Schock in Paris: Am Schabbat auch Anschlag auf jüdische Schule – Signal für Europa?

Ein Werk der al-Qaeda? Verwüstung in Istanbul
Der israelische Aussenminister Shalom vor der Synagoge Newe Shalom

“Es wäre illusorisch, die Anschläge von Istanbul, der türkischen Metropole, und von Gagny, einer Pariser Vorstadt, nicht in Verbindung zu bringen.“ Mit diesem Satz fasst Michael Schifres in der Zeitung ‚Le Figaro’ die Betroffenheit in Frankreich zusammen.

In Gagny im Osten von Paris brannte in der Nacht auf Samstag, wenige Stunden vor den verheerenden Explosionen im Herzen Istanbuls, die grosse orthodox-jüdische Knabenschule Merkaza Thora ab. Präsident Chirac berief für Montag eine Sondersitzung von Ministern ein und betonte, der Antisemitismus dürfe im Land keinen Raum bekommen.

Das Feuer entstand nach ersten Ermittlungen an zwei Stellen und breitete sich rasch über eine Fläche von 3000 qm aus. Innenminister Sarkozy sagte bei einem Augenschein, es falle schwer, nicht an Brandstiftung zu denken. Der Erziehungsminister Luc Ferry zeigte sich konsterniert. Die Schule hatte zuvor keine Drohungen erhalten.

‚Ein Alibi, das nicht zugelassen werden darf’

Auch wenn das zeitliche Zusammenfallen des Brands und der Autobomben in istanbul zufällig und „die direkten Folgen dieser Verbrechen sowie die dabei eingesetzten Mittel unterschiedlich“ sind, besteht für den Kommentator des ‚Figaro’ kein Zweifel darüber, dass der Antizionismus das Alibi vieler Antisemiten ist. Hass gegen die Juden mache sich unter dem Mäntelchen der Empörung über die gegenwärtige israelische Politik breit. Salonfähig werden darf diese Israel-Feindschaft nicht, schreibt Schifres.

Er warnt zu Recht. Kürzlich zeigte der Kultursender Arte in einer Dokumentation, wie der Hass auf Juden weit über die Gemeinschaften konservativer (und schlecht informierter) Muslime hinausreicht: Seit Jahren breitet er sich - in erschreckender Weise - auch unter Jugendlichen in Frankreich aus, die mit linken Parolen aufgewachsen sind.

Wurzel des linken Antizionismus

Die NZZ brachte am Samstag ein erhellendes Gespräch mit dem jüdischen Wiener Schriftsteller Robert Schindel. Dieser glaubt „nicht, dass der Antisemitismus stärker wird, sondern dass er sich freimütiger äussert. Die Tabuisierung ist durchlöchert.“

Vieles werde heute offener ausgesprochen, meint Schindel, „vor allem, weil sich der Antisemitismus mit dem mischt, was man früher als ‚linken Antizionismus’ bezeichnet hat. Bei den Antifaschisten und den Achtundsechzigern gibt es das. Dort sieht man Palästina als Teil der Dritten Welt und die PLO als Befreiungsfront.“

Desinformation als Magd des Antisemitismus

Heute könne jeder Israels Politik scharf kritisieren, sagt Schindel. Er betont dagegen, man könne „nur dann eine vorurteilsfreie Kritik an Israel üben, wenn man das Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967 anerkennt. Und wenn man anerkennt, dass Israel in der Verlängerung seiner Geschichte ein besonderes Sicherheitsbedürfnis hat.“

In Israel – und auch in den USA – haben die Ergebnisse einer Umfrage weitherum tiefe Bestürzung ausgelöst. Danach sieht ein grosser Teil der Europäer Israel als das Land an, das den Frieden in der Welt am meisten gefährde. Die Regierung Israels – der einzigen Demokratie im Nahen Osten – machte dafür namentlich die tendenziöse Berichterstattung vieler Medien im EU-Raum verantwortlich.

Schule als Heiligtum der Laizität

Der Antisemitismus greift laut Schifres – wie aller Rassismus – die Grundwerte des laizistischen (religiös neutralen) französischen Staates an. Vor diesem Hintergrund befürwortet er ein Verbot des Kopftuchs in den öffentlichen Schulen Frankreichs, „denn die Schule muss der heilige Ort der Laizität sein“.

Andererseits zeige ein Gesetz an, so das Editorial ernüchtert, dass der Staat seine Werte anders nicht mehr durchsetzen könne; die Islamisten hätten auch so einen Sieg davongetragen und ihren Einfluss unterstrichen.

Abgeordnete gegen Kopftuch

Am Donnerstag hatte eine überparteiliche Parlamentarierkommission vorgeschlagen, alle sichtbaren Symbole religiöser Überzeugungen aus staatlichen Institutionen zu verbannen. Die britische Zeitung ‚The Guardian’ spitzt die Frage zu, die sich in Frankreich stellt: „Ist Muslim-Sein vereinbar mit Franzose-Sein?“

Frankreich hat die Strafen für Verbrechen, in denen ethnischer Hass eine Rolle spielt, auf Betreiben Sarkozys im letzten Winter verschärft. Die Brandstifter müssen mit 20 Jahren Zuchthaus rechnen.

Datum: 18.11.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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