Open Doors Schweiz

«Pierre Tschanz, sind Sie ein mutiger Mensch?»

Fragen an den Leiter von Open Doors Schweiz
Pierre Tschanz

Verfolgt zu werden, weil man Christ ist – das kann sich in Europa kaum jemand vorstellen. Doch Verfolgung sei auch hier bald denkbar. Das meint Pierre Tschanz, Schweizer Leiter des Hilfswerks «Open Doors», das dieses Jahr 50 wird.

Nach Ihren Angaben werden heute rund 200 Millionen Christen verfolgt. Erschreckend!
Pierre Tschanz: Ja. Allerdings muss man diese Zahl etwas relativieren. Es gibt keine 200 Millionen, die auf schreckliche Weise verfolgt werden. Auf diese hohe Zahl kommt man, wenn man alle Christen in den Krisenländern zusammenzählt.

Wie viele leiden tatsächlich unter Verfolgung?
Jährlich sind es wahrscheinlich einige Millionen. Der Begriff der Verfolgung müsste näher definiert werden. Verfolgung findet statt, wenn jemand kein Anspruch auf Rechtschutz hat. Verfolgung bedeutet meist auch physisches Leiden, körperliche Angriffe oder Gefängnisstrafen. Werde ich aber auch bereits verfolgt, wenn ich als Christ benachteiligt werde?

In welchen Ländern liegen heute die Brennpunkte?
Wir konzentrieren uns vor allem auf China und die muslimische Welt. Schlimm ist die Lage im Norden Nigerias. Moslems verfolgen dort die Christen und werden mit Waffen aus dem Ausland ausgerüstet. In Indien werden die Christen von Hindus verfolgt, in Sri Lanka von Buddhisten. Daneben gibt es auch Verfolgung durch den Staat, wie zum Beispiel in China. In Lateinamerika müssen sich die Christen vor mafiaartigen Banden fürchten.

Reisen Sie in diese Gebiete?
Ja, sehr oft.

Was tun sie dort?
Als «Open Doors Schweiz» sind wir speziell für Algerien und das französisch sprechende Afrika zuständig. Unsere Arbeit dort muss koordiniert werden. In der Hauptstadt von Kamerun habe ich vor kurzem mit einem afrikanischen Mitarbeiter ein Büro eröffnet. Von dort aus bereiten wir die «Mutig gegen den Sturm»-Seminare vor. Da geht es vor allem um die Frage, wie man dem Islam begegnen kann. Als Christ ist es notwendig, die Strategie des Islams zu verstehen.

In Nordkorea leiden die Christen besonders. Was tut Ihre Organisation dort konkret?
Anfang Jahr wurde eine weltweite Gebetskampagne für Nordkorea gestartet. Es ist gut, für dieses Land zu beten. Das Problem bei Nordkorea ist, dass man die Lage schlecht kennt. Es gibt nur vereinzelte Zeugnisse von Christen, denen die Flucht aus dem kommunistischen Land gelingt. Sie berichten davon, dass sie in Arbeitslagern 18 Stunden am Tag arbeiten mussten und zweimal am Tag zu essen kriegten – jedes Mal 90 Maiskörner.

Wofür beten Sie persönlich?
Ich habe verschiedene Gebetsanliegen. So betete ich zum Beispiel acht Jahre lang täglich für einen Gefangenen in Peru. Oder neun Jahre für drei Missionare, die in Kolumbien verschwanden. Daneben gibt es auch kurzfristigere Anliegen. Heute sind das besonders die Gefangenen in Eritrea. Immer wieder werden dort Christen verhaftet und in Schiffscontainer eingesperrt, die in der prallen Sonne stehen. Einmal täglich raus auf die Toilette. Praktisch ohne Luft und Licht. Grausame Zustände! Vor kurzem wurden 15 Frauen eingesperrt, weil sie für die Staatssicherheit eine Gefahr bedeuten würden. Da gibt es keine Logik, das ist einfach boshaft, satanisch. Ich kann es nicht anders nennen. Leute, die so was tun, sind gottlos – aber auch für sie sollte man beten.

Können Sie das – ohne Zorn?
Ich kenne diese Leute ja nicht persönlich. Deshalb ist es nicht sehr schwer, ohne Zorn für sie zu beten. Ganz anders ist es, wenn man selber verfolgt wird und für seine Verfolger betet. Dann wird das biblische Gebot «Liebet eure Feinde» in Tat umgesetzt. Ich bewundere Menschen, die das können.

