18 Monate Haft

«Ich habe den Papst verraten»

Der ehemalige Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, ist am Samstag im «Vatileaks»-Prozess wegen Diebstahls zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. Ausserdem muss er die Prozesskosten tragen.
Dunkle Wolken über dem Kirchenstaat

Der Kammerdiener gestand, vertrauliche Dokumente des Papstes an den Journalisten Gianluigi Nuzzi weitergegeben zu haben. Die Anklage hatte eine dreijährige Haftstrafe sowie ein beschränktes Berufsverbot für den ehemaligen Kammerdiener gefordert. «Im Sinne der Anklage erkläre ich mich für unschuldig». Zwar rückte der 46 Jahre alte Italiener nicht von seinem Geständnis ab, das er schon in früheren Vernehmungen abgelegt hatte. Ja, er habe vertrauliche Dokumente des Papstes heimlich kopiert und weitergegeben. Nur: Als «schweren Diebstahl» wollte er das nicht gewertet wissen.

Buch veröffentlicht

Auslöser war ein in Italien erschienenes Buch: «Sua Santità» (Eure Heiligkeit) von Gianluigi Nuzzi. Darin wurden zahlreiche direkt an den Papst oder seinen persönlichen Sekretär Georg Gänswein gerichtete, vertrauliche Briefe veröffentlicht. In der Wohnung von Paolo Gabriele in der Via di Porta Angelica fand man auch noch nicht versandte Briefe an den Autor Gianluigi Nuzzi. Der Journalist pries seine Veröffentlichung «als aufklärerischen Akt, auf den die Informationsgesellschaft ein Recht habe.» Weil seine Enthüllungen authentisch waren, klagt der Vatikan auch gegen Autor und Verleger wegen «Diebstahls» dieser Wahrheiten.

Brisante Informationen?

Aber was enthalten die veröffentlichten Dokumente eigentlich genau? Zwar war im deutschsprachigen Raum massenhaft von «Skandalen», «dunklen Geheimnissen» und «Machenschaften» die Rede, aber die Leser erfuhren durch das Buch so gut wie nichts Genaues über den Inhalt der Textstücke; in den Internetforen des Magazins «Spiegel» etwa fragten scharenweise irritierte Leser, was nun eigentlich drinstehe in den angeblich so brisanten Dokumenten.

Nicht nur Dokumente

Radio Vatikan zufolge wurde ein umfangreiches, hunderttausende von Blättern umfassendes Archiv entdeckt. Das Militär gab an, die Untersuchungen «ausschliesslich zur Auffindung des von Nuzzi veröffentlichten Materials» eingeleitet zu haben und erst später «den Ernst der Lage» erkannt zu haben. Die etwa tausend beschlagnahmten und zwischen Blättern versteckten Originaldokumente und Kopien betreffen unter anderem die Themen Freimaurerei, Esoterik, die Logen P2 und P4, wobei Papiere zu den Fall Calvi sowie zu Berlusconi und Vatileaks zum Vorschein kamen, das Institut für religiöse Werke IOR, Recherchen über Yoga, den Buddhismus und das Christentum. Ausserdem hatte sich gezeigt, dass Gabriele nicht nur vertrauliche Dokumente, sondern auch materielle Werte mitgehen liess, etwa einen Goldklumpen und eine wertvolle Buch-Ausgabe.

Einzeltäter?

Zunächst war die Rede von weiteren Personen, die in den Geheimnisverrat involviert sei könnten, oder zumindest davon gewusst haben – etwa sein geistlicher Berater. Der Ermittlungsreport nannte keine Namen. Und etwaige Komplizen? Die gab es nach Gabrieles Worten nicht. In einem anonym geführten TV-Interview hatte Gabriele im Februar hingegen noch von 20 Gesinnungsgenossen gesprochen. Gabriele habe in ersten Vernehmungen angegeben, von seinem Umfeld beeinflusst worden zu sein.

In ihm seien Unmut und Frust über Missstände und Korruption im Vatikan gewachsen. Er fühlte sich «in gewisser Weise vom Heiligen Geist infiltriert» und erwartete von einem «Medienschock» eine heilsame Wirkung.

Persönlichkeitsstörung?

Ein psychiatrisches Gutachten schildert den Verdächtigen als Person mit «instabiler Identität». Als manipulierbaren Menschen mit einfacher Intelligenz und Hang zur Paranoia – aber in jedem Fall schuldfähig. Die Anwältin des verurteilten päpstlichen Kammerdieners Paolo Gabriele hat dem Vatikan eine Verletzung der Menschenwürde vorgeworfen. Die Veröffentlichung von Passagen aus psychologischen Gutachten in der Anklageschrift und im Untersuchungsbericht habe ihren Mandanten dem «fortwährenden Gespött der Öffentlichkeit» ausgesetzt.

Begnadigung möglich

Papst Benedikt XVI. dürfte vermutlich seinen früheren Kammerdiener Paolo Gabriele begnadigen. «Die Möglichkeit einer Begnadigung ist sehr konkret und sehr wahrscheinlich», betonte Vatikansprecher Federico Lombardi nach der Urteilsverkündigung. Die Prozessunterlagen würden jetzt dem Papst zugeleitet, hob er hervor.

 

Buch zum Thema:
Der Journalist Gianluigi Nuzzi hat bereits mit «Die Vatikan-AG» ein Vatikan-kritisches Buch geschrieben. Im Mai veröffentlichte er in seinem Buch «Sua Santità» Dutzende Dokumente aus dem Innersten des Vatikans. Die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel «Seine Heiligkeit» im Piper Verlag.

Seine Heiligkeit – Gianluigi Nuzzi
Verlag: Piper Verlag GmbH
ISBN: 3492055753
EAN: 9783492055758
Buchbestellung

Untersuchungsbericht auf Vatikan-Website in italienischer Sprache

Datum: 08.10.2012
Quelle: Livenet/focus/Kipa/Standard/epd/Zenit/Radio Vatikan

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