Genitalverstümmelung

In der Schweiz sind 15'000 Frauen betroffen

Weibliche Beschneidung ist eine afrikanische Unsitte, so denken viele. Doch auch in der Schweiz leben mehrere Tausend beschnittene Frauen. Die 18-jährige Maturandin Anna Schranz aus Hätzingen GL hat darüber eine Arbeit geschrieben.
Anna Schranz

idea Spektrum: Anna Schranz, was bewog Sie, eine Matura-Arbeit über die Praxis der Beschneidung, der Gential-Verstümmelung zu schreiben?
Anna Schranz: Ähnlich wie viele andere, bin ich durch den Film «Wüstenblume», der das Leben und Wirken einer beschnittenen Somalierin beschreibt, auf das Thema der weiblichen Beschneidung aufmerksam geworden, und es hat mich nicht mehr losgelassen. Als die Themenwahl der Maturaarbeit bevorstand, war es für mich eine Gelegenheit, einige Aspekt zu vertiefen.

Weltweit ist von 200 Mio. betroffenen Frauen die Rede, in der Schweiz sind es 15'000. Immer wieder hört man, dies sei eine islamische Praxis, stimmt das?
Nein, der Ursprung dieser Praxis kann weder auf den Islam zurückgeführt werden noch wird die weibliche Beschneidung nur von Musliminnen praktiziert. Die Beschneidung kommt auch bei Christinnen vor. Dieser weltweit verbreitete Brauch ist eher kulturell-gesellschaftlich als religiös bedingt zu erklären.

Was lässt sich über den Ursprung sagen? Wie wird die Beschneidung der Frau begründet?
Über die Ursprünge der weiblichen Beschneidung streiten sich die Wissenschaftler. Man fand schon beschnittene Mumien aus der Pharaonenzeit und Höhlenbemalungen, die eine Beschneidung darstellen. Es lässt sich sagen, dass die weibliche Beschneidung sehr alt ist, älter als Islam und Christentum. Die Gründe, wie eine solche Praxis entstehen konnte, sind immer noch umstritten. Ob es nun war, um sexuell Macht über die Frau ausüben zu können, ob es ein Zeichen der Ehre war, wenn eine Frau beschnitten wurde, oder ob die Frauen vor Vergewaltigungen geschützt werden wollten – man weiss es nicht. Die ursprünglichen Gründe der weiblichen Beschneidung wurden wahrscheinlich mit der Zeit durch zeitgenössische Erklärungen abgelöst und sind in all den verschiedenen Ethnien, welche sie praktizieren, sehr unterschiedlich. Heutzutage ist diese Praxis wohl grösstenteils auf die Ansprüche der jeweiligen Gesellschaft zurückzuführen und auch auf Unwissenheit und Aberglaube bezüglich Gesundheit und Religion.

Ist das Thema «weibliche Beschneidung» aktuell in der Schweiz?
Viele wissen nicht, dass weibliche Beschneidung auch in der Schweiz vorkommt. Zudem kursieren viele falsche Annahmen, wie zum Beispiel, dass die Sexualität der Frauen verloren gehe, was so jedoch nicht stimmt. Die Sexualität kann stark eingeschränkt werden, aber dass die betroffenen Frauen durch die Beschneidung keine Orgasmen mehr erleben können und allgemein kein sexuelles Interesse mehr haben, das stimmt nicht.

In der Schweiz sind Beschneidungen verboten. Wer nimmt diese hier vor?
Sie erfolgen im Geheimen. Meist sind es traditionelle Beschneiderinnen oder Hebammen. Es können auch Ärzte sein, die die Beschneidung vornehmen. Was tun bei Verdacht auf Beschneidungen? In einem Verdachtsfall empfiehlt es sich, zum Beispiel Caritas oder Terre des Femmes zu kontaktieren und um Rat zu fragen. Diese Stellen gewährleisten einegute, differenzierte Betreuung sowohl der Person, die den Verdacht hat, wie auch der betroffenen oder bedrohten Person.

Weibliche Beschneidung

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung und in der Schweiz eine Straftat. Doch wandern zunehmend Menschen aus Ländern ein, in denen die weibliche Beschneidung praktiziert wird. In unserem Land leben schätzungsweise rund 15 000 betroffene oder gefährdete Mädchen und Frauen (v.a. aus  Eritrea, Äthiopien, Sudan und Ägypten) leben. In einer Umfrage erklärten 2012 vier von fünf Gynäkologen und zwei Drittel der Hebammen, Kontakt mit beschnittenen  Frauen gehabt zu haben. Ein Drittel der Befragten aus dem Gesundheits-, Asyl-undSozialbereich gaben an, sie hätten in ihrem Arbeitsalltag schon erlebt, dass ein Mädchen in Gefahr war, eine Genitalverstümmelung zu erleiden. Eine Genitalverstümmelung kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Mädchen und Frauen haben und gilt in der Schweiz als schwere Körperverletzung. Die Uno geht weltweit von mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen aus, die beschnitten wurden.

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Datum: 08.03.2016
Autor: René Keller
Quelle: idea Spektrum Schweiz

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