Sie beten mehrere Jahre für einzelne Menschen. Sind Sie ein geduldiger Mensch?
Nein, eigentlich bin ich total ungeduldig. Aber beim Beten habe ich eine grosse Ausdauer. Das lernte ich wahrscheinlich in meinem früheren Beruf als Seefahrer. In so einem harten Beruf muss man ausdauernd sein.

Gibt es Erfolgserlebnisse?
Letzten Dezember predigte ich in Algerien und machte danach einen Aufruf. Acht Leute kamen nach vorne und bekehrten sich. Das ist ein Erfolg. Es war ein Erfolg, David de Vinatea nach acht Jahren Haft in Peru hier in die Schweiz einzuladen. Ein Erfolg war auch das Zusammenfallen des Eisernen Vorhangs. Ich schmuggelte vorher jahrelang Bibeln in die Sowjetunion.

Wie? Bibel unter den Arm und ab über die Grenze?
Ein wenig komplizierter war es schon. Wir mussten Fahrzeuge mit Doppelböden und geheimen Fächern vorbereiten. Auf meiner ersten Reise 1982 nach Rumänien hatten wir 1’500 Bibeln dabei. Schwieriger war es, Bibeln in die Sowjetunion zu schmuggeln. Die Grenzübergänge waren sehr mühsam. Die strengen Kontrollen dauerten bis zu fünf Stunden. Erwischt wurde ich nie.

Sind Sie mutig?
Nein. Wenn ich vor einem Grenzposten stand und die Schäferhunde und die Leute mit Maschinenpistolen sah, musste ich schon kräftig beten, um aufs Gas zu treten und auf den Posten zuzufahren. Aber die Freude am Job war grösser als die Angst. Heute ist der mutig, der gegen die Homosexualität Stellung nimmt. Mut in der Predigt, Mut im Zeugnis – das gehört zum christlichen Leben.

«Die Verfolgung in unseren Ländern droht rascher näher zu rücken, als wir denken.», sagen Sie im IdeaSpektrum. Brauchen wir in Zukunft noch mehr Mut?
Ich denke, die Freiheit schrumpft heute immer mehr zusammen. In England ist zum Beispiel das «Anti Hate Law» in Vorbereitung. Im Rahmen dieses «Anti-Hass Gesetzes» darf man nichts Negatives mehr über eine Religion sagen. Wie kann ich da die Leute noch über den Islam aufklären? Ich hätte schnell eine Klage am Hals. Ein anderes Beispiel: Sagen wir, mein Sohn wäre jetzt 13-jährig und würde einen Unsinn tun. Wenn ich ihm dafür eine Ohrfeige gebe, könnte ich schon Schwierigkeiten mit dem Gesetz bekommen. Doch in der Bibel steht das Umgekehrte: Wenn es erforderlich ist, darf man ein Kind bestrafen. Ich bin nicht fürs Kinder schlagen. Aber was die Welt uns heute vorschreibt, steht praktisch immer im Widerspruch zur Heiligen Schrift.

Ist der Vormarsch des Islam nicht noch eine grössere Gefahr für die Christen?
Der Islam ist eine Gefahr – aber eine unter anderen. Mir macht die immer wieder propagierte politische Korrektheit grössere Angst. Es darf keine Wahrheit mehr genannt werden.

Fürchten Sie sich vor Verfolgung in Europa?

Ich mache mir schon Gedanken. Mich überrascht vor allem, wie schnell alles vorangeht. Wie schnell sich unser Land entchristianisiert. Auf der anderen Seite gibt es aber auch wieder Hoffnungszeichen. Meine Tochter ist Architektin und sagte mir kürzlich: «In unseren Kreisen geht keiner in die Kirche, es sprechen aber alle über den Glauben.»

Ihren Beruf als Seemann gaben Sie auf, weil Sie alles erreicht und keine Ziele mehr hatten. Wann sind Sie wieder soweit?

Ich kam zu «Open Doors», weil ich einen klaren Ruf spürte. Dieser Ruf wird jeden Tag stärker. Man wird zwar mit den Jahren ein bisschen müder, aber auch erfahrener. Solange ich die Kraft dazu habe, werde ich weiter reisen und in den Gemeinden predigen. Das ist meine Leidenschaft. In vier Jahren werde ich pensioniert, deshalb haben wir jetzt schon einen Bürochef, der mich dann ablösen wird. Ich werde aber im Dienst bleiben. Für mich gibt es keine Pensionierung.

Interview: David Sommerhalder

Datum: 01.06.2005
Quelle: Chrischona Magazin

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