Kommentar

Europa vor einem stürmischen Winter

Europäischen Währungsunion

Mit der Währungsunion hat sich die EU auf eine Rutschbahn begeben. Die Union ermöglichte den Eliten in mehreren Ländern jahrelangen Schlendrian und Schuldenmacherei jenseits aller Vernunft. Dass Deutschland sich zuerst als Musterknabe aufspielte und dann die Neuverschuldungslimite von 3 Prozent des BIP selbst über Bord warf, muss den Leichtsinn südlich am Mittelmeer zusätzlich angefacht haben. Nun droht die Währungsunion von Schulden erdrückt zu werden. Dass immer mehr Länder Zielscheiben für Spekulanten werden und auch Italien seine Schulden teurer refinanzieren muss, zeigt die kritische Lage des Währungsraums an.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentiert den bestürzenden Gang der Dinge aus deutscher Sicht. Die in Brüssel rituell beschworene Entschlossenheit, den Euro zu retten, wird das Land mit der grössten Wirtschaftsleistung unsäglich teuer zu stehen kommen. Schon erscheint ungewiss, ob der Schutzschirm (mit der kaum vorstellbaren Summe von 750 Milliarden Euro) für immer mehr taumelnde Staaten ausreicht.

Es wirkt ironisch, dass der Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet den Aachener Karlspreis (verliehen zur Förderung der europäischen Einheit) an dem Wochenende in Empfang nimmt, da seine Bank Staatsanleihen aufkauft, um die Kurse zu stabilisieren und die Risikoaufschläge zu senken. Die FAZ schreibt: «Was vor einem halben Jahr noch als Tabu galt – die Haftungsübernahme für fremde Schulden, indirekte Staatsfinanzierung durch die Notenbank –, das ist nun fast tägliche Notfallübung. In rasendem Tempo hat die Währungsunion ihre Grundprinzipien gebrochen.»

Die unterschiedliche Wirtschaftskraft der Mitglieder der Währungsunion war bekannt, als man sie hochgemut beschloss. Diesen Unterschieden mit den Zwängen der Einheitswährung beizukommen, wird jedoch erschwert – oder unmöglich gemacht – durch Mentalitätsunterschiede und alte Nationalismen, die der politischen und religiösen Geschichte des Kontinents entstammen. Der Eindruck verstärkt sich, dass jene Länder Europas, die die Reformation nie durchmachten, noch Jahrhunderte später wirtschaften anders als jene, deren Stammbevölkerungen seither von protestantischer Arbeitsethik und Aufklärung geprägt wurden.

Der Euro erwies sich als Einladung an Staaten, über die Verhältnisse zu leben, ohne gleich an den Pranger gestellt zu werden. Die FAZ konstatiert klagend: «Der Konsum hierzulande stagnierte, während in Südeuropa eine wilde Party begann… Absurd aufgeblähte Bausektoren in Spanien und Irland, zu viel Konsum auf Pump in Griechenland waren die Folgen, die in ökonomischen Crashs endeten, als die Kreditblasen platzten.» Und sie fragt: «Sollen dann nach jeder Schuldenorgie die deutschen Steuerzahler einspringen?»

Die EU-Währungsunion, die die europäische Einigung voranbringen sollte, strapaziert den Willen dazu bei den Zahlern gewaltig. Angesichts der Verantwortungslosigkeit in vielen Hauptstädten, die zum Fiasko geführt hat, wird nun als Ausweg eine weitere Zwangsjacke gefordert: die Vereinheitlichung der gesamten Wirtschaftspolitik unter der Führung Brüssels. Dies scheint einigermassen verwegen. Europa geht in einen stürmischen Winter.

Datum: 07.12.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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