Christliche Minderheit in Pakistan kämpft gegen Diskriminierung

Zürich/Lahore. Im muslimischen Pakistan leben die einheimischen Christen als Bürger zweiter Klasse: ungleich vor dem Gesetz, sozial ausgegrenzt und Zielscheibe des antiamerikanischen Hasses islamischer Extremisten. „Pakistan ist das grellste Beispiel für religiöse Intoleranz“, sagt der Shabbaz Bhatti (32), Präsident der „Christian Liberation Front Pakistan“ (CLF). Die Dachorganisation religiöser Minderheiten in Pakistan kämpft seit 1985 für die Rechte der christlichen Minderheit in Pakistan. Stephan Moser: Shabbaz Bhatti, als 15-Jähriger haben Sie 1985 die „Christian Liberation Front Pakistan” CLF gegründet. Was gab den Anstoss dazu?
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Shabbaz Bhatti: Ich habe am eigenen Leibe erlebt, wie sehr die Christen in Pakistan wegen ihres Glaubens unter religiöser Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung leiden. Meine muslimischen Mitschüler verprügelten mich zum Beispiel wegen meines Glaubens. Um etwas gegen diese Unterdrückung zu unternehmen, gründete ich die Christian Liberation Front, die inzwischen zur grössten Dachorganisation religiöser Minderheiten in Pakistan geworden ist.

Wir kämpfen für religiöse Freiheit und politische Rechte für die religiösen Minderheiten in Pakistan. Dabei arbeiten wir, anders als dies unser militanter Name „Liberation Front“ vielleicht vermuten liesse, ausschliesslich mit friedlichen und demokratischen Mitteln. Statt auf Militanz und Gewalt setzen wir auf Versöhnung und Toleranz im multikulturellen Pakistan.

Moser: Sie bezeichnen Pakistan als ”grellstes Beispiel für religiöse Intoleranz”. Wie muss man sich die Diskriminierung religiöser Minderheiten in Pakistan vorstellen?

Bhatti: Das beginnt bei der pakistanischen Verfassung von 1973. Obwohl zum Beispiel die Christen seit langer Zeit in Pakistan leben und Entscheidendes zum Aufbau und Wohlstand des Staates geleistet haben, können sie nie Präsident oder Premierminister werden. Diese Ämter sind laut Verfassung nur Muslimen zugänglich.

Auch rechtlich sind die Christen Bürger zweiter Klasse. Wegen des so genannten ”Zeugengesetzes” zählt die Aussage eines Christen vor einem pakistanischen Gericht nur halb so viel wie die eines Muslims. Und vor den speziellen Scharia-Gerichten, wo Fälle wie Vergewaltigungen und Entführungen von Christinnen durch Muslime verhandelt werden, sind christliche Anwälte nicht zugelassen.

Moser: Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International machen regelmässig auf den Missbrauch des ”Blasphemie-Gesetzes” aufmerksam. Was hat es damit auf sich?

Bhatti: Auf die Beleidigung, Herabsetzung und Schändung des Propheten Mohammed steht laut Paragraph 295/C des pakistanischen Strafgesetzbuches die Todesstrafe, auf Blasphemie gegenüber dem Koran lebenslange Haft. Seit der Einführung dieses Gesetzes wurden viele Nicht-Muslime, vor allem Christen, fälschlicherweise der Blasphemie bezichtigt - in den letzten drei Jahren etwa 150 Christen. Militante Muslime nutzen das Blasphemie-Gesetz als Waffe, um die Christen Pakistans zu verfolgen. Mit diesem Gesetz können sie zum Beispiel unliebsame Nachbarn oder Konkurrenten diffamieren und loswerden.

Moser: Das Blasphemie-Gesetz richtet sich aber nicht per se gegen Christen. Auch Muslime können wegen Blasphemie angeklagt werden.

