Die Bilanz der Welt

Alonzo L. McDonald

Wir leben wirklich im goldensten Zeitalter der Geschichte.Weltweit geniessen wir einen Lebensstandard auf Rekordhöhe, der während der nächsten zwei Jahrzehnte noch drastisch zunehmen könnte.

Wir haben materielle Ressourcen für weitere Investitionen angehäuft und unser technischer Schwung und die Ausbildungsmöglichkeiten sind um ein Mehrfaches grösser als in früheren Generationen.

An der politischen Front gibt es mehr sogenannt demokratische Nationen als je zuvor. Mehr Menschen als vorher können ihre Stimme in Wahl- und Regierungsprozessen abgeben. Der Trend hin zur Demokratisierung und deren Verbindung zur freien Wirtschaft markiert eine bedeutende Absage an frühere Regierungsmuster. Aber trotz all dieser grossen Vorteile auf der Habenseite, ist die Welt ein zerbrechlicher Ort. In der kosmischen Bilanz beinhalten die Vorzüge der Gesellschaft auch die potenziellen Samen der Zerstörung. Dies erfolgt daraus, dass die Motivation dieser Welt auf immer mehr Machtgewinn und Wohlstand ausgerichtet ist, wobei weder ein Individuum noch eine Gesellschaft sich je zufrieden gibt mit ihrem Anteil. Auf der Sollseite haben wir heute die Fähigkeit, uns selber in die Luft zu jagen und alle Leistungen der Menschheit zu zerstören. Und genau wie in früheren Zeiten brechen Kriege aus. Wenn Frieden über eine Region kommt, brechen fast spontan andernorts Konflikte auf. Die Durants erinnern uns daran, dass «Krieg eine Konstante der Geschichte ist, die weder mit der Zivilisation noch mit der Demokratie abgenommen hat.» Ihre umfangreichen Geschichtsstudien ergeben: «Frieden ist ein unstabiles Gleichgewicht und kann nur durch anerkannte Souveränität oder durch gleiche Macht aufrecht erhalten werden.»

Die einflussreichste Person aller Zeiten

Kürzlich machte mir Gedanken über meine Familie. Ich begann bei unseren Vorfahren, dachte nach über meinen eigenen Prozess des Älterwerdens und meinen brennenden Wunsch, dass die neue Generation ein bedeutsames Leben führen kann.Worin könnte sie einen Sinn finden? Wie könnte ich ihr in meiner mir zugeteilten Zeit helfen? In ihrer jugendlichen Vitalität und in ihrem dynamischen Optimismus werden unsere Nachkommen wohl kaum an den unzusammenhängenden Gedanken eines alten Mannes interessiert sein, nicht mal, wenn er ihr Grossvater ist. Und ich werde vielleicht nicht mehr da sein,wenn sie die Reife erlangen, in der sie auf ihrer Suche ernsthaft über den Sinn des Lebens nachdenken. Vielleicht wäre es nun an der Zeit, diese Gedanken schriftlich festzuhalten. Während wir in ein neues Jahrtausend segeln, ist die Welt sehr selbstsicher im Zeitalter des Fortschrittes. Leicht könnte es unsere grandiosesten Visionen übertreffen. Aus der materiellen, weltlichen Perspektive gesehen, sind wir bereit, neue Wunder zu vollbringen. Aber die grundlegende Frage angesichts unserer Zerbrechlichkeit ist die: Haben wir als menschliche Rasse das Herz und den Willen, die Zivilisation mit einem hohen Niveau an Verständnis und Besorgnis für andere zu versehen? Falls nicht, wie können wir zu einem solchen Herzen gelangen? Meine Antwort dazu lenkt unser Augenmerk zurück auf die Bedeutung des Jahres 2000. Dass unser Kalender auf die Geburt einer Person namens Jesus Christus zurückgeht, ist erstaunlich. Dieses Ereignis hatte einen solchen Einfluss, dass eine neue Zeitrechnung begann. Keine andere Geburt wurde je so beachtet und in Erinnerung behalten. Keinem Anderen wird wohl je solche Ehre zuteil werden. Unsere Kulturen, unser Erbe, unsere Leben weisen sein Zeugnis in einem solchen Ausmass auf, dass es unsere Vorstellungskraft übertrifft. Sein Einfluss durchdringt unsere Existenz auch heute. Schriften jeder erdenklichen Art in zahllosen Bänden haben die Gestelle und Köpfe von Generationen während 2000 Jahren gefüllt. Sein einfaches Leben und seine Lehre bleibt so radikal anders als unsere menschlichen Neigungen. – Er schrieb nichts, besass nichts, bat um wenig und gab sich selber ganz hin. Jesus predigte eine erschreckende Botschaft der Liebe. Er machte den Letzten zum Ersten, verkehrte mit Armen und Geächteten und verurteilte diejenigen, die gesetzliche Regeln über ihre Forderungen «für Gott» aufstellten. Jesus forderte heraus zur Hingabe an Gott und Liebe zum Nächsten,sogar zu den Feinden. Er war demütig und selbstlos in jeder Hinsicht.

