Fromme Lehrer

«Überhaupt kein Problem, an der PH fromm zu sein»

Für Schweizer Schulen sind Lehrpersonen mit christlicher Überzeugung kein Problem. Das betont Beat Spirgi, Dozent für Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Bern. Und Sandrine Chanson sieht überhaupt kein Problem, als fromme Studentin an ihrer PH zu studieren. Ein Gespräch am Berner «Tatort».
Wie «fromm» dürfen Lehrer in der Schule sein?
Sandrine Chanson und Beat Spirgi: Keine Angst vor frommen Lehrern.
Soll die Schule neben dem ABC auch Werte wie Nächstenliebe vermitteln?

Wenn man diversen Medienberichten glauben will, findet an Ihrer PH eine Unterwanderung durch evangelikale Studierende statt...

Beat Spirgi: Gäbe es an der PH Bern 15 Prozent fromme Studenten, wie dies eine aktuelle soziologische Studie meint, wären dies etwa 300 Studenten. Es ist schwierig, diese Zahlen zu belegen. Wir machen ja beim Eintritt keinen Gesinnungstest. Doch für mich ist es erfreulich, wenn junge Christen mit einer persönlichen Beziehung zu Gott den Mut haben, an einer PH zu studieren. Aber «Unterwanderung» ist ein tendenziöser, bösartiger Ausdruck, der die frommen Studenten diskreditiert.

Sandrine Chanson: Es gibt tatsächlich viele fromme Studenten an der PH Bern. In meinem Umfeld sind es sogar mehr als 15 Prozent.

15 Prozent fromme Studenten mit einer - wie die Studie festhält - «absoluten Glaubensgewissheit»: Was heisst das für Ihre PH?

Sandrine: Für mich bedeutet dies sehr viele gute Freundschaften, da viele Mitstudenten die gleichen Grundwerte haben. Aber ich verstehe mich auch mit nichtgläubigen Studenten sehr gut. Es herrscht allgemein ein angenehmes Klima.

Beat Spirgi: Ein wichtiger Punkt: Auch von Studenten, von denen ich vermute, dass sie nicht gläubig sind, erfahren wir im Grossen und Ganzen viel Offenheit und Toleranz. Aber es gibt auch einzelne Studenten, die sich extrem aufregen über gewisse Grundüberzeugungen der Frommen. Das zeigte sich zum Beispiel anlässlich eines internen Podiums vor etwa zwei Jahren.

Welche Überzeugungen haben die Kritiker besonders genervt?

Beat Spirgi: Es sind gewisse Haltungen und Aussagen zu den drei «Paradethemen»: Homosexualität, Sex vor der Ehe, Evolutionstheorie. Sie werden von den Gegnern immer wieder als Beweis dafür gebraucht, wie hinterwäldlerisch die Frommen sind. Oft wird auch gesagt, die Frommen würden nicht differenziert denken oder sich der wissenschaftlichen Reflexion verweigern. Leider trifft das manchmal zu. Die Kritiker scheinen aber vor allem zu befürchten, dass die frommen Studierenden in ihrer zukünftigen Tätigkeit ihre Schüler indoktrinieren oder sich weigern, ihren Unterricht an wissenschaftlichen Standards zu orientieren.

Sandrine: Man spürt bei den Gegnern immer wieder die Angst, gläubige Lehrkräfte wollten dann im Schulzimmer evangelisieren und die Kinder bekehren.

Von Kritikern heisst es auch, fromme Studenten würden den Glauben mit christlichen Logos öffentlich zur Schau stellen.

Sandrine: Es gibt vereinzelt Leute, die an der PH ein Kreuzchen tragen oder mit einem wwjd-Bändchen herumlaufen - was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie dies auch beim Unterrichten tun. Es gibt ja eine Vorschrift, dass man als Lehrperson keine religiösen Symbole tragen darf.