Bhatti: Das stimmt. Aber es sind vor allem Christen, die der Blasphemie bezichtigt werden. Wegen Blasphemie angeklagte Muslime werden ausserdem im Gefängnis besser behandelt als Christen, sie müssen keine Folter und keine Misshandlungen fürchten und auch ihre Familien werden nicht terrorisiert.

Moser: Blasphemie-Urteile wurden bisher von Gerichten in zweiter Instanz stets aufgehoben. Noch kein Christ wurde wegen des Blasphemie-Gesetzes hingerichtet.

Bhatti: Bis jetzt. Vor kurzem hat aber zum ersten Mal ein höheres Gericht das in erster Instanz gefällte Todesurteil bestätigt. Ausserdem wurden mehrere Blasphemie-Angeklagte vor dem Schuldspruch von islamischen Fanatikern in Lynchjustiz ermordet. Andere Angeklagte warten unter unmenschlichen Bedingungen oft Jahre lang im Gefängnis auf ihren Prozess, weil die muslimischen Richter und Anwälte sich aus Angst vor militanten Muslimgruppen davor scheuen, diese Fälle zu übernehmen.

Vor drei Jahren wurde zum Beispiel in Lahore ein muslimischer Richter von Extremisten erschossen, weil er einen wegen Blasphemie angeklagten Christen freigesprochen hatte. - Aus Protest gegen diese Diskriminierung der Christen hat der katholische Bischof von Faisalabad, John Joseph, 1998 öffentlich Selbstmord begangen.

Moser: Werden pakistanische Christen neben dieser rechtlichen auch mit anderen Formen der Diskriminierung konfrontiert?

Bhatti: Pakistan ist ein religiöser Apartheid-Staat. In manchen Restaurants oder Coiffeursalons hängen zum Beispiel Plakate mit der Aufschrift ”Christen werden nicht bedient”. Auch ökonomisch leiden Christen wegen ihres Glaubens. Sie können keine Kaderpositionen in öffentlichen Institutionen übernehmen und erhalten auch anderswo wegen ihres Glaubens keine qualifizierten Stellen. Die religiöse Apartheid zwingt die Christen damit wirtschaftlich in eine Position der Abhängigkeit und Schwäche.

Christliche Frauen werden in der chauvinistischen Gesellschaft Pakistans gleich doppelt diskriminiert: wegen ihres Glaubens und wegen ihres Geschlechtes. So müssen christliche Dienstbotinnen, die von ihren muslimischen Arbeitgebern sexuell missbraucht werden und ihren Peiniger anzeigen, damit rechnen, ihrerseits des Diebstahls oder der Blasphemie bezichtigt zu werden.

Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen islamische Extremisten christliche Mädchen und verheiratete Frauen vergewaltigen und entführen und gewaltsam zur Konversion zum Islam zwingen. Gegen diese Praxis können sich die Familien der Opfer wegen der ungleichen Behandlung vor Gericht nicht zur Wehr setzen.

Moser: Wie sieht die Situation in den Schulen aus? 1973 wurden ja die Privatschulen der Kirchen verstaatlicht und erst dieses Jahr wieder an die Kirchen zurückgegeben.

Bhatti: Christen müssen zum Beispiel an den Schulen obligatorisch den Islam-Unterricht besuchen und sind auch der Willkür der Schulbehörden ausgesetzt. Bei einem Abschlussexamen in Haushaltskunde weigerte sich zum Beispiel der muslimische Examinator, das Essen zu prüfen, welches christliche Schüler zubereitet hatten – sie konnten deshalb ihren Schulabschluss nicht machen.

Moser: Woher kommt dieser Hass gegen Christen in Pakistan?

Bhatti: Das ist eine Entwicklung der letzten dreissig Jahre. Pakistan wurde 1947 zwar im Namen des Islams gegründet, sollte jedoch nach dem Willen der Gründer nicht zu einer Theokratie, einem Gottesstaat, werden. Seit den siebziger Jahren gewannen jedoch islamistische Parteien und militante Muslimbewegungen zunehmend an Stärke und Einfluss. Heute ist Pakistan ein islamischer Hardliner-Staat. Die Mehrheit der Pakistani denkt extremistisch und auch die Mehrheit des Parlaments ist von diesem Extremismus beeinflusst.

