Zwei Jahre danach

«Gerechtigkeit wird mit Füssen getreten»

Kirchen in Gyumri: Armenien ist der älteste christliche Staat der Welt.
Zwei Jahre nach der Einnahme von Bergkarabach bleiben Gerechtigkeit und Frieden fern. Über 100’000 Armenier wurden vertrieben, Aserbaidschan hält Geiseln fest. Pascal Portoukalian schildert die Lage zwischen fragiler Waffenruhe und zerstörter Heimat.

Am 19. September 2023 startete die aserbaidschanische Armee eine Blitzoffensive gegen die armenischen Separatisten in Bergkarabach. Innerhalb von 48 Stunden fielen nahezu alle armenischen Stellungen, und die Enklave leerte sich rasch: Mehr als 100’000 Menschen flohen nach Armenien. Seit dem 1. Januar 2024 existiert das Gebiet Bergkarabach rechtlich nicht mehr.

Am 8. August 2025 fand in Washington ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump, dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew statt. Am Ende wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet. Pascal Portoukalian, ein französischer Christ armenischer Herkunft, lebt seit drei Jahren in der armenischen Hauptstadt Jerewan. Er kommentiert: «Ich denke, das Abkommen wird zumindest so lange halten, wie Donald Trump im Amt ist. (…) Doch auch wenn ich es mir von Herzen wünsche und dafür bete, glaube ich derzeit nicht an einen plötzlichen friedlichen Kurswechsel Aserbaidschans. Beweis dafür ist, dass Aserbaidschan weiterhin mindestens 23 armenische Geiseln festhält – Verantwortliche aus dem ehemaligen Bergkarabach – ohne deren Freilassung zu planen.

150'000 vertriebene Einwohner

Am 14. September 2025 wurde einer der wenigen noch verbliebenen Armenier in dem besetzten Gebiet unter grotesken Vorwürfen einer angeblichen «Terrorabsicht» verhaftet. Auch von einer möglichen Rückkehr der 150’000 vertriebenen armenischen Ureinwohner auf ihre angestammten Ländereien ist keine Rede.

«Wir erleben eine Situation, in der Gerechtigkeit missachtet wird, ohne dass man sie wiederherstellen will. Dieser ‘Frieden’, unterzeichnet mit der Pistole an der Schläfe, besitzt nicht die nötigen Grundlagen für echten Frieden: Anerkennung des Unrechts, Wiedergutmachung der Schäden und eine Änderung der Haltung.»

Ganz Armenien erobern?

Es bleibe ein ständiges Motiv der aserbaidschanischen Rhetorik, ganz Armenien zu erobern, so Pascal Portoukalian: «Gestützt auf eine verfälschte nationale Erzählung drängt Aserbaidschan Armenien immer weiter in unhaltbare Rückzugspositionen. Es würde mich nicht überraschen, wenn man die Ansiedlung von 300’000 Aserbaidschanern auf armenischem Territorium fordern würde – ohne jegliche Gegenseitigkeit. Sollte diese kaum verhüllte Forderung umgesetzt werden, hätte das gravierende Folgen für die strategisch wichtige Region Sjunik, die heute rund 115’000 Einwohner zählt, fast alle Armenier.»

Seine Familie stammt bis ins 17. Jahrhundert aus dieser Region, «bevor sie vor Massakern in die Türkei floh und später vor dem Völkermord nach Frankreich».

Fünf Kirchen in Bergkarabach zerstört

Armenien ist eine der ersten christlichen Nationen, fast 97 Prozent der Bevölkerung sind Christen. Zahlreiche Kirchen und Klöster prägen die Identität des Landes. Einige dieser Bauwerke wurden zerstört: «Wir wissen, dass bisher mindestens fünf Kirchen in Bergkarabach zerstört wurden. Gleichzeitig wurde in einer Stadt – die derzeit leer steht, nachdem die armenische Bevölkerung vertrieben wurde – bereits eine Moschee errichtet, offenbar in Erwartung einer zukünftigen aserbaidschanischen Besiedlung: Der zivilisatorische Aspekt darf nicht übersehen werden: Sakralbauten, ob christlich oder muslimisch, sind zentrale Identitätsmarker eines Landes. Wer die einen zerstört, um die anderen zu errichten, weiss genau, was er tut.»

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Datum: 24.09.2025
Autor: Mélanie Boukorras / Daniel Gerber
Quelle: Info Chrétienne / gekürzte Übersetzung: Livenet

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