Hágios

Wo Gottes Wesen auf den Menschen abfärbt

Bühnenlicht scheint auf das Gesicht (Symbolbild)
Gott sagt von sich, dass wir heilig sein sollen, so wie er auch heilig ist. Was bedeutet das eigentlich? Und was ist uns selbst heilig?

Was ist Ihnen heilig? Was ist Ihnen so wertvoll, dass Sie es mit allem, was Sie haben, verteidigen würden? Wo werden Sie wirklich wütend, weil etwas angetastet oder beschädigt wird, das Ihnen unendlich viel wert ist?

Der Begriff «heilig» (hebr. – kodäsch; griech. –hágios) ruft in vielen Menschen ein zwiespältiges Gefühl hervor. Sie sehen sich etwas Göttlichem gegenüber, einer Macht oder einem Wesen, das dem Irdischen entrückt und damit unberührbar und unkontrollierbar ist. Wer diese Macht als wohlgesinnt erfährt, wird ihr ehrfürchtig und dankbar gegenübertreten. Wer sich aber unsicher ist, ob er von ihr Gutes zu erwarten hat, wird ihr mit Angst begegnen, denn er muss ständig befürchten, dass ein falsches Verhalten schlimme Folgen hat. Der Religionswissenschaftler Rudolf Otto hat dieses zwiespältige Gefühl mit dem Begriff «mysterium tremendum et fascinosum» beschrieben: Das Heilige ist ein Geheimnis, das faszinierend und furchteinflössend zugleich ist.

Wie Gott seine Heiligkeit definiert

In der Bibel lässt Gott selbst uns wissen, wie sich Heiligkeit aus seiner Perspektive anfühlt. So stellt er sich seinem Volk einmal so vor: «Ich bin Gott und kein Mensch, heilig in deiner Mitte!» (Hosea Kapitel 11, Vers 9). Ja, Gott ist der ganz andere, dessen Wesen wir mit unseren Möglichkeiten nie angemessen erfassen können.

Dieser ganz andere hat sich uns jedoch so gezeigt, dass wir sein Wesen erkennen können, dass wir sehen können, «wie er tickt». Der Selbstvorstellung Gottes geht nämlich dieser Ausruf voraus: «Wie könnte ich dich…, Israel, im Stich lassen? … Bei dem Gedanken daran bricht mir das Herz» (Hosea Kapitel 11, Vers 8). Gottes Heiligkeit besteht in ihrem innersten Kern aus unerschütterlicher Liebe zu seinen Geschöpfen. Aus dieser Liebe entspringen alle seine weiteren Offenbarungen, Anweisungen und Versprechen, die wir in der Bibel finden.

In seiner Liebe kann er es nicht ertragen, wenn seinen Geschöpfen Unrecht getan wird. Deshalb hat er Anweisungen und Gesetze erlassen, die das Leben unter den Menschen so regeln, dass es lebenswert ist, sich vermehren und blühen kann. Diese Lebensregeln haben Anteil an seiner Heiligkeit. Gott selbst sorgt dafür, dass ihre Übertretung bestraft wird – der Heilige ist der Gerechte, der für die eintritt, denen Unrecht geschieht (Jesaja Kapitel 5, Vers 16). Wenn nötig, greift er mit seiner ganzen Macht ein, um seine Leute auch aus aussichtslosen Situationen zu retten – gerade als der Heilige (Jesaja Kapitel 41, Vers 14).

Auswirkungen

Als Gott sich Israel als sein Volk erwählte, befreite er sie aus dem Machtbereich ihrer Unterdrücker und brachte sie in seine heilige Gegenwart. Hier sollte sein Wesen auf sie abfärben und sie zu einem heiligen Volk machen. Damit sie ihren Alltag entsprechend gestalten konnten, gab er seinem Volk konkrete Regeln für das tägliche Leben. Alles, was diesem Bereich zugehörte – Gegenstände, Lebewesen, Räume oder Zeiten – war durch ihren Anteil am Machtbereich Gottes heilig. Wer sich den Regeln widersetzte, bedrohte diese heile und heilige Gemeinschaft und musste aus ihr entfernt werden. Insofern ist die Heiligkeit Gottes tatsächlich gefährlich. So aber wurde sichergestellt, dass die gute Lebensordnung, die Gott seinem Volk gegeben hatte, wirklich eingehalten wurde – dass sie ein geheiligtes Leben führten.