Ein illustrer Club

Als begeisterter Leser der Klassiker und Biographien im allgemeinen, wurde ich berührt von denen, die sich ihm anschlossen. Nach den vielen Jahren, in denen ich mich um weltliche Belange gekümmert habe, habe ich den Schluss gezogen, dass Jesus der Sinn meines Lebens und die Quelle meiner Hoffnung in dieser und der nächsten Welt ist. Sein Leben inspirierte Menschen zum Schaffen grosser Musik. Die Kunst würde eine unergründliche Leere aufweisen,wenn die Meister nicht seine Geschichte in lebhaften Gemälden und Statuen erzählt hätten. Unsere vielen Wohltätigkeitsaktivitäten zeugen von seinem Beispiel und seiner Philosophie. Für einige, einschliesslich dieses Grossvaters heute, ist Jesus eine unvergängliche Quelle der Kraft,Führung und Hoffnung als Messias, Gottes Sohn.

Ich lächle,wenn ich mir den illustren Club der Bauern, Dichter und Prinzen vorstelle, dem ich mich angeschlossen habe. Ich finde grossen Trost, Unterstützung und Freude im Umgang mit anderen, die danach streben, seine Nachfolger zu sein, und mit meinen zahlreichen jüdischen Freunden, die den selben Gott anbeten, den er «Abba» nannte. Obwohl ich das Leiden sehe, das durch den Missbrauch seines Namens und seiner Lehre verursacht wurde, erfüllt mich eine wachsende Ehrfurcht vor seiner Wahrheit und des Vorbildes seines Lebens und seiner Botschaft. Ich geniesse es, die Beichte von St. Augustine und von Tolstoi; die einsichtigen Novellen von Dostojewski; die mystischen Gedanken von Simone Weil und die tiefgründigen Werke von zahllosen Denkern und Philosophen jeden Zeitalters zu lesen. Sogar Ungläubige wie Thomas Jefferson zitierten Jesus als den Autor der grossartigsten Philosophie des Lebens. Als ich in London lebte,war ich erstaunt, die Bekehrung von Malcolm Muggeridge, des zynischen Herausgebers von «Punch» und Fernsehkommentatoren zu sehen. Seine späteren Schriften und Reden, die von Jesu Leben und Lehre handelten, ermutigten mich, mit meinen Gedanken tiefer zu gehen. Später, im Weissen Haus, wo mein Büro an die «Oval Office Suite» grenzte, sah ich deutlich, dass Glauben die Substanz und der Kern von Präsident Carters Leben war, egal, ob man mit seiner Politik und seinen Handlungen einig ging oder nicht. Sein Vorbild im Geben und Dienen, seit er das Büro verlassen hat wie auch sein Buch «Lebendiger Glaube» (Originaltitel: Living Faith) zeugen von seiner Hingabe an Jesus. Als hartgesottener Geschäftsmann war mein eigener Weg hin zum Glauben so zögernd und langsam, dass er nicht vorbildlich ist für meine Grosskinder oder für künftige Generationen.Vielleicht hilft das Niederschreiben und Weitergeben meiner Gedanken, meine persönliche Einstellung zu formen und mein Handeln mehr Christusorientiert zu gestalten.

