«Keiner darf in der Öffentlichkeit sein Gesicht verstecken»

Nach langer Debatte rückt in Frankreich ein generelles Burka-Verbot näher. Morgen Mittwoch will die Regierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen.
Eine von Lies Hebbadj's Ehefrauen unterwegs im Auto.

«Schauen Sie sich um, die Frauen hier in Saint Denis tragen alle einen kleinen Schleier. Die Burka sieht man nur im Fernsehen, sie soll uns die Krise vergessen machen!» Der 35-jährige Händler nennt sich «Chafik le roi du trafic» (Chafik, der König des Handels) und preist lautstark seine Sonnenbrillen auf dem Markt von Saint Denis an, einem der grössten Märkte der Pariser Region. Die Kundschaft ist kosmopolitisch - Frauen tragen Kopftücher, Schleier und Schals in allen Variationen und Farben. Vollverhüllte sind an diesem Sonntagmorgen nicht zu sehen.

Nur eine Show?

«Vor ein paar Monaten hiess es, rund 500 Frauen tragen die Burka in Frankreich», bemerkt Nadir Dendoune. Der Journalist und Schriftsteller aus Saint Denis verfolgt die Debatte um die Burka misstrauisch: «Heute sollen es 2.000 Frauen sein. Entweder es werden immer mehr, oder es wird mit den Zahlen getrickst.»

Er hält das geplante Burka-Verbot für eine Show: «Man versucht, den Franzosen Angst zu machen mit Feinden, die angeblich im Innern sind. Früher galten wir als schurkenhafte und diebische Araber, seit dem 11. September gelten wir als Terroristen und Machos. Wir sind an allen Übeln der Gesellschaft schuld.» Dendoune ist wie fast alle der rund fünf Millionen Muslime in Frankreich gegen die Vollverschleierung, sieht allerdings ein Verbot als Indiz für ein einwandererfeindliches Klima.

Konsensfähiger Gesetzesentwurf

«Keiner darf in der Öffentlichkeit sein Gesicht verstecken»: So lautet der Pariser Tageszeitung «Le Figaro» zufolge der Artikel 1 des Gesetzentwurfes, den die französische Regierung am Mittwoch vorlegen will. Nach der Niederlage bei den Regionalwahlen hatte sich Präsident Nicholas Sarkozy auf die Seite der Hardliner geschlagen, die für ein generelles Burka-Verbot auf französischem Boden sind.

Justizministerin Michèle Alliot-Marie spricht von einem konsensfähigen Entwurf. «Die Franzosen würden es nicht verstehen, wären wir nicht in der Lage, gemeinsam Entschiedenheit, Festigkeit und Wachsamkeit zu zeigen», sagte sie im Parlament, als die Abgeordneten eine symbolische Resolution verabschiedeten, die eine Vollverschleierung für nicht vereinbar mit den Werten der Republik erklärt. Sozialisten und Konservative stimmten für die Resolution, nur die Kommunisten nahmen nicht an der Abstimmung teil.

Bis zu 150 Euro Strafe für Burka-Trägerinnen

Diese Einheit dürfte zerbrechen, wenn die Regierung ihren Gesetzentwurf vorlegt. Das generelle Verbot sieht laut «Figaro» Strafen vor von bis zu 150 Euro. Wer eine Frau zwingt, sich vollständig zu verschleiern, riskiert zudem Geldstrafen bis 15.000 Euro und Gefängnis bis zu einem Jahr. Anfang Juli wird die Nationalversammlung, im September der Senat darüber debattieren. Wird das Gesetz verabschiedet, dürfte es im Frühjahr 2011 in Kraft treten.

Dennoch argumentieren die Sozialisten mit den Vorbehalten, die der Verfassungsrat vor wenigen Tagen nochmals bekräftigt hat: Ein generelles Verbot sei juristisch nicht haltbar und werde womöglich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Das «Prinzip der individuellen Autonomie» beinhalte, dass jeder sein Leben nach seinen Überzeugungen führen könne, solange dabei niemand gefährdet werde. Die sozialistische Opposition will das Tragen des Vollschleiers nur an bestimmten Orten verbieten, in Behörden, Geschäften und öffentlichen Transportmitteln.

Als erstes europäisches Land hatte Ende April Belgien das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit untersagt. Die Franzosen kennen sich inzwischen aus in Sachen Schleier, von der afghanischen Burka mit dem Gitterfenster vor den Augen über den Nikab, der einen Augenschlitz freilässt bis zum Sitar, bei dem ein zusätzliches dünnes Tuch auch die Augen verdeckt. Die Diskussion um die Burka gibt es seit bald einem Jahr, seit auf Anregung des kommunistischen Bürgermeisters André Gerin eine parlamentarische Kommission über die Vollverschleierung ins Leben gerufen wurde.

Vollverschleiert Auto fahren?

Einen Höhepunkt erreichte die Debatte vor wenigen Wochen, als die Polizei in Nantes einer Auto fahrenden Nikab-Trägerin einen Strafzettel über 22 Euro erteilte. Die 31-jährige Französin weigerte sich, die Strafe zu zahlen und nahm sich einen Anwalt: Sie sehe sehr wohl durch den Augenschlitz, verkündete sie auf einer Pressekonferenz an der Seite ihres Ehemanns, einem Händler aus der Nähe von Nantes.

Über diesen Ehemann, Lies Hebbadj, verkündete Innenminister Brice Hortefeux wenig später, dass er vier Frauen und zwölf Kinder habe und die Frauen Sozialhilfe bekämen. Hortefeux suggerierte, dem Polygamen die französische Nationalität aberkennen zu wollen. Lies Hebbadj, der in Algier geboren und im Alter von zwei Jahren nach Frankreich gekommen war, erhielt 1999 nach seiner Heirat die französische Staatsangehörigkeit. Er konterte frech: «Soweit ich weiss, sind Geliebte in Frankreich nicht verboten, und auch nicht im Islam.» Immigrationsminister Éric Besson fand, eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit sei «schwer umsetzbar».

Datum: 18.05.2010
Quelle: Epd

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung