Politologe Bassam Tibi: Für Muslime sind Christen “Gläubige zweiter Klasse”

Bassam Tibi

Nürnberg – Der Dialog zwischen Kirchen und Vertretern des Islam ist in der Vergangenheit nicht ehrlich geführt worden und basiert auf Täuschungen. Diesen Vorwurf hat der Politikwissenschaftler Bassam Tibi (Göttingen), der sich selbst als Anhänger eines Reform-Islam bezeichnet, auf einem Kongress des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CSU am 6. Juli in Nürnberg erhoben. Tibi bedauerte, dass er noch keinen evangelischen oder katholischen Bischof habe überzeugen können, dass orthodoxe Muslime Christen als “Gläubige zweiter Klasse” betrachteten. “Die EKD versteht unter Dialog Begegnung, aber nicht das Sprechen über echte Probleme.”

Sobald bei christlich-muslimischen Begegnungen die Verbrechen der Kreuzzüge zur Sprache kämen, fühlten sich die Christen moralisch unterlegen. Dabei habe der Islam in der Geschichte ebenfalls blutige Aggressionskriege geführt. “Die protestantischen Schuldgefühle sind eine Krankheit. Wenn die Kirchenvertreter diese Gefühle im Dialog mit dem Islam nicht beseitigen, sind sie die Verlierer.” Eine traditionelle muslimische Vorstellung sei es, dass es Weltfriede nur gebe, wenn die Welt islamisiert sei. Die Bedeutung des Wortes “Dschihad” habe sich über die Jahrhunderte stark verändert. Sei es ursprünglich um religiöse Anstrengung gegangen, habe man dazu bald auch den Krieg gerechnet. Als neuestes Element komme nun auch der Terrorismus hinzu.

Beckstein vermisst bei Christen Missionsbereitschaft

Auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), Mitglied im Kompetenzteam des Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, vermisst im christlich-muslimischen Verhältnis eine “wahrhaftige Analyse”. In vielen Teilen der islamischen Welt sei der Übertritt zum Christentum nach wie vor eine Straftat. “Wo ist das Treffen kirchlicher und muslimischer Führer zum Thema Religionsfreiheit?” fragte Beckstein. Nicht einmal in der vergleichsweise liberalen Türkei hätten Christen die Möglichkeit, ihren Glauben frei zu leben. Der Politiker, der auch der Synode der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern angehört, berichtete, wie ihn ein Moslem für den Islam gewinnen wollte. Bei einem Gespräch habe dieser gesagt, die christliche Wertordnung bestehe doch nur aus “Geld, Sex und Drogen”, weshalb es besser sei, Moslem zu werden. Beckstein sagte, er vermisse eine vergleichbare Missionsbereitschaft bei Christen. “Für Frauen aus Afghanistan, die gehalten werden wie Tiere, muss doch die Botschaft von Humanität und Christentum befreiend wirken”, sagte der Minister.

Friedrich hofft auf Euro-Islam

Der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes und Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CSU, Ingo Friedrich (Gunzenhausen), nannte es einen “frommen Wunsch”, dass alle Religionen dieselben Ziele verfolgten. Er hoffe darauf, dass sich in Europa ein Euro-Islam entwickele, der die Werte des Kontinents akzeptiere. Ansonsten seien Konflikte unausweichlich.

Datum: 11.07.2002
Quelle: idea Deutschland

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