Die Strasse vor uns

Wenn wir nun diese Seite der Zeit umblättern, werden wir daran erinnert, dass – unabhängig von der persönlichen Theologie oder vom Glaubenssystem – die menschliche Rasse tatsächlich ein gefallenes Volk ist. Das stand-off zwischen den enormen Möglichkeiten und der prekären Zerbrechlichkeit kann den Säkularisten und Humanisten nur wenig Hoffnung bieten. Überlebenstheorien sind irrelevant in einer Welt, die sich in einer Nano- Sekunde selber zerstören kann. Dekonstruktionismus und Postmoderne können die Bewegung auf das Unheil hin nur beschleunigen. Sogar der Atheist George Bernard Shaw schreibt: «Das menschliche Wesen ist das einzige Tier, vor dem ich mich gehörig fürchte und ängstige. » Unter den Philosophen war Immanuel Kant noch dogmatischer: «Aus dem krummen Holz der Menschheit kann niemals etwas Gerades entstehen.»

Diejenigen, die sich entscheiden, Jesus nachzufolgen, können von der heute zynischen, in die Wissenschaft vertrauenden Welt kein Lob erwarten, sondern Skeptik, manchmal Isolation und oftmals Spott. Und für viele kann der Glaube an Jesus eine Todesgarantie sein:Während des zwanzigsten Jahrhunderts gab es mehr christliche Märtyrer als in den vorhergehenden neunzehn Jahrhunderten zusammen. Diese hohe Anzahl ist teils das Erbe der Vertreter der Aufklärung, sie ersetzten den Glauben durch menschliche Vernunft. Ihre verhängnisvolle Philosophie, gegründet auf Verstand und Wissenschaft, führte zu mehr Krieg, gewaltsamem Tod und unmenschlicher Unterdrückung im soeben angefangenen Jahrhundert als in irgendeinem vergleichbaren Zeitabschnitt der aufgezeichneten Geschichte.Wir können dieses sachliche Resultat wohl kaum als moralischen Fortschritt bezeichnen.

Und doch, Gläubige leben noch immer in Hoffnung. Wir werden zu Pascals Einsicht zurückgeführt: «Das Herz hat seine Gründe, wovon der Verstand nichts weiss. Wir wissen dies auf unzählige Weise.» Und obwohl seine bekannten Schriften dies nicht belegen, wird Pascal fundamentale Einsicht nachgesagt. «Es gibt ein Vakuum im Herzen jedes Menschen, das die Form Gottes aufweist, welches gefüllt werden muss,damit wir Frieden finden können.»

Wie ich nun so kämpfe gegen alle meine verführerischen Neigungen zu Kontrolle und Dominanz, bewege ich mich vielleicht auf eine neue Ebene von Frieden und Barmherzigkeit gegenüber anderen zu. Abraham Lincoln kam schrittweise zur selben Schlussfolgerung. Als er sich bewusst wurde, dass der Kurs der menschlichen Ereignisse jenseits seiner oder der Kontrolle irgendeiner anderen Person lag, bekannte er in seiner Antrittsrede bescheiden, dass «der Allmächtige seine eigenen Absichten hat». Für Gläubige, die, ähnlich wie Lincoln, zu keiner Kirche gehörten und wenig Zeit für religiöse Rituale hatten, wird die endgültige Balance zwischen den weltlichen Vorzügen und deren Belastung sein, gemäss Gottes Willen zu leben. Diese Überzeugung bringt unendliche Hoffnung und Sinn. Sogar der skeptische Victor Hugo gab zu, dass «das Wort,welches Gott auf die Stirne eines jeden Menschen geschrieben hat, die Hoffnung ist». Unsere grössten Herausforderungen werden ganz klar nicht ökonomischer, wissenschaftlicher oder politischer Natur sein. Stattdessen werden sie moralischer und geistlicher Art sein. Obwohl Geschichte ihre früheren Muster nie zu vervielfältigen vermag, lehrt sie uns doch, dass Egoismus und die Suche nach Macht und Wohlstand unsere besseren Neigungen überwältigen werden. Als Resultat davon können wir nur auf eine Vielzahl von kontinuierlichen Konflikten und Gewalt seit Beginn der Zeitrechnung zurücksehen.Wir haben im Grunde ignoriert, was dem Leben einen grösseren Sinn und eine Richtung geben kann.

