Kommentar

Das Leben – kein Geschenk?

Leben als Geschenk

Das Ergebnis der Umfrage muss Christen ernüchtern: Für die Mehrheit der (befragten!) Schweizerinnen und Schweizer ist das Leben kein Geschenk, sondern ein Projekt. Ein Projekt, das man mit dem Ziel von Selbstbestimmung und Lebensqualität betreibt. Ein Projekt, das man abbrechen können will, wenn diese sich verflüchtigen. Als wäre das Leben ein rauschendes Fest mit Achtgang-Menü, nach dessen Genuss man, alles Weitere vergessend, für immer einschlummern kann. Die Ärzte sollen dazu Hand bieten; sie sollen zur Leidensprävention bei schweren Schmerzen tödliche Mittel verabreichen.

Die Mehrheit der vom Kriminologischen Institut der Universität Zürich befragten Schweizerinnen und Schweizer wünscht die Legalisierung aktiver «Sterbehilfe» in bestimmten Umständen. Vorweg gibt zu denken, dass Juristen in diesen Fragen Mehrheiten erheben und mit den Ergebnissen die Gesetzgebung beeinflussen. Zu viel steht auf dem Spiel.

Machen wir uns nichts vor: Das Image der Schweiz, das mit dem Roten Kreuz verbunden war, hat durch die Suizid-Organisationen Schaden genommen. Während sich Exit um Seriosität bemühte, hat Dignitas in der Öffentlichkeit immer wieder Kopfschütteln und Empörung provoziert. Die Kirchen wandten sich gegen die Tätigkeit der Suizid-Organisationen. Haben die Minelli-Schlagzeilen trotzdem dazu beigetragen, dass mehr Schweizer wünschen, vor schwerem Leiden bzw. dem Verlust der Selbstbestimmung ein Todesmittel vom Arzt verabreicht zu erhalten?

Was die Suizid-Organisationen teils mit skandalösem Sendungsbewusstsein treiben, dürfte die Hemmungen gegenüber aktiver Sterbehilfe über die Jahre verflüssigt haben. Es scheint, dass Hunderttausende säkular gestimmter Schweizer finden, wenn die Beihilfe zum Suizid so viele Probleme verursache, sollten die Mediziner in den Stand gesetzt werden, selbst Todesmittel zu verabreichen.

Die Medizin, von Hippokrates und der jüdisch-christlichen Tradition zum Schutz und Erhalt des Lebens verpflichtet, kommt da gleich mehrfach in die Zwickmühle. Nachdem sie die Lebensverlängerung mit technischen Mitteln perfektioniert hat, muss sie zur Kenntnis nehmen, dass solches Siechtum – auch wenn Morphine und Apparate es erträglich machen – von der Mehrheit nicht mehr gewünscht wird. Man will über das Lebensende verfügen können. Die Diskussion über die Kosten der Pflege trägt das Ihre dazu bei, dass mehr Senioren Suizidhilfe erwägen. Der Arzt soll Euthanasie (wörtlich: «guter Tod») als letzte Dienstleistung bieten.

Diese Mentalität ist Christen fremd und mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Christen sehen das Leben als Geschenk des Schöpfers, das verantwortlich zu gestalten ist. Anfang und Ende stehen nicht in unserer Macht. Das Leben läuft unabwendbar auf den Tod zu, weil wir nicht harmonisch mit Gott, der die Fülle des Lebens ist, verbunden sind. Schuld trennt uns von ihm. Hiob drückt aus, dass gläubige Menschen, wenn der Tod Leben raubt und zerstört, Gottes Walten akzeptieren: «Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; der Name des Herrn sei gepriesen.» Der Tod ist nicht das Letzte; Christen bitten, glauben und erwarten, dass Gott ihnen im Jenseits das ewige Leben schenkt. Sie glauben an die Auferstehung und an das Gericht am Weltende. Weil Christus auferstanden ist und dem Tod die Macht genommen hat, ist jedes Sterben viel mehr als ein Ende – es geht auf eine Erfüllung zu.

Doch die reformierten Landeskirchen haben dem Kult der Selbstbestimmung, der das Klima für die Suizid- und Euthanasiedebatte abgibt, wenig entgegengehalten. Vom Staat wegen ihrer wertevermittelnden Funktion bisher privilegiert, stehen sie nicht gut da: Wie die Umfrage zeigt, haben sich die Schweizer auch in den Fragen um Sterben und Tod mehrheitlich von christlichen Einstellungen abgesetzt. Die Wirkung von Reinkarnations-Illusionen ist nicht zu unterschätzen.

Projekt oder Geschenk? Es bleibt die Frage, wie wir die Würde menschlichen Lebens, auch hinfälligen Lebens, eher bewahren. Die Kirchen haben allen Grund, sich in die Debatten einzumischen – mit dem Evangelium, das nicht im Diesseits bleibt, sondern die Türe zum Jenseits öffnet. Ihnen ist es aufgeben, den auferstandenen Herrn zu bezeugen, der auch auf leidvolle Tage das hellste Licht wirft.

Datum: 04.09.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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