Islam als «Landeskirche»?

Muslime dulden – oder gar fördern?

Muslimische Dachorganisationen wollen öffentlich anerkannt werden. Die Uni Fribourg will Imame ausbilden. Das macht vielen Christen Angst. Zu Recht?
Muslime in Damaskus beten Richtung Mekka

Die beiden Leserbriefe fassen ein weit verbreitetes Unbehagen gegenüber Muslimen und das Bauchgefühl gegen eine öffentliche Aufwertung gut zusammen:

«Eine Religion, die die Scharia anerkennt, die Gleichberechtigung der Frau verweigert und die Steinigung der Frau vorsieht, hat in unserem christlichen Land überhaupt nichts zu suchen. Ich gehe aber davon aus, dass die junge Generation, die zwar dem Islam angehört, eine differenziertere Haltung einnimmt. Es ist trotzdem ratsam, dass wir unsere christlichen Werte mit aller Kraft verteidigen, denn es wäre mit unserem freiheitlichen Denken vorbei, wenn islamisches Gedankengut vorherrschen würde.» So Erwin Gasser aus Brugg in der Aargauer Zeitung.

Dämme gegen die Unterwanderung bauen

Zur Frage, ob der Islam zu einer Landeskirche werden darf, schreibt Roger E. Schärer aus Feldmeilen: «Solange christliche Kirchen in muslimischen Staaten angezündet, christliche Geistliche ermordet, christliche Friedhöfe und Schulen verhindert werden, so lange darf der Islam keine Landeskirche in unserer christlichen Schweiz werden. Es ist schon ein Schlag gegen unsere Werte, wenn an der Universität Freiburg Imame ausgebildet und im Lehrplan 21 der Islam in der Religionskunde schwergewichtig behandelt werden soll. Nachdem uns Europa wegen der Anti-Minarett-Abstimmung bewundert, gilt es, der islamistischen Unterwanderung in der Schweiz Dämme zu bauen.»

So wie die beiden Leserbriefschreiber scheinen auch viele Christen in Landes- und Freikirchen zu denken. Die Feindbilder werden durch tägliche Nachrichten über islamischen Extremismus in Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Ägypten und im Nahen Osten bestätigt. Oder auch durch Organisationen wie den Islamischen Zentralrat in der Schweiz. Muslime fallen durch Äusserlichkeiten in unserem Land wie das Kopftuch muslimischer Frauen oder – wenn auch ganz selten – den Tschador auf. Die Immigranten kommen aus einer andern Kultur, sprechen eine andere Sprache, haben zum Teil Mühe mit der Integration. Dass ein grosser Teil der Muslime in der Schweiz recht gut integriert ist und religiös mit einem durchschnittlichen Mitglied einer Landeskirche verglichen werden kann, fällt nicht auf.

Die Frage nach der echten christlichen Haltung

Ein Teil der Christen sieht in der Zunahme der muslimischen Einwanderer eine Gefahr für unsere Kultur und unseren christlichen Glauben. Sie sehen schon das Damoklesschwert der Scharia über unser Rechtswesen hereinfallen. Und sie argumentieren mit Ländern, welche Christen die Gleichstellung verwehren. Die Folge: sie wehren sich gegen jede öffentliche und rechtliche Aufwertung des Islams – als ob es «den Islam» überhaupt gäbe.

Sie übersehen, dass die christlich geprägte Kultur, für die sie sich wehren wollen, viel stärker von Säkularisation, Individualismus und Postmoderne bedroht ist als durch Kopftücher und Minarette. Sie übersehen auch, dass Muslime mehr Werte mit Christen teilen als die Säkularisten. Namentlich die Familien- und Lebenswerte. Sie sind meisten sehr familienbewusst, lehnen Abtreibung und Suizidhilfe ab und sind in diesem Bereich stille Verbündete der Christen. Auch die Irrungen und Wirrungen der Finanzindustrie wären in einer muslimischen Kultur nicht möglich. Oder die Verirrungen des modernen Genderismus.

Bestehen christliche Werte nicht vielmehr darin, den Fremden zu akzeptieren, ihm Nächstenliebe entgegenzubringen? Auch wenn seine Sitten und seine Religion ein hohes Mass an Toleranz erfordern. Suchen Christen nicht den Kontakt und das Gespräch mit jenen, die in der Schweiz ein Auskommen und Weiterkommen suchen? Müssten nicht Christen die Anstrengungen um eine vermehrte Integration in unsere Strukturen, also auch die Anerkennung als Religionsgemeinschaft, fördern? Könnte nicht eine Imam-Ausbildung in der Schweiz dazu beitragen, dass sich Muslime besser zurechtfinden und integrieren können? Oder ist es besser, wenn sie weiterhin in den Hinterhöfen ihre Religion leben?

Den Nächsten lieben trotz allem

Richtig: das ist alles viel einfacher gesagt als getan. Es gibt jenste Argumente und persönliche Erfahrungen, die dagegen sprechen. Und die Medien machen es mit täglicher Polemik und schlechten Nachrichten über islamischen Extremismus auch nicht einfacher. Aber es gibt auch einen gesunden christlichen Realismus. Gerade wer Muslime für den christlichen Glauben interessieren und gewinnen will, wird auch ihre Bedürfnisse auf Akzeptanz und Anerkennung ernst nehmen. Und zu gangbaren und gesellschaftlich akzeptablen Lösungen beitragen.

Wer aber seinen Glauben durch Abgrenzung von allen falschen Einflüssen prägen lässt und überall die Feinde der Christenheit sieht, wird sich mit dieser Haltung der Offenheit schwer tun. Der Christ aber sieht auch im «Fremden» immer schon einen von Gott geliebten Menschen.

Datum: 19.03.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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