Es mag nun gerade an der Zeit sein, sehnsüchtig über unser hochentwickeltes Wissen hinauszuschauen und die grundlegende geistliche Orientierung, die in zunehmender Weise von der modernen Menschheit vernachlässigt wurde, zu umarmen. Die Durants haben beobachtet, dass «es kein bedeutendes Beispiel in der Geschichte vor unserer Zeit von einer Gesellschaft gibt, die erfolgreich das moralische Leben aufrecht erhielt ohne die Hilfe einer Religion». Im Zeitalter des Reichtums und der hochstehenden Errungenschaften würden wir gut daran tun, die zwei grundlegenden Unterweisungen Jesu neu zu überdenken. Er sagte einfach: «Liebe den Herrn, deinen Gott von ganzem Herzen, mit deinem ganzen Verstand, mit deiner ganzen Seele und mit aller Kraft», und fügte hinzu: «Liebe deinen Nächsten wie dich selber.» Er bestand darauf, dass in diesen beiden Geboten das gesamte Gesetz enthalten ist.

Feuer entdecken

Mit unserer modernen Abhängigkeit von uns selber, von der Wissenschaft, unserem konstanten Streben nach autonomem Individualismus und nach Selbstgefälligkeit rasen wir selbstsicher weiter und höher – ausser wenn die Lichter aus- und die Schüsse losgehen.Vielleicht sollten wir uns an die vorsichtige Notiz von John Donne, eines bemerkenswerten englischen Theologen und Predigers, erinnern: «Frage nicht, für wen die Glocke läutet. Sie läutet für dich.»

Sogar wenn wir von den pragmatischen Möglichkeiten für eine glorreiche Zukunft träumen und sie sehen, ist es klug, über das nachzudenken,was den Philosophen, Dichtern, Theologen, den weisen Denkern und Führern, die das Leben unter einem geistlichen Schirm der Hoffnung, der Gemeinschaft und der Liebe umarmten, so kostbar ist. Dann könnten wir die inspirierende Vision der Zukunft,wie der anerkannte Wissenschaftler und Nachfolger von Jesus,Teilhard de Chardin, sie sich vorstellt, teilen: «Der Tag wird kommen, an welchem – nachdem der Äther, die Gezeiten und die Gravitation genutzt werden – wir für Gott die Energien der Liebe nutzen werden. Und, an diesem Tag, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, wird die Menschheit Feuer entdeckt haben.»

Das wäre wahrhaftig ein Geschenk des dritten Jahrtausends, die technologischen Entdeckungen und den grossen Wohlstand zu verringern und das neue Jahrtausend von Jesus unauslöschlich als einen historischen Wendepunkt in der menschlichen Natur zum Wohlergehen aller künftigen Generationen zu markieren.

A.L.McDonald blickt auf vier Jahrzehnte Managementerfahrung zurück: - Botschafter der USA - Assistent des Präsidenten und Personaldirektor im Weissen Haus - Präsident der Bendix Corporation - Managing Direktor (CEO weltweit) von McKinsey & Company Inc. - Mitglied der Fakultät der Harvard Business School

Datum: 16.04.2002
Autor: Alonzo L. McDonald

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