Moser: Und damit hat die Intoleranz gegenüber nicht-muslimischen Pakistani zugenommen?

Bhatti: Vor allem die Christen bekommen diese Intoleranz zu spüren, weil sie mit rund acht Millionen die grösste und damit auch sichtbarste religiöse Minderheit in der dominierenden muslimischen Kultur Pakistans sind. Die pakistanischen Christen sind ausserdem zum Hauptziel des anti-amerikanischen Hasses der islamischen Extremisten geworden, weil das Christentum pauschal mit den USA und dem Westen gleichgesetzt wird.

Islamische Extremisten haben ganz klar erklärt, dass sie als Vergeltung für die amerikanischen Angriffe auf Afghanistan vermehrt die Christen in Pakistan ins Visier nehmen würden. Die Attentate auf christliche Kirchen in Pakistan haben gezeigt, dass das keine leere Drohung war. Wir pakistanischen Christen sind jedoch gute Patrioten, wir lieben Pakistan und haben viel zu seinem Aufbau beigetragen. Umso mehr schmerzt es, dass wir keine Gerechtigkeit bekommen.

Moser: Der pakistanische Präsident General Pervez Musharraf scheint in Fragen der religiösen Minderheiten liberaler zu denken, und er hat zur religiösen Toleranz aufgerufen. Anlass für die pakistanischen Christen zur Hoffnung?

Bhatti: Musharraf ist tatsächlich ein liberaler Mann, aber er stösst mit seinen Versuchen zur Liberalisierung in religiösen Fragen auf den starken Widerstand der islamistischen Hardliner im Land. Um seine eigene Position nicht zu gefährden, muss er ständig Kompromisse eingehen und Rückzieher machen. Im April 2000 erklärte Musharraf, er wolle den Missbrauch des Blasphemie-Gesetzes durch ein neues Prozedere eindämmen, musste aber unter dem Druck islamischer Extremisten wieder zurückkrebsen. Wir pakistanischen Christen blicken deshalb sehr besorgt in die Zukunft.

Moser: Im Oktober 2002 finden freie Wahlen für das nationale Parlament statt. Das bisherige getrennte Wahlsystem, wonach Christen nur Christen und Muslime nur Muslime wählen konnten, kommt dabei nicht mehr zur Anwendung. Die religiöse Segregation wird damit in einem wichtigen Bereich aufgehoben.

Bhatti: Trotzdem sind wir nicht ganz glücklich darüber. Das bisherige System garantierte den religiösen Minderheiten zehn Sitze im Parlament, diese Regelung kommt im Oktober nicht mehr zur Anwendung. Wir befürchten, dass die Minderheiten in den Wahlen diese zehn Sitze nicht halten können. Deshalb versuchen wir jetzt mit einer gemeinsamen Alllianz aller religiösen Minderheiten, die Nicht-Muslime dazu zu bewegen, im Oktober möglichst geschlossen an die Urne zu gehen. Gleichzeitig möchten wir aber, dass den religiösen Minderheiten eine Mindestzahl an Parlamentssitzen zugesichert wird.

Moser: Erwarten Sie internationale Hilfe?

Bhatti: Wir erwarten von der UNO, dass sie gegen die Menschenrechtsverletzungen in Pakistan protestiert; vom Papst erhoffen wir, dass er für Frieden und Gerechtigkeit in Pakistan betet – und auch die Christen und christlichen Organisationen aller Welt bitten wir um Unterstützung für unsere Sache.

