George oder John: Die Amerikaner haben die Wahl

Kandidaten

Die wirtschaftspolitischen Rezepte der beiden Kandidaten fürs Weisse Haus sind in den letzten Wochen in den Hintergrund getreten. Um die Werte der Nation, um Ehe und Familie geht der Wahlkampf – und darum, welcher Kandidat in diesen gefährlichen Zeiten eher Sicherheit gewährleisten kann.

Präsident George W. Bush, dessen Name in linksliberalen Medien oft abschätzig zu „W.“ gestutzt wird, nutzte den Parteikongress im New Yorker Madison Square Garden, um herauszustellen, was seine Administration für die Sicherheit der USA getan habe. Bissig merkte Maureen Dowd, die Kolumnistin der New York Times, an, Bush verspotte in seiner Kampagne alle Grautöne, Nuancen und Zusammenhänge. Der „manichäische Kandidat“ sehe die Welt in Schwarz und Weiss, teile sie in Gut und Böse ein.

Vizepräsident Dick Cheney behauptete in seiner Rede nach dem Verweis aufs World Trade Center, die USA hätten mit dem Einmarsch im Irak eine „zunehmende Gefahr“ beseitigt hätten. Dagegen sprechen laut Dowd die Fakten: dass nämlich Saddam nichts mit dem 11. September 2001 zu tun hatte.

Osama noch frei – und darum kein Thema in New York

Osama bin Laden (drei Jahre später noch nicht gefangen) wurde im Madison Square Garden nicht erwähnt, auch nicht, dass die Taliban in Afghanistan wieder erstarkt sind und – so Dowd – gerade vor kurzem in der Hauptstadt Kabul sieben Personen, darunter zwei Amerikaner, getötet haben. Bush beharrt bei seinem Glauben, mit der Besetzung des Iraks breite sich die Demokratie im Nahen Osten aus; dies nimmt ihm ein wachsender Teil der US-Wähler nicht mehr einfach ab.

Maureen Dowd ärgert sich darüber, dass Bush und sein Vize Cheney das Rekorddefizit von immerhin 445'000'000'000 Dollar in ihren Ansprachen einfach „wegputzten“ – mit dem Hinweis, der Wirtschaft gehe es gut und die Vorhaben der Regierung seien finanzierbar. Dass die Zahl der Armen in den USA unter W. weiter zugenommen hat, konnte ja wohl kein Thema im Madison Square Garden sein.

Welt sicherer oder nicht?

Gemäss Maureen Dowd „blieb W. im Stadion bei seiner Behauptung, er habe die Welt sicherer gemacht. Draussen schien die explodierende Welt überhaupt nicht sicher.“ Dass die Supermacht mit unabschätzbaren Gefahren konfrontiert ist (Wochen vor dem Parteikonvent wurden Teile Manhattens nach einer Terror-Warnung für Lastwagen gesperrt), drückt dem Wahlkampf 2004 den Stempel auf.

Hart umkämpfte Gesellschaftspolitik

Andererseits hat sich in den letzten Wochen der Graben in der Familien- und Gesellschaftspolitik vertieft. George W. Bush hat sich vor einigen Monaten für einen Verfassungszusatz ausgesprochen, der ‚marriage’ als Verbindung von Mann und Frau definiert.

So soll den Versuchen der Homosexuellen-Organisationen, die Ehe für Schwule und Lesben zu öffnen, ein Riegel geschoben werden. Die Demokraten treten dagegen entschieden für die Besserstellung homosexueller Paare ein. Der Kampf wird auf der Ebene von Städten (San Francisco) und Gliedstaaten und in Washington mit einer Härte geführt, die Züge eines Kulturkampfs trägt.

George gegen John: Der Glaube ist wichtig

In diesem Zusammenhang wird auch die Religion der Kandidaten getestet. Für US-Amerikaner ist die Glaubensgrundlage der Politiker keine Privatsache. Jeder zweite Amerikaner ist heute der Meinung, dass Politiker zu selten über Religion sprechen. Gemäss dem Pew-Meinungsforschungsinstitut meinten dies im Vorjahr nur 41 Prozent. 53 Prozent der nun Befragten halten Bushs Aussagen zum Glauben für genau richtig, 24 Prozent für übertrieben.

Neben der Ehe-Frage sind die Kandidaten auch in der Frage der Abtreibung und der Stammzellenforschung ganz unterschiedlicher Meinung. Im katholischen Milieu wurde diskutiert, ob die US-Bischöfe John Kerry wegen seines Eintretens für eine freie Abtreibung in den Senkel stellen sollten. Die meisten evangelikalen Christen stehen entschlossen hinter Bush.

„Die grössten Konsequenzen für Amerikas Zukunft“

Richard Land, der einflussreiche Ethik-Sprecher der Südlichen Baptisten, kommentierte Bushs Abschlussrede in New York mit den Worten, seit 1980 hätten die US-Wähler nie mehr so deutlich unterscheiden können zwischen den Kandidaten.

Der Wahlausgang werde „die grössten Konsequenzen für Amerikas Zukunft“ haben. „Wir, das Volk, stehen an der Wegscheide und haben zu entscheiden, wie wir regiert werden wollen und in welche Richtung unsere Politiker unsere Nation in der nächsten Generation führen.“

Eine „innovative Agenda“ für die USA?

Laut Land legte Bush “eine durchaus vorwärtsorientierte, innovative Agenda in der Innenpolitik vor, die die Leute in den Stand setzt, ihre eigenen Entscheidungen für ihre Zukunft und die ihrer Familien zu treffen – statt dass die Regierung ihnen sagt, was sie zu tun haben.“

Bush erklärte, dass eine fürsorgliche Gesellschaft ihre schwächsten Glieder hoch achtet. Darum, so der Präsident, „müssen wir dem ungeborenen Kind Raum geben“.

Die Ehe – vor politisierenden Richtern zu schützen

Der Bund von Mann und Frau verdiene einen Ehrenplatz in der US-Gesellschaft, „darum unterstütze ich den Schutz der Ehe vor aktivistischen Richtern.“ Den erwähnten Verfassungszusatz zur Ehe forderte Bush in seiner Rede allerdings nicht – wohl um das mittlere, unentschlossene Wählersegment zu umwerben. Auch die Begrenzung der Stammzellenforschung, die der Demokrat Kerry aufheben will, war für George W. an diesem Tag kein Thema.

Die Parteishow reicht nicht

Wie Hansrudolf Kamer, der Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung, schreibt, braucht Bush, um zu gewinnen, „mehr als einen durchgestylten Parteikonvent“. Zum Beispiel „Schlachtenglück im Irak und in Afghanistan“ und Erfolge im unheimlichen Krieg gegen die Terroristen.

Der Weg bis zum Wahltag im November ist noch lang. Im Unterschied zu Kerry haben die Amerikaner George W. schon vier Jahre im Weissen Haus erlebt. Und vermögen seine Qualitäten eher einzuschätzen. Dies könnte im gespaltenen Land den Ausschlag geben.

Datum: 07.09.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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