An Gott, nicht an den Glauben glauben
Dem Talkmaster Ruedi Josuran steht Stefan Schweyer Rede und Antwort. Er ist Professor für praktische Theologie an der STH, der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel. Dabei geht es um Kirchen, Anbetung und Gläubige als wärmende Öfen.
Eine Gesellschaft mit immer weniger Glauben
«Die Pointe des Christentums ist, dass ich nicht an den Glauben eines anderen glaube, sondern ich glaube an Gott», erklärt Stefan Schweyer. Seine Forschungen wollen einen realistischen Blick auf die Gesellschaft werfen, so hält er fest: «Die Freikirchen stagnieren, sind leicht schrumpfend; etwas weniger als die Grosskirchen. Sie gehen jeweils mit der Grosswetterlage der Landeskirchen mit, was auch historisch belegt ist. Auch früher war es sichtbar, bei den Erweckungen im Berner- oder Zürcher Oberland. Die aktuell schnellst-wachsende Menschengruppe sind weder Muslime noch Esoteriker, sondern Leute, die sich selber als nicht-spirituell, religionslos bezeichnen.»
Wie ist Gottes Geschichte mit meiner verwoben?
Der Professor meint, dass der postmoderne Mensch scheinbar ganz gut ohne Gott leben könne. Man solle vermeiden dem Gegenüber aufzudrängen, dass er ohne Gott doch gar nicht gut leben kann.
«Existiert der sogenannte ‘Missionsbefehl’ denn noch?», fragt der Livenet-Gastgeber. Schweyer antwortet: «Das Ziel ist, dass etwas von der Herrlichkeit Gottes auf dieser Welt aufstrahlen kann. Wir können christliche Zeugen sein. Es gibt die zwei Geschichten: Die grosse Geschichte von Gott – die Menschwerdung, die Versöhnung – und meine kleine Story. Dann ist es interessant, wie diese Geschichte in meinem eigenen Leben bedeutsam wird. Da kann auf unserem Gesicht etwas von Gottes Liebe sichtbar werden.»
Liebesgeschichte statt Religionszwang
Man solle dem anderen nicht zuerst einen Mangel aufschwätzen, sondern eher auf die Liebesgeschichte Gottes hinweisen. «Es geht nicht um Mangel oder Zwang, sondern eine Faszination der anwesenden Person. Gott zwingt sich uns nicht auf, er ist da für eine Liebesbeziehung. Sogar von Sünde, Umkehr etc. kann durch diese Liebesgeschichte erzählt werden. Luther hat vom ‘in sich selber verkrümmten Menschen’ gesprochen. Das kann man auch als Lieblosigkeit zu bezeichnen. Und da will Gott mit Versöhnung reinkommen», erklärt der Theologe.
«Wegweiser selber ist nicht wichtig, sondern wohin er zeigt»
Stefan Schweyer ergänzt: «Das Geheimnis der Sendung ist, dass ich nicht auf mich hinweise, sondern auf Gott. Der Wegweiser muss nicht schön sein, sondern wohin er zeigt ist wichtig. Sonst wird plötzlich der Glaube wichtiger als Gott.»
Es brauche Orte der Diskussion und Reflektion. Aber es solle schlussendlich in einen Akt der Anbetung münden, Anbetung sei die Haltung, dass etwas grösser ist als ich. Es sei im Kern auch ein Akt der Selbstrelativierung. Man solle nicht nur über Gott sprechen, sondern mit ihm, fährt Schweyer fort.
«Gastfreundschaft ist Königsweg der Kirche»
Der Talkmaster fragt, ob diese Gastfreundschaft als besondere Gabe einfach die freundliche Begrüssung am Kircheneingang sei? Der Kirchenmann dazu: «Mehr als nur eine freundliche Begrüssung am Kircheneingang, gehört Gastfreundschaft vor allem zum Wesen Gottes. Im Griechischen gibt es die Bedeutung ‘die Liebe zum Fremden’ und als Zweites wäre das Teilen mit andern zu erwähnen. Was hat Gott mir geschenkt, das ich mit andern teilen könnte, auch täglich? Miteinander essen ist eine sehr besondere Art und Weise von Verbindung. Oder wer könnte sich einen Geburtstag oder ein Jubiläum ohne Essen vorstellen?»
Glaubensflamme: Gemeinschaft als heisser Ofen und offene Türen
Dass der dreieinige Gott all die Jahrtausende mit Trends und Krisen überstanden hat, gibt dem Theologen eine «übergeordnete Hoffnung» für die Zukunft.
Ein Bild begleitet Stefan Schweyer besonders, nämlich dass die Gaben Gottes Wärme ausstrahlten. Auch bei Diskussionen, da könne man die Hitze regulieren und aufpassen, dass diese Gemeinschaft nicht zu hitzig werde. «So würde ich mir in einer säkularen Welt Lebensgemeinschaften wünschen – ein heisser Ofen und offene Türen.»
Hier geht’s zum Talk mit Stefan Schweyer:
Zum Thema:
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Datum: 03.10.2025
Autor:
Roland Streit
Quelle:
Livenet