Beat Spirgi: Es handelt sich eigentlich um eine Empfehlung des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Noch vor zwei, drei Jahren gab es zahlreiche Studenten, die T-Shirts mit Aufschriften wie «Erlöst», «Er lebt» oder «Blessed» trugen. Heute kommt das weniger vor. Doch ich möchte auch eine Lanze brechen für diese frommen Studenten. Oft fallen sie an Veranstaltungen mit guten Fragen auf. Sie bringen vielfach einen wichtigen Erfahrungsschatz aus einer Jungschar oder ihrer Arbeit in der Nachhilfe mit. Man spürt ihre Freude sich für junge Menschen zu engagieren. Persönlich betrachte ich das als grossen Vorteil.

Sandrine: Oft fallen die frommen Leute auch gar nicht speziell auf. Angehende Lehrpersonen sind generell engagierte Leute.

Wie stark sind Bibelgruppen an der PH Bern vertreten?

Sandrine: Es gibt wohl noch Bibelgruppen, aber sie haben kaum noch Teilnehmer. Das hängt damit zusammen, dass die meisten Frommen ihren Hauskreis und ihre Gemeinde haben und sich da zu Hause fühlen. Es gibt auch einige PH-Studenten, die an der Uni eine Bibelgruppe besuchen.

Beat Spirgi: Es haben nicht alle Frommen die gleiche Affinität zu den Vereinigten Bibelgruppen. Gläubige Studenten treffen sich heute vielfach in andern Gruppierungen.

Wie schwierig ist es heute, an Ihrer PH fromm zu sein?

Sandrine: Das ist überhaupt kein Problem! Ich habe erst über die Medien gemerkt: Aha, wir haben an unserer PH ein Problem mit frommen Studenten!

Beat Spirgi: Das Problem wurde durch die Medien herbeigeschrieben. Sie haben die These von einzelnen Kritikern, Fromme würden die PH unterwandern, aufgegriffen und aufgeblasen. Soziologen haben das Thema bereitwillig aufgenommen und sprechen nun davon, an der PH Bern gebe es «Irritationen». Diese sollten aber nicht zum Problem hochstilisiert werden. Lehrerinnen und Lehrer mit christlicher Überzeugung sind kein Problem für Schweizer Schulen!

Dann gibt es auch keine Probleme mit frommen Studenten?

Beat Spirgi: Es gibt halt verschiedene fromme Studenten. Die vorhin erwähnte Studie des Nationalen Forschungsprogramms 58 hat ja zwei Typen ausgemacht. Problematisch - auch für mich persönlich - ist jener Typ mit Ressentiments gegen wissenschaftliche Denkweisen, der sich der Reflexion verweigert oder Schule als Missionsfeld definiert. Aber das sind wenige. Sie treten ganz pointiert auf und werden darum gesehen. An sie appelliere ich einfach: Seid nicht so radikal und entwickelt Bereitschaft, eure Überzeugungen selbstkritisch und auf dem Hintergrund professioneller Standards zu reflektieren.

Und ein frommer Dozent wie Sie stellt offenbar kein Problem dar?

Beat Spirgi: Ich empfinde das Gegenteil. Ich bin für einzelne Studierende ab und zu Ansprechperson, wenn sie gerne einmal über Fragen zum Christsein reden. Tatsache ist auch, dass ich einen harten Job mit einigem Druck habe. Es ist ein grosser Vorteil, wenn man dann aus dem Glauben Kraft schöpfen kann.

So ist Ihnen der Glaube in Ihrem Dozenten- und Studentenalltag eine Hilfe?

Sandrine: Ich wage zu behaupten, dass ich das Studium auch ohne Glaube problemlos bewältigen könnte. Doch der Glaube macht mein Leben reicher. Er gibt mir Sinn fürs Leben und auch fürs Studium. Wenn irgendwo Probleme auftauchen, weiss ich, dass Gott noch grösser ist. Der Glaube hilft mir auch, meine Mitmenschen mit andern Augen zu sehen.

