Brasiliens Indio-Bevölkerung immer zahlreicher

Sao Paulo. Eloi Pereira, Anfang 20, steht im schicken Anzug, mit weissem Hemd und Schlips vor einem luxuriösen Firmencenter Sao Paulos, sorgt für Sicherheit und Ordnung, dirigiert Geschäftsleute in ihrem BMW oder Mercedes an die richtige Stelle. Dass Pereira ein Indianer vom Stamm der Pankararu ist, fiele ihnen nicht im Traume ein.

Doch es stimmt - und wird zur grössten Überraschung der Fachwelt von der neuesten Volkszählung bestätigt: In Lateinamerikas Wirtschafts-Lokomotive Sao Paulo leben inzwischen über 60000 Indios, Tendenz steigend. In ganz Brasilien sind es mehr als 700000 - gegenüber 294000 noch im Jahr 1991.

Dieser Zuwachs hat nur zum Teil mit einer überdurchschnittlichen Geburtenrate zu tun. Die Pankaruru sind das beste Beispiel: 1950 kamen die ersten aus ihrem Stammesgebiet des Nordost-Teilstaates Pernambuco nach Sao Paulo - vertrieben von invasionsartig eindringenden Grossgrundbesitzern, die der Staat wie üblich gewähren liess. Schliesslich flüchteten Tausende Indios in die drittgrösste Stadt der Welt, verteilten sich auf verschiedene Slums.

Wachsendes Selbstvertrauen

Die Behausung von Eloi Pereira steht im Armenviertel Real Parque, mit Blick auf die Citybank. Anfangs sagte auch er nicht, dass er Indio ist - aus Angst vor Diskriminierung und sofortiger Kündigung. Doch allmählich wurden immer mehr Pankaruru als Wächter, Gebäudereiniger oder Bauarbeiter akzeptiert. Mit wachsendem Selbstvertrauen outeten sich die Stammesmitglieder schliesslich 1994: Sie gründeten die "SOS Comunidade Pankaruru", um ihre Sprache und Kultur zu erhalten.

So erstaunlich es klingt: Nur im Urwald-Teilstaat Amazonien leben heute mit rund 120000 Indianern mehr Ureinwohner als in der Industrieregion Sao Paulo. Etwa die Hälfte der Ureinwohner spricht Portugiesisch, rund 93000 Kinder gehen in 1400 spezielle Schulen. Aber ist ein Indianer noch ein Indianer, wenn er sich so stark dem Lebensstil des weissen Brasilien angepasst hat wie wie Eloi Pereira? Egon Heck, Generalsekretär des Indianermissionsrates Cimi, bejaht das deutlich. Entscheidend sei, ob sich jemand als Indio definiere. "Und immer mehr tun das mit Stolz und bekennen sich zu ihrer Identität!"

Positives Volkszählungs-Ergebnis

Heck, dessen Vorfahren einst aus dem deutschen Hunsrück nach Brasilien einwanderten, bewertet das Volkszählungs-Ergebnis deshalb ausserordentlich positiv. Er hätte sogar mit mehr als 800000 Indios gerechnet. "Das wird jetzt viel Polemik und Diskussionen auslösen - denn Staat und Regierung befürchten, dass diese Indianer politische und soziale Forderungen stellen." Die staatliche Indianerbehörde FUNAI zählt nur jene als Ureinwohner, die in markierten Reservaten leben. Sie kommt deshalb nur auf etwa 360000 Indios.

Seit seiner Gründung vor 30 Jahren fördert Cimi auch die Bildung von Indianer-Organisationen. Einer ihrer Führer, Genival de Oliveira vom Stamm der Maiuruna, sieht diese Organisationen als Auslöser des nun bestätigten Zuwachses: "Früher betrachteten sich die Indianer als Ausgeschlossene, von der Gesellschaft als minderwertig Eingestufte. Das ist jetzt vorbei. Heute betonen sie ihre Herkunft, sehen sich wie jeder andere als Bürger Brasiliens - und bestehen auf ihren Rechten."

Cimi-Präsident Bischof Gianfranco Masserdotti nennt 62 Stämme, die sich wieder zusammenfanden und ihr Selbstbewusstsein wiedergewannen. "Leider hält die Regierung die Verfassung nicht ein. Von 550 Stammesgebieten sind erst 236 endgültig demarkiert - weil wirtschaftliche Interessen im Spiel sind." Die nun bekannt gewordene Zahl der Indios freilich hat an einem Faktum nichts geändert: Gerade in den Städten lebt ein Grossteil von ihnen in absolutem Elend. Unter jenen 1000 Grossfamilien, die auf Müllhalden nach Essbarem suchen, sind allzu häufig auch Indianer.

Datum: 17.05.2002
Quelle: Kipa

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