Die Beamer Generation (sprich: Biimer Generäischen)

let´s beam...
let´s stampf
no comment...

Offenbar soll es immer noch Menschen geben, für die ein Gottesdienst nur dann ein richtiger Gottesdienst ist, wenn man Lieder aus dem Gesangbuch singt, wenn der Prediger auf der Kanzel den Bibeltext vorliest und seine handgeschriebene Predigt mehr oder weniger fliessend vorträgt.

Aber unter uns: Die Zeiten sind wirklich vorbei! Jetzt hat die Beamer-Generationen das Wort. Falls Ihre Gemeinde noch nicht dazu gehört, gehen Sie doch gelegentlich einmal in einer anderen Gemeinde zum Gottesdienst.

Im Gemeindezentrum - früher sprach man von Kapelle oder Kirche - ist an der Decke ein schwarzer viereckiger Kasten montiert. Erschrecken Sie nicht! Das ist eben ein Beamer. An der Vorderfront des Zentrums befindet sich eine grosse Leinwand. Richten Sie Ihr Augenmerk ausschliesslich dorthin, dann kann nichts schief gehen!

Gottesdienste der Beamer-Generation verlaufen anders. Da braucht es eben keine Kanzel mehr, keine Liederbücher, keine Orgel, kein Klavier, kein Harmonium (ha, ha!). lediglich ein kleiner Bartisch, auf dem der Prediger seinen Laptop aufgebaut hat. Noch steht der Prediger als "Blickfang" daneben. Mit der Zeit wird er aber abseits an einem kleinen Tisch alles sitzend bewerkstelligen.

Nach einem Soundcheck wird ein akkustischer Einstieg mit einem Orchester oder Chor eingespielt. Videoclips erlauben einen Blick auf das Ensemble. Alles weitere, wie Begrüssung, Mitteilungen, Gebet etc. wird mittels Tastendruck auf dem Laptop auf die Leinwand projiziert. Ebenso die gesamte Message. In gut sichtbaren Lettern, coleur- trächtig aufbereitet, erscheinen Bibeltext, Thema, Disposition und die wesentlichen Ausführungen an der Wand. Meditative "Time-points" geben den Anwesenden die Gelegenheit, die exegetischen Knochen der Disposition selbst mit erbaulichem Fleisch zu umgeben.

Einzelne Gemeinden sind bereits dazu übergegangen, die Haushalte der Mitglieder elektronisch zu vernetzen. Das ermöglicht es, dass die Glaubensgeschwister nur noch jeden zweiten Sonntag sich in die Gemeinderäume begeben müssen. Am Zwischensonntag können sie die Übertragung des Beamer-Gottesdienstes auf ihrem TV oder Computer miterleben. Damit das Gemeinschaftsmoment nicht verloren geht, werden im Ablauf der Predigt immer wieder kurze Videoclips vom vergangenen Sonntag eingeblendet. So kann man sich selbst und seine Mitgläubigen auf dem Bildschirm sehen und grüssen. An den so genannten "Zwischensonntagen" stehen die Leute vom Ministrieteam im Gemeindelokal all denen für Gebete und Segnungen zur Verfügung, die noch nicht elektronisch aufgeschaltet sind und deshalb den Weg ins Gemeindezentrum unter die Füsse nehmen müssen.

Die Hauptarbeit liegt freilich nach wie vor beim Prediger, der im Gemeinde eigenen EDV-Studio die einzelnen Elemente zusammenstellen muss. Da für ihn langwierige Konsultationen von Büchern, Nachschlagewerken und Auslegungen wegfallen, kann er die gewonnene Zeit benutzen, um die entsprechenden Informationen vom Internet downladen zu können. Umfangreiche Bibliotheken der Prediger sind hinfällig. Die finanziellen Ersparnisse können für ihn sinnvoller in gut geplante Urlaubsaktivitäten investiert werden.

Indem viele althergebrachte Aktivitäten hinfällig werden (gemischter Chor, Lobpreis-Team, Posaunenchor etc.) werden Kräfte freigesetzt zu missionarischem Einsatz. Die Folge ist ein enormer Zuwachs an Neubekehrten. Ja, die Vielzahl der Neubekehrten bewirkt eine Konkurs bedingte Schliessung der Kinos! Solche Gebäude können von den Gemeinden billigst erworben werden. Ausserdem kommt die Infrastruktur der Kinos dem Bedürfnis der Beamer-Generation-Gemeinden massiv entgegen: angenehme Polsterbestuhlung, Grossleinwände, Abstellvorrichtungen für Cocas und Chips. Für das Einziehen der Kollekte werden die Räumlichkeiten der ehemaligen Kinokassen mit wenig Aufwand umgebaut und Buchungsautomaten installiert.

Allerdings - und der Ehrlichkeit halber muss dies auch erwähnt werden - geht der Trend bereits weiter zu einer "postbeameralen Generation". Die Rede ist von spirituellen Teenie-Meetings, die mit Begeisterung alte und leerstehende Barock- und Renaissance-Kirchen mieten, um ihre Gottesdienste zu feiern. Die Initianten schreiben bereits mit grossem Erfolg Kurse aus, um in die Kunst des Orgelspielens eingeführt zu werden. Achten Sie darauf, das Orgelspiel zu sinnvoller Zeit zu erlernen, bevor die "postbeamerale Generationsphase" abgelöst wird von irgendeiner Nachfolgerin.

Sie sehen, man muss ungemein beweglich bleiben, damit man nicht zu den ewig Gestrigen gehört!

Datum: 28.03.2002
Autor: Dieter Theobald

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