Beat Spirgi: Der Dozentenalltag ist manchmal sehr anstrengend und auch mit vielen Unsicherheiten behaftet. Ich bin froh, dass ich mein Päckli, meine Unvollkommenheit und mein Versagen, immer wieder bei Gott abgeben kann. Bevor ich in meinen Lehrraum komme bete ich oft für das bevorstehende Seminar und die Besucher. Ich möchte authentisch und sensibel sein für das, was geschieht. Der Glaube und das Gebet sind mir eine grosse Kraftquelle. Doch das Christsein ist heute eine grosse Herausforderung - in einem akademischen Umfeld sowieso. Ich muss auch argumentieren können.

Gibt es in unserm Land Anzeichen einer Christenverfolgung, wie von etlichen Christen befürchtet?

Beat Spirgi: Vor zehn Jahren gab es eine Broschüre «Schule auf christlicher Grundlage?». Da war der christliche Glaube in der öffentlichen Diskussion durchaus noch ein Thema. Noch vor vier Jahren sagte der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer in einem Positionspapier, Bildung könne nicht sachlich-neutral sein. Die Vermittlung von christlichen Werten gehöre zum Bildungsauftrag. Heute jedoch hört man Forderungen, der christliche Glaube sei aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Religion wird strikt in den privaten Rahmen versetzt. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten wir Christen bald einmal Probleme bekommen.

Sandrine: Ehrlich gesagt, ich lese gar keine Artikel mehr, in denen Christen kritisiert werden. Wenn es einmal keine gläubigen Lehrer mehr geben darf, dann hat die Gesellschaft ein Problem, weil es dann noch weniger Lehrer gibt.

Führen die kritischen Berichte zu einer gewissen Verunsicherung unter gläubigen Studenten?

Beat Spirgi: Fromme Studenten überlegen sich hoffentlich noch mehr, wie sie ihre Überzeugungen so artikulieren, dass sie nicht in die Fundi-Ecke gedrängt werden. Christen müssen sich immer wieder Gedanken machen über ihre Reflexionsbereitschaft.

Sandrine: Ich denke, dass sich viele fromme Studenten überlegen, wie sie mit ihrem Glauben auftreten und sich in radikalen Fragen ausdrücken sollen. Wer zu radikal wirkt, eckt an. Es bringt niemandem etwas, wenn ich meine Überzeugungen einfach auf den Tisch haue. Die Toleranz, die wir von Nichtchristen erwarten, müssen wir auch selber leben.

Beat Spirgi: Der Sprachcode ist wichtig: Wann, in welcher Art und in welcher Menge sage ich etwas? Dies nicht aus Verunsicherung oder Taktik, sondern aus Weisheit, damit wir als Dialogpartner ernst genommen werden.

«Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben»: Wie gehen Sie mit den radikalen Positionen von Jesus um?

Sandrine: In den Diskussionen mit andern Studenten geht es mehr um Fragen aus dem Alltag, um Lebensweisheiten auch. Doch wenn ich auf die Positionen von Jesus angesprochen werde, dann schwäche ich sie nicht ab.

Beat Spirgi: Es gehört zum Sprachcode der Frommen, wie sie bekennen, dass sie sich einem religiösen Konzept verpflichtet wissen, das Absolutheitsansprüche stellt. In einem persönlichen Gespräch kann mein Bekenntnis durchaus in diese Richtung gehen. Doch als Dozent habe ich eine andere Aufgabe. Dennoch ist es mir auch darin wichtig, Wissen und Glauben nicht als zwei völlig unterschiedliche Bereiche zu verstehen.

Was bedeutet der Missionsbefehl von Jesus für Sie als Lehrperson?

Beat Spirgi: Gott meint jeden Menschen, das glaube ich. Doch er lässt dem Menschen auch die Freiheit, selber zu entscheiden. Ich bin nicht Missionar, das ist nicht mein Selbstverständnis. Doch ich lebe meine Überzeugungen, und ich rede auch davon, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.

Sandrine: Seit ich ein kleines Kind war, trage ich den Glauben an Gott in mir. Ich vertraue darauf, dass dies im Alltag und an meinem Leben sichtbar wird. Und wenn sich ein Gespräch über den Glauben ergibt, schweige ich natürlich nicht.

Was werden Sie als fromme Lehrkraft im Schulzimmer unterlassen?

