Schwarzarbeit mit Heiligenschein

Schwarzarbeit mit Heiligenschein

Ob in der Anwaltspraxis, auf der Baustelle, bei der Autoreparatur, auf dem Bauernhof oder beim Haare schneiden – Schwarzarbeit ist quer durch alle Branchen längst gesellschaftsfähig. Professor Thomas Schirrmacher, Bonner Theologe und Rektor des „Martin Bucer“-Seminars, erklärt, was die Bibel zu diesem Thema sagt.

Herr Dr. Schirrmacher, was ist eigentlich so „schwarz” an der Schwarzarbeit?
Thomas Schirrmacher: Schwarz ist bedeutet im rechtlichen Sinne, Einkommen zu verschweigen, um Steuern und Sozialversiche­rungen zu sparen.

Empfindet eine Mehrheit Schwarz­arbeit überhaupt noch als Unrecht?
Wenn der Rechtsanwalt erzählt, er habe seine Büromöbel gestohlen, würden die meisten den Anwalt wechseln. Wenn der Rechtsan­walt dagegen sagt, er habe etwas schwarz gemacht, berührt das die grosse Masse nicht mehr. Die mei­sten Menschen gehen davon aus, dass er das tut.

Weshalb ist das so?
Es sind mehrere Faktoren, die dazu beitra­gen, dass Schwarzarbeit immer mehr zunimmt. Erstens sind die Steuer- und Sozialversicherungsab­gaben zu hoch. Zweitens glauben viele Bürger nicht, dass der Staat das Geld richtig verwaltet und einsetzt. Und drittens ist unser Steuersystem so chaotisch, das selbst Experten es nicht mehr überblicken.

Was heisst das im Einzelnen?
Zum ersten Faktor: Schwarzarbeit steigt immer dort, wo der Anteil der Abgaben zu hoch ist. Auch in der Bibel findet man sehr deutliche War­nungen an den Staat, nicht zu hohe Abgaben zu erheben. So heisst es in Sprüche 29,4: „Ein König gibt durch das Recht dem Land Bestand, aber wer nur Abgaben fordert, zerstört es.“ Das Entscheidende ist natürlich unser Prinzip des Rechts­staates. Erst dieses Recht gibt unserem Land Bestand. Aber es reicht eben nicht, die Kriterien zu erfüllen, die ein Land aufblühen lassen. Um den guten Zustand zu erhalten, müssen gleichzeitig die Probleme beseitigt werden, die es zerstören. Deshalb folgt in der Bibel gleich der Satz: „Aber wer nur Abgaben fordert, zerstört es.” Der Rechtsstaat kann Schwarzar­beit nicht wirkungsvoll durch Gesetze einschränken, wenn sie wegen der hohen Abgaben zu interessant ist.

Was also löst das Problem der Schwarzarbeit?
Eine Lösung sehen wir zum Beispiel in Australien und England. Sobald die Abgabenbelastung abnimmt, ver­schwindet der grösste Teil der Schwarzarbeit. Denn überall fürchten Schwarzarbeiter Bestrafung.

Welche Rolle spielen die anderen Faktoren, die Sie genannt haben?
Das sind eher sub­jektive Faktoren. Der Bürger hat das Empfinden, die Steuern werden ver­schwendet. Auch das Steuerchaos frustet den Bürger. Trotzdem ist der Frust subjek­tiv und keine Entschuldigung, nicht zu zahlen. Aber er steigert die Lust, die Quittung wegzuwerfen.

Wie stuft Gott Ihrer Meinung nach Schwarzarbeit ein?
Der Gedanke eines nackten Kapitalismus „Was ich mir ver­dient habe, gehört mir!” ist der Bibel völlig fremd. Er sollte auch jedem gesell­schaftlichen und ethischen Denken fremd sein. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er unter normalen Umständen viel mehr erwirtschaftet, als er selbst braucht. Auf diesen Rest hat die Familie - die man unbedingt zuerst nen­nen muss - einen Anspruch, aber auch der Staat, die Gemeinde und die Men­schen in Not.

Wenn man anhand der Bibel über Schwarz­arbeit nachdenkt, muss man sich also fragen: Wie verteile ich meinen Gewinn?
Ja, und die Bibel legt klar fest: Wenn ich hundert Franken verdiene, darf ich nicht alles für mich ausge­ben. Natürlich gibt es in der Bibel keine Beispiele dafür, dass jemand Sozialkosten vermieden hat, denn die wur­den erst im letzten Jahrhundert eingeführt. Aber es gibt durchaus Texte, die uns ermahnen, Steuern zu zahlen. Nach bibli­schen Verständnis hängt die Pflicht, Steuern zu zahlen, weder davon ab, wie viel der Staat verlangt, noch davon, was er damit macht.

In der Theorie klingt das alles einleuchtend. Wie aber überzeugen Sie einen Arbeitslosen, dass Schwarzarbeit nicht in Ordnung ist?
Arbeitslosigkeit ist nie einfach. Ich bin selbst einmal eineinhalb Jahre arbeitslos gewesen, mein Bruder gerade drei Jahre. Deshalb erzähle ich nicht nur theore­tisch davon. Zuerst würde ich ihm erklären, was die Bibel zu diesem Thema sagt. Ich würde ihm zustimmen, dass unsere Steuerbelastung tatsächlich zu hoch ist. Aber ich würde auch über das Thema Dankbarkeit sprechen. Wir dürfen nicht ver­gessen, dass wir eine Strasse mit Beleuchtung haben, Kehrdienst und vieles andere. Dafür könnte der einzelne schlecht sorgen. Deshalb zahle ich Steuern, auch wenn ich weiss, dass ein Teil davon veruntreut wird.

Hätten Sie in keinem Fall Verständnis, wenn ein Arbeitsloser schwarz arbeitet?
Für richtig halte ich es in keinem Fall. Verständnis könnte ich für einen Arbeitslosen haben, der viele Kinder versorgen muss, und die Steuer sparen will, weil er das Geld braucht. Das ist allerdings nicht sehr häufig. Ich würde einen Arbeitslosen immer ermu­tigen, jede legale Möglichkeit zu nutzen, um Steuer- und Abgabenbelastung zu reduzieren. Ausserdem sollte er sich genauestens informieren, wie viel er nebenher arbei­ten darf. Wenn sich ihm die Möglichkeit bietet, das Haus eines Freundes zu re­novieren, sollte er mit dem Arbeitsamt über eine sinnvolle Lösung nachdenken. Viele sind sehr phantasielos. Sie wollen es an einem Stück machen. Warum re­novieren sie nicht jede Woche zwei Stunden? Das dauert zwar länger, ist aber völlig legal! Verdient ein Arbeitslo­ser allerdings so viel nebenher, dass er seine ganze Arbeitslosenversicherung verlieren könnte, hat er eine richtige Ar­beit. Er nutzt den Sozialstaat aus.

Beraten Arbeitsämter tatsächlich so gut?
Ich habe gute Erfahrungen gemacht. Die Beamten sind nicht daran interessiert, soviel Geld wie möglich für den Staat zu gewinnen. Als ich arbeitslos war, konn­te ich oft als Theologe eine Predigt „nebenbei” halten. Die Anregungen, wo die Grenzen sind, habe ich vom Arbeitsamt erhalten. Nach etwas mehr als einem Jahr hat mir das Arbeitsamt vorgeschlagen, mich selbständig zu machen – mit entsprechender finanzieller Unterstützung. Diese Idee habe ich mit deren Hilfe umgesetzt und es nicht bereut.

Datum: 06.02.2006
Quelle: Neues Leben

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