Indische Witwe verbrannte sich auf Scheiterhaufen

Ein altes indisches Sprichwort sagt: "Ein Mädchen grosszuziehen ist etwa so, als würde man die Pflanzen im Garten des Nachbarn giessen."

Neu Delhi. Eine 65 Jahre alte Witwe in Indien hat sich auf dem Scheiterhaufen ihres verstorben Mannes verbrannt. Es war zunächst unklar, ob Kuttu Bai Selbstmord beging oder von Nachbarn oder Angehörigen gezwungen wurde, sich auf den Holzstoss zu setzen, in dem auch die Leiche ihres Mannes verbrannt wurde.

Das berichtete die Zeitung "Hindustan Times". Die Polizei hatte am Dienstag im Dorf Tamoli Patna im Bundesstaat Madhya Pradesh noch versucht, die Frau zu retten, war aber von 1.000 Menschen mit Steinwürfen vertrieben worden.

"Sati", die Selbstverbrennung von Witwen, ist in Indien seit fast 200 Jahren verboten. Dennoch werden auch heute noch einzelne Fälle gemeldet. Einerseits fürchten Witwen oft, nach dem Tod ihres Mannes von der Familie vernachlässigt zu werden. Andererseits werden Frauen, die Sati begehen, von vielen Hindus als heilig verehrt, und die Dörfer, in denen sie sterben, entwickeln sich oft zu Wallfahrtsorten.

Die Frau hat in der traditionellen indischen Ehe, zumindest anfangs, ein schweres Los. Sie wechselt in die Familie des Ehemannes, wohnt in der Regel mit in dessen Familie, in deren Haus, untersteht der Schwiegermutter und entbehrt daher, sofern sie nicht trotz der nach wie vor überwiegend von den Eltern arrangierten Heiraten einen Mann bekommt, der auf ihrer Seite steht, fast gänzlich persönlicher Akzeptanz.

Einen Status in der Familie kann sie fast nur durch die Geburt von Söhnen erlangen. In der indischen Mittel- und Oberschicht hat sich aber die traditionelle Unterordnung der Frau doch deutlich abgeschwächt. Der Grund hierfür ist die in diesen Kreisen auch bei Frauen bessere Ausbildung und der damit oftmals ebenfalls verbundene finanzielle Beitrag zum Familieneinkommen durch Berufstätigkeit. Aber auch in diesen Kreisen wird die Frau verheiratet, einen unerwünschten Ehepartner auszuschlagen ist auch heute noch so gut wie unmöglich.

Besonders prekär war und ist noch immer die Lage der Witwen. Noch immer nicht ausgerottet ist auch die berühmt berüchtigte Witwenverbrennung, nach dem altindischen Mythos Sati genannt. Sie wurde schon 1827 unter Strafe gestellt.

Das Ramayana- Epos sorgt dafür, dass zumindest der Gedanke lebendig bleibt und der Selbstmord der Ehefrau mit einem Heiligenschein versehen wird. Dieses zweitgrösste Epos wurde vor einiger Zeit verfilmt und in vielen Folgen im indische Fernsehen gezeigt. Ich habe mir sagen lassen, dass zu den Sendezeiten die sonst bis in die Nacht hinein mit Menschenmassen gefüllten Strassen der indischen Städte wesentlich leerer waren. Wer immer die Möglichkeit hatte fernzusehen tat dies. Bis heute gilt Sita, die Hauptfigur in diesem Epos und Gattin des Gottes Rama, einer Inkarnation Vishnus, einem der drei Hauptgötter im hinduistischen Götterhimmel, als Idealbild der Gattin und hält das traditionell patriarchalische Bild, das den Frauen Indiens noch immer so viel Leid bringt, aufrecht und das nicht nur in der Männerwelt.

In der brahmanischen Patriarchie (Brahmane = Prister = oberste Kaste) hatte eine Frau nach dem Tode ihres Mannes keine unabhängige soziale Existenz. Nach der überlieferten Sitte hatte die ideale Gefährtin ihrem Mann in den Tod zu folgen. Dieser heilige Akt galt (oder gilt vielleicht mancherorts noch heute) für viele als höchster Treuebeweis dem Gatten gegenüber. Gefördert wurde die Sati- Praktik durch den geringen sozialen Status einer Witwe in der Gesellschaft, vor allem auch dann, wenn sie keine Söhne geboren hatte. Mit diesem "Freitod" konnte sie gleichzeitig seine und ihre Sünden sühnen.

Frauen aus höheren Kasten, die diesen Weg nicht gingen, wurden früher gesellschaftlich geächtet. Ihr eventuell nicht tugendhafter Wandel konnte auch dem Karma (Seelenheil) des bereits verstorbenen Gatten Schaden zufügen. Von früher häufiger vorkommenden Witwenverbrennungen hört man nur noch äusserst selten. Es gab aber auch Bestrebungen von militanten Hindu- Fundamentalisten in Rajasthan, den Brauch der Witwenverbrennung wiederzubeleben.

Die Regierung hat aber, um ein Wiederaufkommen der Sati-Praktiken, vor allem auch, wie schon erwähnt, im Zusammenhang mit der Mitgift zu verhindern, die Gesetze drastisch verschärft. Wer ein Familienmitglied zum Feuertod überredet, treibt und überführt, muss mit der Todesstrafe rechnen. Unter Strafe steht seit 1987 selbst die Verherrlichung der Sati- Tradition, die Teilnahme an Sati- Zeremonien und die Errichtung von Gedenktempeln, so die offizielle Seite.

Oftmals aber dürfte, wie vorhin schon bei den Verbrennungsunfällen in der Küche erwähnt, die Beweisführung bei solchen Anschuldigungen sehr schwierig sein und für alte Traditionen sind schliesslich auch die Ordnungshüter empfänglich. Auch wenn die Witwen heute diesem grausamen Schicksal entgehen, bleibt ihnen, vor allem in ländlichen Gegenden häufig nur ein bemitleidenswertes Leben am Rande der Gesellschaft.
Quelle Hindustan Times

Datum: 13.08.2002

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