So jedenfalls die Theorie. In der Praxis stellte sich bald heraus, dass das Gottesvolk die guten Anweisungen Gottes kaum umsetzte. Der Mensch ist nun einmal nicht fähig, aus eigener Kraft ein Leben zu führen, das dem heiligen Gott entspricht. Gott selbst wünscht sich aber, dass seine Leute heilig sind wie er – dass sie an seinem liebenden Wesen teilhaben und es konkret im Alltag verwirklichen (1. Petrus Kapitel 1, Verse 15-16). Und so ging er einen anderen Weg, um seine Leute zu heiligen: In Jesus kam er, der Heilige, selbst in diese Welt.

Jesus Christus, der Heilige(nde)

An Jesus wurde das heilige Wesen Gottes unmissverständlich deutlich. Mit seinem ganzen Leben zeigte er, wie sich Gottes Wesen im irdischen Leben konkretisiert. Aber das war noch nicht alles: Wer an Jesus glaubt, wer ihm sein Leben anvertraut und sein Leben nach seinem Vorbild ausrichten will, dem gibt Jesus Anteil an seiner Heiligkeit (Hebräer Kapitel  2, Vers 11), so wie Gott seinem erwählten Volk Anteil an seiner Heiligkeit gegeben hat. Jesus selbst reinigt und befreit alle, die an ihn glauben, von allem, was dem Wesen Gottes nicht entspricht. Deshalb kann Paulus die Empfänger seiner Briefe «Heilige» nennen (z. B. 1. Korinther Kapitel 1, Verse 1-2), obwohl viele von ihnen offensichtlich alles andere als ein «heiliges» Leben führten. Als Heilige sind sie jedoch eine Gemeinschaft, die füreinander einsteht (Römer Kapitel 15, Verse 25). Heiligkeit bezeichnet also kein besonders gutes Verhalten, sondern einen Zustand, den der heilige Gott selbst verleiht.

Trotzdem ist die Heiligkeit kein Selbstläufer. Wenn Gott uns zu Menschen macht, die in seinem heiligen Bereich leben dürfen, handeln wir nicht automatisch so, wie es seiner Heiligkeit entspricht. Als Heilige haben wir die Verantwortung - wie die Israeliten - unser Leben dem Wesen Gottes gemäss zu gestalten. Wie soll das aber gehen, wenn sich doch schon herausgestellt hat, dass Menschen dazu gar nicht in der Lage sind?

Gottes Geist kommt ins Spiel

Zum Glück müssen wir das heilige Leben nicht aus eigener Kraft verwirklichen. Seit Jesus von der Erde zu seinem Vater zurückkehrte, lebt der Geist Gottes, die ruach, in den Menschen, die Jesus geheiligt hat (1. Korinther Kapitel 6, Vers 19). Durch sein Wirken wird das Wesen der von Jesus geheiligten Menschen immer mehr verändert, sodass sie Jesus immer ähnlicher werden und immer mehr das Wesen des heiligen Gottes annehmen. An diesem Prozess ist auch der Mensch mit seiner ganzen Lebenskraft beteiligt (vgl. Matthäus Kapitel 22, Verse 37-40). Diese Lebenskraft, die näfäsch, werden wir im nächsten Beitrag genauer kennenlernen.

Für die Israeliten wurde die Heiligkeit, die sie durch Gott verliehen bekommen hatten, im ganz normalen Alltag konkret. Auch bei uns soll sie sich in allen Lebensbereichen verwirklichen, z. B. in den Charaktereigenschaften, die «Frucht des Geistes» genannt werden (Galater Kapitel 5, Vers 22). Durch unsere grossen und kleinen Entscheidungen können wir dazu beitragen, dass die Heiligkeit, die Gott uns verliehen hat, immer klarer zum Tragen kommt und immer heller auf unsere Mitwelt ausstrahlt. Dann können sogar Menschen in unserem Umfeld durch unser geheiligtes Leben Anteil an Gottes Heiligkeit bekommen (1. Thessalonicher Kapitel 4, Vers 4). Vielleicht mögen Sie in diesem Licht die Eingangsfrage ja noch einmal beantworten: Was ist Ihnen heilig? Und wie trägt es zu der Heiligkeit bei, die Gott jedem verleiht, der sich seiner Heiligkeit anvertraut?

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Datum: 28.09.2025
Autor: Beate Bittner
Quelle: Magazin Faszination Bibel 03/2025, SCM Bundes-Verlag

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