Bombe im Hinterleib

Bombardierkäfer

Der scheue Bombardierkäfer vertreibt seine Feinde mit einem brühend heissen Gasgemisch. Sein Kraftstoff-System gleicht einer komplizierten chemischen Anlage.

Der Brachynus ist ein Zwerg unter den rund 30000 Laufkäferarten. Doch der unscheinbare Käfer ist alles andere als wehrlos. Sein deutscher Name verrät, warum. Er ist der in Mitteleuropa häufig vorkommende Bombardierkäfer.

Seine Körperlänge beträgt vier bis knapp sieben Millimeter. Die Flügel sind breit gestutzt, einfarbig grün oder blau glänzend, während die Fühler, Beine und der Vorderkörper rostrot kontrastieren.

Als Napoleons Armee die Pyrenäen überquerte, beklagten sich viele Soldaten über Verbrennungen auf der Haut. Diese blieben noch lange Zeit als Hautflecken sichtbar. Dieses Phänomen weckte das Interesse eines Militärarztes, der vermutete, dass die Ursache eine Käferart sein musste.

Nach einer Reihe von Experimenten hatte er das Geheimnis gelüftet: Die zusammen mit ihren potentiellen Feinden wie Spinnen, Mäusen, Fröschen und Vögeln eingesperrten Bombardierkäfer griffen im Abwehrkampf zu einer gefährlichen Waffe, einer Art Flammenwerfer! Damit töteten sie die kleineren Angreifer, während die grösseren die Flucht ergriffen.

Wie kommt es zu dieser wirksamen Abwehr? Der Brachynus richtet seinen Hinterleib gegen den Angreifer, hebt ihn möglichst weit weg vom Boden, öffnet über dem After einen Schlitz im letzten Hinterleibsring, was rechts und links je ein Kanonenrohr freilegt - dann drückt er ab! Unter einem hörbaren Knall entweicht ein blaues Dunstwölkchen übel riechendes Giftgas. Der Gestank umnebelt den Schützen, der den Schock des Angreifers nutzt und rasch das Weite sucht.

Was hat den Angreifer abgeschreckt: der Knall oder der Gestank? Niemand weiss es. Aber soviel ist sicher: Die ausgestossene Flüssigkeit gefährdet sogar das Augenlicht und wirkt auf der Haut ätzend.

Der Käfer kann mehrmals hintereinander knallen, bis die Substanzen aufgebraucht sind und wieder neu gebildet werden müssen. Er vermag sein Geschütz 10 bis 15-mal hintereinander abzufeuern. Geschieht das im Dunkeln, soll man sogar eine Art "Mündungsfeuer" sehen, einen feinen Lichtschein.

Erst 1961 gelang es dem Chemiker Hermann Schildknecht und Mitarbeitern in Heidelberg mit modernen mikrochemischen und -techischen Methoden, dem Geheimnis der Bombardierkäfer auf die Spur zu kommen. Unmittelbar hinter den "Kanonenrohren" findet sich im Hinterleib des Käfers ein eigentliches Chemielabor. In einem filigranen System aus Drüsenzellen produziert der Käfer Hydrochinon und Hydroperoxid. Beides speichert er in einer Sammelblase.

Das Wasserstoffperoxid ist mit einer Konzentration von über 28 Prozent so stark, wie es sonst nirgends in der Natur vorkommt. Die farbigen Chinone kommen in der Natur oft als Pigmente vor.