Interview: Stephan Moser

Shabbaz Bhatti – Gründer und Präsident der Christian Liberation Front Pakistan

Der Pakistani Shabbaz Bhatti (32) ist Gründer und Präsident der ”Christian Liberation Front Pakistan” mit Sitz im pakistanischen Lahore. Bhatti besitzt einen Master-Abschluss in Politologie. Auf Einladung der Menschenrechtsorgansation ”Christian Solidarity International” mit Sitz in Zürich weilte Shabbaz Bhatti Anfang Juni in Zürich.

Christen in Pakistan – eine Minderheit im muslimischen Land

Von den über 140 Millionen Einwohnern Pakistans sind rund 90 Prozent Muslime. Gemäss offiziellen pakistanischen Angaben leben lediglich zwei bis drei Millionen Christen in Pakistan, diese Zahlen seien jedoch manipuliert, betont Shabbaz Bhatti von der ”Christian Liberation Front Pakistan” (CLF). Nach Zählungen von christlichen Kirchen und Organisationen betrage die Zahl der pakistanischen Christen rund acht Millionen, so Bhatti.

Damit sind die Christen die grösste religiöse Minderheit im mehrheitlich muslimischen Pakistan, neben Hindus, Sikhs und Angehörigen der im späten 19. Jahrhundert gegründeten mohammmedanische Sekte der Ahmadiyya (Ahmadia), die 1974 zur nichtmuslimischen Gemeinschaft erklärt wurden. Den Ahmadia ist die Ausübung ihres Glaubens verboten. Auch den Christen werde an manchen Orten in Pakistan die Ausübung ihres Glaubens oder der Bau von Kirchen erschwert, so Shabbaz Bhatti.

Kampf gegen diskriminierende Rechte

Die 1985 gegründete ”Christian Liberation Front Pakistan” (CLF) ist der grösste Dachverband von Organisationen religiöser Minderheiten in Pakistan. CLF kämpft gegen die religiöse Diskriminierung, soziale Ausgrenzung und Unterdrückung von Angehörigen religiöser Minderheiten im muslimisch dominierten Pakistan. Hauptziel von CLF ist die Beseitigung der diskriminierenden Gesetze wie dem Blasphemie- oder dem ”Zeugengesetz” (die Aussage eines Christen zählt vor Gericht nur halb so viel wie die eines Muslims). Ein eigenes Forschungs- und Medienzentrum dokumentiert Fälle religiöser Intoleranz und liefert die Grundlagen für Medien- und Lobby-Arbeit.

Den wegen Blasphemie Angeklagten bietet die Liberation Front kostenlose Rechtsunterstützung, CLF hilft den Familien von Angeklagten und versucht, das Bewusstsein der Christen für ihre Menschenrechte und deren Verteidigung zu schärfen. Christliche Kinder, die aus ökonomischen Gründen die Schule aufgeben und arbeiten mussten, können dank CLF ihre Ausbildung beenden. Durch die Zusammenarbeit mit muslimischen Führern versucht CLF, eine Atmosphäre der Toleranz zu schaffen.

'Wir sind Patrioten': Shabhaz Bhatti zum Kaschmir-Konflikt

Der Kaschmir-Konflikt ist gegenwärtig die wohl gefährlichste Auseinandersetzung der Welt. Beide Parteien, Indien und Pakistan, verfügen über Atomwaffen, und niemand weiss, bei welchen Ereignissen das gewaltige Zerstörungspotenzial entfesselt werden könnte.

Shabaz Bhatti ist ein pakistanischer Christ, der sich seit Jahren für seine Glaubensgemeinschaft einsetzt. Er ist einer der wenigen bekannten Sprecher dieser bedrängten Minderheit. Bhatti kämpft für ein offenes, tolerantes Pakistan, das auch Christen vor Fanatikern schützt.

Im Kaschmir-Konflikt ist er aber auch ein Patriot, wie ERF-Redaktor Peter Schmid im Gespräch festgestellt hat.

Zum Audio-Beitrag von Radio ERF

Autor: Kipa/ERF

Datum: 17.06.2002

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