Familie ermöglichen

Markus Meury

Die «Familie» ist ein wichtiger christlicher Wert, und in den letzten Jahren ist sie endlich wieder mehr im Blickfeld der Politik. In der nächsten Legislaturperiode wird die Besteuerung der Familien heiss diskutiert werden. Vor den Wahlen versuchen verschiedene Parteien, sich als Familienparteien zu profilieren. Der Wert der Familie soll wieder gestärkt, der Zusammenhalt gefördert und die Familie entlastet werden.
Familie

Verschiedene Studien zeigen, dass Familien heute das grösste Armutsrisiko tragen, dies auf Grund der hohen Kosten rund um die Kinder. Im Jahr 2007 lag die Working Poor-Quote in Familien mit drei oder mehr Kindern bei 15 Prozent, also drei Mal so hoch wie im Durchschnitt aller Betroffenen. Familien beziehen deshalb stark überdurchschnittlich oft Sozialhilfe. In der Stadt Biel sind heute 20 Prozent der Kinder Sozialhilfeempfänger.

Bisherige Ansätze zur Entlastung von Familien haben deshalb zu kurz gegriffen.

  • Steuersenkungen mit Hilfe von Abzügen auf dem steuerbaren Einkommen entlasten genau die Falschen und nützen Familien mit knappem Budget nichts. Denn diese bezahlen bereits heute sehr wenig Bundessteuern.

  • Die CVP verlangt, dass Kinderzulagen nicht mehr versteuert werden müssen. Dies würde  ärmeren Familien aber ebenfalls nur wenig bringen, reicheren Familien auf Grund der Steuerprogression hingegen sehr viel.

  • Die SVP verlangt in einer neuen Initiative einen Abzug auf dem steuerbaren Einkommen für Eltern, bei denen ein Elternteil zu Hause bleibt. Auch hier profitieren diejenigen, die es am meisten bräuchten, überhaupt nicht.

Wenn schon Steuersenkung, dann brauchen wir einen pauschalen Abzug pro Kind auf dem Steuerbetrag, und dies vor allem bei den kantonalen Steuern, da dort die Steuern für wenig Verdienende wirklich spürbar sind.

Manchmal werden Steuervergünstigungen für die Familie auch als Alibi für einen pauschalen Steuerabbau missbraucht. Steuersenkungen sind populär, deshalb wird dies oft als Patentrezept vorgeschlagen. Allerdings haben Steuersenkungen meist auch eine Verknappung der Steuereinnahmen und später eine Kürzung der Sozialleistungen pro Kopf zur Folge, was sehr oft genau die Familien trifft.

Manche Politiker wollen «die Familie» fördern, in dem sie möglichst verhindern wollen, dass familiäre Aufgaben an «den Staat» delegiert werden können. Ja, Kinder finden Geborgenheit meist am Besten in der Familie. Was wir brauchen, ist aber eine Politik, die Familie wirklich möglich macht. Eltern müssen frei sein, qualitativ gute Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

Erstes Ziel muss es sein, dass Kinder von ihren eigenen Eltern betreut werden können. Es muss möglich sein, dass immer ein Elternteil bei den Kindern zu Hause ist (ob Mutter oder Vater spielt weniger eine Rolle). Dies ist vor Allem in den ersten Lebensjahren wichtig, in denen das Grundvertrauen, der innere Halt und der «feste Boden» entwickelt werden. Eine Betreuung durch die erweiterte Familie (Grosseltern etc) heute nicht mehr allen möglich, denn auf Grund der heute geforderten beruflichen Mobilität und der Schwierigkeit, eine Wohnung am gewünschten Ort zu finden. Eltern sollten zusammengezählt nicht mehr als 100% arbeiten müssen.

Was braucht es dazu?

  1. Löhne, die für eine Familie reichen: In vielen Wirtschaftssektoren sind die Löhne so tief, dass beide Elternteile erwerbstätig sein müssen. Hier braucht es höhere Löhne für die unteren Einkommen, durch Förderung von Gesamtarbeitsverträgen und Mindestlöhnen.