Sandrine: Ich werde nicht evangelisieren. Aber ich werde meinen Glauben als Lehrerin so zu leben versuchen, wie es Gott gefällt.

Werden Sie mit den Schülern auch beten?

Sandrine: Nein, das darf ich nicht.

Beat Spirgi: Man darf die Schüler religiös nicht beeinflussen, darf sie nicht in Gewissenskonflikte stürzen, darf sich nicht abfällig über andere Orientierungen äussern. Doch man darf christliche Werte vorleben und mit mündigen Schülern auch über die eigene Spiritualität reden.

Und wenn Schüler Fragen zu Jesus oder zum Heiligen Geist stellen?

Beat Spirgi: Ich würde dies als Möglichkeit sehen, um etwas von meinen Überzeugungen zu sagen - unter Berücksichtigung der eben genannten Voraussetzungen.

Sandrine: Ich würde mit dem gesunden Menschenverstand reagieren. Je nach Situation und Motivation der Schüler würde ich auf die Frage eingehen.

Wie viel religiöse Bildung brauchen unsere Schulkinder?

Sandrine: Wir leben in einem christlichen Land. Das Kind soll wissen, worum es beim Christentum geht. Doch es soll auch wissen, worum es in anderen Religionen geht.

Beat Spirgi: Religionen sind zivilisierend. Es wäre ein Riesenverlust, wenn die Schüler nichts davon hören würden. Und da unser Land seit vielen Hundert Jahren von der christlichen Kultur geprägt wird, dürfen wir den Vorrang der christlichen Religion auch nicht vorschnell über Bord kippen.

Wie beurteilen Sie das Engagement des Evangelischen Kirchenrates, der Bischofskonferenz und freikirchlicher Gremien in der Diskussion um fromme Lehrer?

Beat Spirgi: Die Frage ist sehr berechtigt! Ich würde es begrüssen, wenn sich kirchliche Gremien mehr in diese Diskussion einbringen würden. Mit ihrer vornehmen Zurückhaltung erweisen sie der Sache keinen Dienst. Sie könnten auch einmal auf die vielen Ressourcen hinweisen, die fromme Lehrer in die Schule einbringen. Wäre die Schule wirklich besser dran, wenn es keine Frommen mehr gäbe?

Werden Sie bei Ihrer Stellensuche darauf achten, ob Sie einen gläubigen Präsidenten oder gläubige Kollegen haben?

Sandrine: Nein. Meiden würde ich aber einen Ort, von dem ich höre, dass gläubige Lehrer fertiggemacht werden. Ausser Gott gäbe mir einen speziellen Auftrag?

Welche Botschaft möchten Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen an der PH ans Herz legen?

Beat Spirgi: Stellt bitte in Rechnung, dass viele jungen Menschen gerne zu einem Schwarz/Weiss-Denken neigen. Das gehört zu dieser Lebensphase. Geht wohlwollender damit um, wenns junge Christen betrifft. Seht auch die Ressourcen, die diese Leute mitbringen. Zügelt eure eigenen Aggressionen gegen den christlichen Glauben. Oft sind es ja eigene schwierige Erfahrungen, die zu einer solchen Anti-Haltung gegenüber dem christlichen Glauben geführt haben.

Sandrine: Den allermeisten frommen PH-Studenten geht es in erster Linie darum gute Lehrkräfte zu werden. Lasst euch also kein Problem einreden, wo kein Problem vorhanden ist!

Sind fromme Lehrer eigentlich bessere Lehrer?

Beat Spirgi: Müssen sie das? Warum auch? Ich gehe davon aus, dass jeder Lehrer das Beste für seine Schüler will. Ein Christ muss fachlich und menschlich nicht der bessere Lehrer sein. Doch sein Glaube kann ihm eine Ressource sein, aus der er Kraft und Zuversicht gewinnt. Und das kann auch ein Vorteil für die Schüler sein.

Sandrine: Ob jemand ein guter Lehrer ist, hängt nicht davon ab, ob er gläubig ist. Es gibt zahlreiche Beispiele, die das beweisen.

Datum: 19.08.2011
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: idea Schweiz

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