlmann

An zweieinhalb Tagen ging es im Zentrum Ländli in Oberägeri um Innovation und Kraft im Mitteilen der guten Nachricht von Jesus Christus. Unter dem Motto «Es isch möglech!» hatte das Team der Schweizerischen Evangelischen Allianz diesmal zur traditionsreichen Veranstaltung eingeladen. Martin Bühlmann nahm kein Blatt vor den Mund, als er die mangelnde Relevanz der christlichen Gemeinden in der Gesellschaft beklagte. Die Freikirchen steckten «in der massivsten Krise ihrer Geschichte». Sie hätten sich zurückgezogen auf ein individuelles Christsein, in dem es nur ums persönliche Heil gehe. So sei das Evangelium «nicht die Botschaft, welche die Gesellschaft verändert und erneuert – und wir fragen uns, warum wir nicht mehr relevant sind!»

Was ist das Ziel?

Für Bühlmann geht es nicht darum, wirksame Instrumente zur Evangelisation in die Hand zu bekommen. «Wenn wir nicht das richtige Verständnis unseres Auftrags haben, dienen uns Instrumente wenig.» Der Leiter der Vineyard-Gemeinden im deutschsprachigen Raum stellte die verschiedenen Konzepte nebeneinander: Freikirchen arbeiten darauf hin, dass Menschen zum Glauben kommen; daneben betont eine Bewegung den evangelistischen Auftrag der Gemeinde und strebt ihr Wachstum an. Ein dritter Ansatz geht von Gottes Willen aus, eine neue Welt zu schaffen. «Unsere Mission ist nicht bloss, dass der Einzelne gerettet wird. Denn es geht Gott um die Wiederherstellung des paradiesischen Zustands.» Dieser Zustand werde bei der Wiederkunft Jesu eintreten; die Gemeinde lebe zeichenhaft darauf hin.

Evangelium ohne Verengung

Die Kirche steht in der Spannung: Das Reich Gottes, das mit Jesus anbrach, kommt erst bei der sichtbaren Wiederkunft des auferstandenen Herrn vollends zum Durchbruch. Das Reich Gottes können Christen nicht bauen, betonte Bühlmann. Es breitet sich aus. «Der Hauptort der Ausbreitung ist die Gemeinde – wenn sie kein verengtes Evangelium hat.» Eben dies sei geschehen: «Wir haben das Evangelium verengt auf Heil für den Einzelnen und Gemeindeaufbau.» Wenn ein Mensch umkehre, tue er den ersten Schritt ins Leben mit Jesus Christus. Aber die Herrschaft von Jesus sei umfassend zu verstehen. Bühlmann illustrierte dies mit Geld: Gott gehöre nicht der Zehnte, sondern seiner Herrschaft unterstehe alles.

Politische Verantwortung wahrnehmen

Die christliche Botschaft zielt auf die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft – mindestens «einer Gesellschaft, die die Gerechtigkeit des Reiches Gottes sucht». In diesem Zusammenhang prangerte Martin Bühlmann die Neigung von Christen an, sich von der Politik fernzuhalten und nicht abzustimmen. «Ich habe etwas dagegen, dass wir Christen uns aus Mangel an Überzeugungen marginalisieren lassen. Wir sollen uns unter den Gehorsam des Königs Jesus begeben und uns von daher mit den Fragen auseinandersetzen.» Es sei nicht schlimm, unterschiedliche Meinungen zu haben – «schlimm ist es, keine Meinung zu haben».

Der Berner erteilte jeglichem Nationalismus eine Absage («wir sind Bürger des Himmels») und erwähnte die vielfältigen Formen von Armut. Vor Gott stehe niemand wegen seines Vermögens besser da; die Schweizer aber hätschelten die Reichen. «Wenn Jesus heute da wäre, würde er keinen Samaritaner nehmen, sondern einen Kosovaren oder einen Afrikaner.» Bühlmann mahnte, beim Kauf von Gütern aus Billigländern an die Produktionsbedingungen zu denken. «Wurden die Jeans, die für einen Fünfliber zu haben sind, von Kindern hergestellt, die an Giftstoffen sterben?»

Die Stimme den Armen geben

Das Reich Gottes rückt, so der Referent, die Würde jedes Menschen in den Mittelpunkt. «Ist jemand nicht mehr mein Freund, wenn er nicht Christ wird?» Das Evangelium werde missverstanden, wenn man Leute auf das Ziel ausrichte, besser in den Himmel zu kommen. Bühlmann: «Wenn eine Gemeinde nicht ihre Stimme den Armen gibt, die da bei uns wohnen, verkörpert sie nicht Reich Gottes.»

Der Vineyard-Leiter schilderte, wie die Berner Gemeinde zur Wahrnehmung der Bedürftigen angeleitet wird und die Wohlhabenden im Gottesdienst mit ihnen teilen. «Nur beten und nichts tun – das wäre frommer Zynismus.» Im Mittelpunkt stehe nicht mehr «das Kuschel-Evangelium für ein paar Fromme, sondern die Veränderung der Welt um uns herum». Der Preis dafür sei zu zahlen: auch dass «stinkende Gäste sich bei uns daheim einfinden.»

Datum: 28.01.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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