  2. Jobsharing ermöglichen: Damit beide Elternteile an der Erziehungsarbeit teilhaben können, müssten Arbeitgeber etwas umdenken: Auch in Teilzeitarbeit sollte verantwortungsvolle Arbeit möglich sein. Viele Eltern wagen es heute nicht, in der Kleinkinderzeit kürzer zu treten oder die Karriere zu unterbrechen, weil sie sonst den Anschluss verlieren.

  3. Kinderzulagen erhöhen: Dies ist die am direktesten wirksame Methode. Der Bundesrat und die Parlamente meinen aber, dass man hierfür zu wenig Geld hätte, und dass es sich um ein unerwünschtes Giesskannenprinzip handle. Dies steht aber im Widerspruch zu den angestrebten Steuersenkungen, mit denen auf Milliardenbeträge verzichtet werden soll, und die noch stärker das Giesskannenprinzip praktiziert wird...

  4. Heimbetreuung ermöglichen: Statt blind Kinderkrippen für alle zu finanzieren, wie die SP es will, sollte ein Teil dieses Geldes als Kinderbetreuungsgeld denjenigen Eltern ausbezahlt werden, die für ihre Kinder teilweise zu Hause bleiben. Dieser Ansatz ist in Deutschland bereits erfolgreich erprobt worden.

  5. Phase der Kinderbetreuung an die AHV und die Pensionskasse anrechnen: Wenn jemand während einer gewissen Zeit nicht arbeitet, um Kinder zu betreuen, fällt er bei der Altersvorsorge (AHV, Pensionskasse) in ein Loch. Dies darf nicht sein. Kinderbetreuung muss genauso als Arbeit gelten können, auch wenn sie niemand bezahlt!

  6. Familienfreundliche Arbeitszeiten: Seit den neunziger Jahren hat die Flexibilisierung der Arbeitszeit zugenommen. Aus «Gründen der Wirtschaftlichkeit» ist die Abend-, Nacht und Sonntagsarbeit massiv ausgedehnt worden. Das Familienleben leidet darunter, wie ich es in meiner Zeit als Gewerkschaftssekretär von Nahem gesehen habe. Wir müssen uns der weiteren Deregulierung der Arbeits- und Ladenöffnungszeiten widersetzen, sonst opfern wir die Familien auf dem Altar der Wirtschaft und des Konsums ohne Grenzen.

  7. Grosse Wohnungen für die Familien: Der Bund müsste den Bau grosser Wohnungen fördern, anstatt die Subventionen für Genossenschaften, die heute meist Familienwohnungen erstellen, abzubauen. Zusätzlich braucht es gesetzliche Massnahmen, um den Zugang für Familien zu grossen Wohnungen oder Bauhypotheken zu erleichtern. Denn Vermieter und Hypothekengeber ziehen Doppelverdiener ohne Kinder den Familien vor, weil letztere ein grösseres «Risiko» darstellen.

  8. Krankenkassenprämien: Kinder müssten gratis versichert sein. Die Grundversicherung darf etwas entrümpelt werden, aber vor allem müssen einkommensabhängige Prämien eingeführt werden.

  9. Familienverträglichkeitsprüfung: Bei politischen Entscheiden könnte eine Familienverträglichkeitsprüfung eingeführt werden. Eine solche hätte beispielsweise beim Entscheid von Bundesrat Burkhalter, dass auch Kinderbrillen nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt werden sollen, seine Wirkung gezeigt.

Eine echte Familienpolitik braucht nicht primär Steuersenkung, sondern Ermöglichung. Das bedeutet auch Einschränkung und Teilen. Und, die Angst vor «dem Staat» abzulegen. Ist unsere Gesellschaft dazu bereit?

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Familie ermöglichen

Datum: 03.10.2011
Autor: Markus Meury

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