Wird der Bombardierkäfer bedroht oder gereizt, führt er die beiden Sprührohre aus und die Sammelblase öffnet ihr "Ventil", einen Schliessmuskel. Teile der beiden Substanzen fliessen nun in eine zweite Kammer. Diese Explosionskammer besteht aus starkem Chitin. Hier treffen Hydrochinon und Hydroperoxid auf Enzyme von Katalasen und Peroxidasen. Die Katalysatoren provozieren eine explosionsartige Reaktion. Dabei wird Wärme frei. Es wird so heiss in der Explosionskammer, dass das Wasser verdampft. Dadurch baut sich ein grosser Druck auf und ein ätzendes, 100 Grad Celsius heisses Gasgemisch schiesst mit einem Knall aus dem Bombardierkäfer heraus. Durch das Chinon bekommt die Abwehr-Wolke eine dunkle Farbe. Sie hat eine Reichweite von bis zu 30 Zentimetern. Der Abschussvorgang verläuft innerhalb von wenigen Tausendstelsekunden.

Ein Rätsel bleibt, warum das Tier sich beim Ausstossvorgang nicht verbrennt und sich bei der Mischung der gefährlichen Substanz nicht selbst vergiftet.

Nach dem Untergang des russischen Atom-U-Bootes "Kursk" im Jahr 2000 stellte die mit der Untersuchung des Unfalls beauftragte Moskauer Regierungskommission in ihrem Schlussbericht fest, dass die Auslösung der Katastrophe durch ein defektes Torpedo verursacht worden sei, weil aus dem Antrieb eines Torpedos Wasserstoffperoxid ausgetreten sei, was eine erste Explosion ausgelöst habe. Das heisst, dieselbe Substanz, die der Bombardierkäfer in seinem Körper herstellt und schliesslich als Abwehrwaffe einsetzt, führte zum Untergang eines gigantischen Atom-U-Bootes!

Unserem kleinen Käfer dient die explosive Substanz hingegen als Abwehrmittel zur Lebenserhaltung. Das mit göttlichem Patent versehene System hatte für den flinken Brachynus noch nie tödliche Folgen. Doch aufgepasst! Werden im Labor Wasserstoffsuperoxyd und Hydrochinon gemischt, fliegt die Bude in die Luft. Nicht so der Bombardierkäfer. Wenn er die beiden Chemikalien mischt, fügt er rechtzeitig einen Hemmstoff bei, der das Explodieren verhindert. Wie lässt er sie dann rechtzeitig explodieren?

Prof. Schildknecht fand heraus, dass der Käfer genau in jenem Moment, indem er seine zwei Verbrennungskanäle abfeuern will, einen Antihemmstoff einspritzt. Dieser neutralisiert den Hemmstoff und das Hydroperoxid und das Hydrochinon reagieren und explodieren.

Doch die Forschungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Mittels neuester Mikroskoptechnik will man die letzten Geheimnisse des Bombardierkäfers herausfinden. Biologen, Chemiker und Ingenieure arbeiten Hand in Hand. Interessant ist das kleine Tier sowohl für die Waffenindustrie als auch für die Luft- und Raumfahrttechnik.

Wer den Bombardierkäfer eingehend betrachtet und sich angesichts seines hochsensiblen Innenlebens fragt, wie ein solches System im Raster der Evolution in kleinen Entwicklungsschritten hätte entstanden sein können, gerät ins Stutzen. Denn wenn Wasserstoff, Chinon, Hemmstoff und Antihemmstoff nicht gemeinsam und von Beginn des Käferlebens an vorhanden waren, bleibt es unvorstellbar, wie sich dieses fein aufeinander abgestimmte Abwehrsystem durch Zufall und Selektion hätte entwickeln sollen. Nur wenn Chemikalien, Organe und Signale aufeinander abgestimmt sind und gleichzeitig zum Einsatz kommen, ist der Bombardierkäfer lebens- und wehrfähig.

Und apropos feuerspuckende Drachen - wenn ein kleiner Käfer in der Lage ist, Feuerwolken aus dem Hintern zu schiessen, wieso sollte ein grosser Dinosaurier nicht über einen ähnlichen chemischen Apparat zum Feuerspeien verfügt haben?

Autoren: Eugen Scheible; Rolf Höneisen
Quelle: Factum-Magazin

Datum: 17.03.2005
Quelle: factum Magazin

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